Geduld als Ressource. Bettina Siebert-Blaesing. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bettina Siebert-Blaesing
Издательство: Bookwire
Серия: Wissenschaftliche Beiträge aus dem Tectum Verlag: Pädagogik
Жанр произведения: Социология
Год издания: 0
isbn: 9783828876781
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Fragebogens anhand teiloffener Fragen und einer qualitativen Inhaltsanalyse eine Einschätzung gewonnen, ob, wie und in welcher Form junge Erwachsene die Geduld als Ressource der Gesundheitsförderung verstehen. Anschließend werden Empfehlungen für die Praxis und die Forschung zur Einbeziehung der Geduld als Ressource im Einzelcoaching junger Erwachsener zur Förderung des gesundheitlichen Wohlbefindens formuliert. Insgesamt versteht sich das Forschungsprojekt als explorative Anwendungsforschung, um Erfahrungen des Coachings im Feld der Kirchlichen Jugendarbeit auf einer wissenschaftlichen Basis zu reflektieren sowie neue Erkenntnisse zu einer Begleitung junger Erwachsener in Coachingprozessen zu gewinnen.

      Die Untersuchung ist folgendermaßen aufgebaut (vgl. Abbildung 1): Kapitel 2 enthält eine Recherche theoretischer Grundlagen. Dabei wird auf wesentliche Begriffe der Untersuchung, auf relevante historische Quellen, auf geeignete Forschungsansätze, Studien und Forschungsfeldern eingegangen. In Kapitel 3 wird die empirische Befragung zur Geduld als Ressource methodisch vorgestellt und in ihren Ergebnissen beschrieben. Das Kapitel 4 beinhaltet eine Diskussion der theoretischen und der empirischen Interpretationen. Die Untersuchung schließt in Kapitel 5 mit Handlungsempfehlungen zur Berücksichtigung der Geduld in der Praxis des (sozial-)pädagogischen Einzelcoachings junger Erwachsener sowie in Kapitel 6 mit einem Fazit und Ausblick ab.

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      Abbildung 1: Der Forschungsprozess, eigene Darstellung (Siebert-Blaesing 2020c)

      In dem Kapitel 2.1 der theoretischen Grundlagen werden zuerst Begriffe geklärt, die für das Verständnis der vorliegenden Untersuchung zentral sind. Hiernach werden unter 2.2. die textanalytischen Herausforderungen beschrieben, die sich bei der Recherche von Quellen zur ‚Geduld‘ stellen. Danach werden relevante Aussagen zur Geduld in ihrem historischen Kontext (vgl. Kapitel 2.3) vorgestellt. Hiernach werden geeignete Forschungsansätze (vgl. Kapitel 2.4) zum Verständnis der ‚Geduld‘ als Alltagsressource eingeführt. Im vierten Schritt werden aktuelle Studien (vgl. Kapitel 2.5) zur ‚Geduld‘ in ihren Ergebnissen dargestellt und zu Forschungsfelder gebündelt.

      Als theoretische Grundlagen werden im Kapitel 2.1 die ‚ressourcenorientierte Gesundheitsförderung‘, das ‚(sozial-)pädagogische Einzelcoaching‘ und die ‚Situation junger Erwachsener‘ eingeführt (vgl. Abb. 2). Anschließend werden textanalytische Vorrausetzungen definiert, die eine Grundlage für das Verständnis der in der historischen Quellenrecherche zum Thema ‚Geduld‘ grundlegend sind.

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      Abbildung 2: Einleitung Grundbegriffe, eigene Darstellung (Siebert-Blaesing 2020c)

      Die Begriffe ‚Gesundheit‘ und ‚Krankheit‘ sind Gegenstand vieler sozial- und humanwissenschaftlicher Disziplinen, wie etwa der Medizin, der Psychologie, der Pädagogik, der Sozialpädagogik, der Sozialen Arbeit und der Soziologie (vgl. Hurrelmann und Richter 2013, S. 7). In den Sozialwissenschaften wird je nach Forschungsrichtung zwischen übergeordneten Gesellschafts- und Public-Health-Theorien (die vorrangig Fragen zur Gerechtigkeit und zur Bedeutung sozialer Einflüsse sowie Folgen und Wechselwirkungen von Gesundheit behandeln) und Lern- sowie Bewältigungstheorien (die stärker die subjektive Sicht und die konkreten Handlungsmöglichkeiten berücksichtigen) differenziert (vgl. ebd., S. 66). Das Verständnis von ‚Gesundheit‘ und ‚Krankheit‘ unterliegt dabei einem kontinuierlichen prozesshaften Wandel (vgl. Beushausen 2013, S. 7; Zemp Stutz und Buddeberg-Fischer 2004, S. 309). Für die Soziale Arbeit, die Sozialpädagogik, die Pädagogik und die Psychologie sind die Entwicklung der Salutogenese sowie die Positionierung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Gesundheitsförderung für ihr aktuelles Verständnis von ‚Gesundheit‘ und ‚Krankheit‘ prägend und werden daher in Kürze dargestellt, um daraus das Gesundheitsverständnis abzuleiten, von dem in der vorliegenden Untersuchung ausgegangen wird.

      2.1.1.1 Die Salutogenese und ihre Entstehung

      Angeregt durch den von Aaron Antonovsky entwickelten Ansatz der Salutogenese (Antonovsky und Franke 1997) verändert sich nach dem Zweiten Weltkrieg die Relation zwischen Krankheit und Gesundheit, indem Antonovsky Stressoren und Coping-Ressourcen (Widerstandsressourcen) in ein neues Verhältnis zueinander setzt. Ihn leitet die Frage, welche Widerstandsressourcen Gesundheit erhalten. Ging die Sicht auf die Gesundheit in der Wissenschaft und im Alltagsverständnis bisher von einem defizitorientierten, pathogenen Blick auf das Kranksein und von dem Ziel der vorrangigen Verhinderung von Krankheit aus (vgl. Zemp Stutz und Buddeberg-Fischer 2004, S. 309, S. 318), so fragt Antonovsky nun, wie auch bei Krankheit und unter widrigen Umständen mehr Gesundheit entstehen und gefördert werden kann. Diesen Prozess nennt er ‚Salutogenese‘. Gesundheit und Krankheit setzt er in eine fließende Beziehung zueinander. Für ihn kann eine Person gleichzeitig krank sein und sich in Richtung zu mehr Gesundheit entwickeln, wenn sie neben allen Stressoren und Belastungen einen ausreichenden Zugang zu Ressourcen findet. Das Optimum von Gesundheit zeichnet sich für Antonovsky durch einen Zustand des gesundheitlichen Wohlbefindens aus, der trotz großer sozialer, körperlicher und psychischer Probleme erfahren wird. In seinem Krankheits- und Gesundheitsverständnis misst Antonovsky besonders dem sozialen Umfeld einer Person als essenzielle Ressource eine hohe Bedeutung für die Entwicklung von Gesundheit bei und nimmt somit großen Einfluss auf die Entstehung von Konzepten und Programmen in der Sozialen Arbeit, der Sozialpädagogik und Pädagogik wie der Psychologie (vgl. Antonovsky und Franke 1997; Klemperer 2015; Blättner und Waller 2018; Ostermann 2010; Bengel 2001, 2001; Petzold 2010; Gfüllner 2015). Theodor Dierk Petzold erweitert Antonovskys Gesundheitsverständnis, indem er die „Selbstheilungsfähigkeit des Organismus“ (Petzold 2010, S. 176) als systemeigene Kraft fördern möchte. Für diese Ressource einer gesunden Entwicklung, die er als die bedeutendste ansieht, wünscht er sich eine „dynamische Prozessfähigkeit“ (ebd.), die sich ihm zufolge über die drei Fähigkeiten,