Wacken Roll. Andreas Schöwe. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andreas Schöwe
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783854453772
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von der Industrie zunehmend vernachlässigt wurde und ihr letztlich die einzigen Freaks gewesen seid, die Gleichgesinnten noch „ihre“ Mucke boten?

      Holger: Ich würde eher sagen, dass wir schon frühzeitig versucht haben, uns vom Mainstream abzusetzen. Bon Jovi, Van Halen oder sogar noch Metallica – also das, was damals noch wahlweise unter „Stadion Rock“ oder „Pussy Rock“ rangierte: Dem setzten wir solch exklusive Sachen wie eben Fates Warning, Tiamat oder die U.K. Subs in unserem Aufgebot entgegen. Solche Bands „passierten“ sonst nirgends – es gab höchstens noch die eintägigen „Summer Metal Meeting“, und das war’s! Dementsprechend konzentrierten wir uns dann spätestens nach unserer ersten Umorientierung ab Anfang 1994 ausschließlich auf die Metal-Szene, nachdem wir in den Jahren zuvor versuchten, die Biker mit in unsere Aktivitäten einzubinden – ein Schuss, der aufgrund der unterschiedlichen Interessenslagen gehörig nach hinten losging. Dieses Setzen der Prioritäten beim Metal zahlte sich spätestens 1996 aus, als wir mit den Böhsen Onkelz erstmals die 10.000-Zuschauer-Marke knackten. Dass in der Folge das Wacken:Open:Air verstärkt an Popularität gewann, hängt auch damit zusammen, dass wir schon frühzeitig die Werbewirksamkeit des neuen Mediums Internet erkannten und nutzten, denn zu der Zeit gab es eben außer dem Rock Hard und dem Metal Hammer keine weiteren relevanten Magazine für dieses Genre.

      Nicht zu vergessen einschlägige Musiksender, die zu der Zeit – noch – einigermaßen regelmäßig Metal-Sendungen durch den Äther jagten …

      Holger: Ja, VIVA-Metalla mit Adam Turtle und Mosh/Tele5 – eine Sendereihe, die Rock-Hard-Chefredakteur Götz Kühnemund und Sabina Classen moderierten – existierten zumindest Anfang der Neunziger noch, wurden dann aber nach und nach eingestellt. Wie gesagt: Wir – und auch das Gros der Metalheads – erkannten dann frühzeitig die Möglichkeiten, die das gerade im Entstehen begriffene WorldWideWeb bietet. Dementsprechend wurden zunehmend Metal-Communitys aus dem Ausland auf Wacken aufmerksam.

      Und es sprach sich dementsprechend schnell herum, dass das Festival nicht nur hinsichtlich des Billings Qualität bietet, sondern auch mit dem gesamten Ambiente drum herum fanfreundlich ausgerichtet ist und solch attraktive Nebenschauplätze wie Metal-Market, Biergarten oder eben die berühmte Fan-Meile auf der Hauptstraße im Dorf bietet. Gerade Letztere – und auch das sprach sich schnell herum – findet man so wohl nirgends in der Welt: Nämlich dass die Dorfbevölkerung die Fans freundlich aufnimmt und sich jedes Jahr erneut darauf freut, mit ihnen im Dorf, auf der Fan-Meile oder in den eigenen Vorgärten zu feiern.

      Wie habt ihr es überhaupt geschafft, die Dorfbevölkerung auf eure Seite zu ziehen? Eigentlich sollte man meinen, dass gerade in einer beschaulich-ländlichen Idylle wie Wacken erst einmal jeder Einwohner lärmenden Heavies und den viel zitierten „langhaarigen Bombenlegern“ gegenüber negativ eingestellt ist!

      Holger: Bereits in den ersten Jahren waren ja schon viele unserer Kumpels in die Organisation involviert, hatten sich gefreut, dass mal was anderes in Wacken los war als die üblichen Dorffeste. Der Rest nahm unser Tun dort in der Kuhle schlichtweg kaum wahr – die wurden erst 1996 so richtig hellhörig, als 10.000 Metalheads das Dorf überrannten und sich ein kilometerlanger Stau auf der Hauptstraße bildete. Stau – das kannte man bis dato in Wacken ja gar nicht! Da fragten sich dann alle: „Oh? Was geht denn hier ab? Ach so! Wacken:Open:Air!“

      Thomas: Allerdings gab es schon zur Jahreswende 1995/96 einige kontroverse Diskussionen innerhalb der Dorfgemeinschaft: Der Sohn eines Bauern hörte Heavy Metal, und dem Mann war das gar nicht recht. Der glaubte voll an jene Vorurteile, wie sie damals kursierten: Satanismus, und so … Also luden wir die Leute ein, mal in der Kuhle vorbeizuschauen und sich mit eigenen Augen davon zu überzeugen, dass wir einfach nur Party feiern – und eben nicht Friedhöfe umgraben! Als Anfang Juli 1996 die Onkelz als Headliner bestätigt worden sind, hatten wir noch ein weiteres schönes Argument, das wir ins Feld führen konnten: „Kommt vorbei – da gibt’s deutschsprachige Stimmungsmusik! Das wäre doch sogar etwas für euch!“ Nicht gerechnet hatten wir dann allerdings mit dem Publikumsandrang. Wir hofften zwar auf 6.000 Besucher – dass aber knapp das Doppelte daraus wurde, überraschte uns selbst. Verstimmungen gab es hinterher nur wegen der Verschmutzungen im Dorf – mit der Musik hatte kaum jemand Probleme. Im Gegenteil: Viele Dorfbewohner erkannten, dass sich dazu recht gut mitfeiern lässt. Und hinsichtlich der Müllproblematik handelten wir ja auch in den Folgejahren konsequent.

      Holger: Ab Ende der Neunziger installierten wir den Biergarten, luden zudem weiterhin die Dorfbevölkerung ein, sich einen Tag ihrer Wahl lang bei freiem Eintritt auf dem Festivalgelände umzusehen. Zudem engagierten wir uns im sozialen Bereich, spendeten für den Kindergarten, die Schule, den Sportverein oder das Schwimmbad. Allerdings vermieden wir, daraus ein Politikum, das Heavy Metal ja in vieler Leute Augen nach wie vor darstellte, zu machen.

      Denn dann gibt es automatisch ein Pro und ein Kontra. Und wie will man jemandem, der der Materie argwöhnisch gegenüberstehen, erklären, was Heavy Metal eigentlich ist? Das geht gar nicht! Stattdessen versuchten wir von Anfang an Überzeugungsarbeit dahingehend zu leisten, dass wir uns etwas aufbauen, an dem auch die Dorfbevölkerung erfolgreich partizipieren kann. Dies passierte schließlich auch so: Das Dorf kam zunehmend auf uns zu. Erst, um sich zu informieren, dann – nachdem sie sich davon überzeugt hatten, dass dies doch eigentlich eine schöne Sache ist – um selbst dabei zu sein. So wuchs das alles quasi von selbst zu dieser Fan-Meile im Dorf, diesem riesigen Happening. Nicht, weil wir sie quasi dazu bedrängt haben, sondern weil sie es von sich aus toll finden, weil sie selbst ihre eigenen – positiven – Erfahrungen gesammelt haben.

      Woraus sich – wohl gemerkt: von selbst – diese einmalige „Wacken-Magie“ entwickelte …

      Holger: Eben! Ich kann ja nicht die Leute nach Wacken schleifen und ihnen eintrichtern, wie toll das alles hier ist. Denn Wacken – das sind nicht nur die Künstler und das Drumherum. Wacken – das sind die Metalheads, die hierher kommen, um vor der Bühne abzurocken. Wacken – das sind auch die Dorfbewohner, die ihren Gästen eine tolle Atmosphäre bieten! Und zu guter Letzt: Wacken – das ist kein Festival für Gott und die Welt, sondern eine einzigartige Party, bei der sich die internationale Metal-Community austoben, ihren Metal-Lifestyle unbedarft zelebrieren und ausleben sowie sich selbst feiern kann!

      Nach den ersten unbedarften Partys 1990/91 sowie nach dem ersten „richtigen“ Wacken:Open:Air 1992 kreisten verstärkt Gedanken der Art durch eure Köpfe: „Cool, wenn man mal eines Tages gänzlich davon leben könnte!“

      Holger: Zu der Zeit träumten wir alle sicherlich irgendwie davon. Da wir aber noch unseren regulären Jobs nachgingen, konnten wir uns alleine aus Zeitgründen nicht rein professionell auf das Festival konzentrieren. Damit man ein Jahr lang davon leben kann, muss man auch das gesamte Jahr über aktiv sein. Wir versuchten deshalb ab 1993, uns zum Beispiel als Konzertveranstalter zu profilieren: Dio, Motörhead, und so weiter. Doch selbst für professionelle Konzertveranstalter ist jedes Live-Event ein riskantes Unternehmen mit unkalkulierbarem Ausgang. Wir stürzten uns aber als Quereinsteiger in diese Abenteuer – und ließen dementsprechend in finanzieller Hinsicht mächtig Federn.

      Thomas: Anfangs funktionierte das ja recht gut – da spielten ja auch noch die Banken ohne Bedenken mit. Wir sind zur Sparkasse gelatscht und haben gesagt: „Günter, wir können günstig Saxon buchen und brauchen mal eben schnell einen Kredit von 25.000 Mark!“

      Heute würde niemand so ohne weiteres entgegnen: „Ja, kommt mal vorbei, das können wir sicher irgendwie stemmen!“ Heute wäre dergleichen unvorstellbar … Und wir wären damals ja auch ziemlich gut aus der Nummer herausgekommen, wenn wir nicht auf den Rat der Security reingefallen wären, für den zweiten Tag noch mehr Ordner zu buchen, die uns eine Höllenkohle kosteten. Das versuchten wir mit weiteren Konzerten Ende 1992 und im Folgejahr wieder einzuspielen. Doch stattdessen gerieten wir immer weiter in die Schieflage … Und Ende 1993 klopfte die Bank an die Tür: „Jungs, wollt ihr nicht mal langsam euren Kredit zurückzahlen?“

      Was in dem finanziellen Desaster kurz vor Weihnachten 1993 gipfelte …

      Holger: Da kam alles zusammen: Thomas Mutter ist gerade verstorben, ich hatte am 13. Dezember einen schweren Autounfall, und in der Kasse