Geduld als Ressource. Bettina Siebert-Blaesing. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bettina Siebert-Blaesing
Издательство: Bookwire
Серия: Wissenschaftliche Beiträge aus dem Tectum Verlag: Pädagogik
Жанр произведения: Социология
Год издания: 0
isbn: 9783828876781
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aufbaut (Petzold 2010, S. 176). Schiepek und Matschi (2013) gehen davon aus, dass nur die Ressourcen, die als solche identifiziert werden, auch wirken können. Eine Ressource sei immer auf ein bestimmtes Ziel bzw. einen Zweck ausgerichtet und werde über den Bewertungsvorgang einer Person bestimmt.

      2.1.1.2 Positionierung der WHO zur Gesundheitsförderung

      Die Veränderung des Verhältnisses zwischen ‚Krankheit‘ und ‚Gesundheit‘ zeichnet sich schon in der Präambel der WHO6 von 1946 sowie in der Ottawa Charta zur Gesundheit7 der Weltgesundheitsorganisation (WHO) aus dem Jahr 1986 in ihrer Definition zur Gesundheitsförderung ab. Im Gegensatz zu der bisher bevorzugten Haltung und Strategie der gesundheitlichen „Prävention“ (Zemp Stutz und Buddeberg-Fischer 2004, S. 319–321), die frühzeitig einen nicht gewünschten Zustand durch eine geeignete personenbezogene Verhaltensprävention sowie gesellschaftlich wirkende Verhältnisprävention verhindern will, wird nunmehr ergänzend die „Gesundheitsförderung“ (Hurrelmann und Richter 2013; Blättner und Waller 2018) als ein bestärkender umfassender Prozess in einem gesundheitlich selbstbestimmten Leben von Einzelpersonen und Gruppen gesehen. In den Mittelpunkt der Gesundheitsförderung stellt die WHO seit 1946 ein „umfassendes körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden“8 als Merkmal einer bedürfnis- und umweltorientierten sowie hoffnungsvollen Gesundheit. Verantwortlich für die Gesundheitsförderung sind nun nicht mehr vorrangig das medizinisch ausgebildete Fachpersonal, sondern alle Personen und Organisationen. Indem die WHO Gesundheit als wesentlichen Bestandteil des alltäglichen Lebens versteht, sieht sie die Gesundheit bestärkt durch die Ottawa-Charta als eine Querschnittsaufgabe an, die alle Lebensbereiche berührt, Ressourcen integriert und besonders die Politik in der Gesundheitsförderung in die Pflicht nimmt (vgl. ebd.). Eine Ressource ist basierend auf dem Gesundheitsverständnisses der WHO damit als eine Lebensquelle zu verstehen, die Menschen umfassend im Alltag zur Förderung des Wohlbefindens zur Verfügung steht sowie zugänglich gemacht wird. Das betrifft verschiedene Ebenen von der gesamten „Lebensführung“ (Sommerfeld et al. 2011; Sommerfeld 2013), über die „Lebensqualität“ (Knecht 2010), des Umgangs mit „Krisen und Widerfahrnissen“ (Birgmeier 2010b), die Ressourcenorientierung in der Psychotherapie (vgl. Willutzki und Teismann 2013; Schiepek und Matschi 2013; Menning 2015) bis hin zur Berücksichtigung spiritueller Bedürfnisse (vgl. Walach und Kohls 2008) wie etwa der „Hoffnung“ (Surzykiewicz und Maier 2015). Aktiviert und qualifiziert wird die Ressourcenorientierung durch eine Vernetzung geeigneter Unterstützer*innen des Gesundheits- und Sozialsystems sowie durch eine Förderung der individuellen Person in ihrem sozialen Gefüge.9 Der beschriebenen Richtung folgt in Deutschland auch das Bundesministerium für Gesundheit (Bundesministerium für Gesundheit (BMG) 2019) mit seinem Wegweiser zum gemeinsamen Verständnis von Gesundheitsförderung und Prävention – bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Hierin fordert das BMG basierend auf einer vernetzten Absprache mit zahlreichen Organisationen, Experten*innen und Initiativen im Feld der Gesundheit eine weitrechende salutogene Vorgehensweise. Über diese Kooperation soll, ganz im Sinne der (Sozial-)Pädagogik und Sozialen Arbeit, die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen unter einer weitgehenden Partizipation von jungen Menschen und ihren Familien möglichst vor Ort (kommunal) gefördert und verbessert werden. Den anderen gesellschaftlichen Ebenen (z.B. Landkreis, Bezirk, Land, Bund) kommt der Auftrag zu, diesen Prozess durch geeignete Maßnahmen zu unterstützen.

      2.1.1.3 Gesundheitsverständnis der Untersuchung

      Da sowohl die Begriffe der ‚Gesundheit‘, des ‚Wohlbefindens‘ als auch der ‚Ressource‘ als weit gefasste Alltagsbegriffe benutzt werden, empfiehlt Doris Ostermann, sich dem unterschiedlichen Verständnis der genutzten Begriffe abhängig von den dahinterstehenden Interessenslagen der Akteure im Gesundheitsfeld bewusst zu sein und die jeweils individuelle Position zu definieren (vgl. Ostermann 2010, S. 83). Ihrem Rat folgend, wird ‚Gesundheit‘ in der vorliegenden Untersuchung im folgenden Sinne verstanden: Im Handlungsformats des Coachings wird explizit von einem Gesundheitsverständnis ausgegangen, das Gesundheit mental, emotional sowie im Handeln (auch) in der Alltagswelt junger Erwachsener verortet. Das Ziel einer Reflexion der Geduld im Sinne der Gesundheitsförderung ist es, Geduld somit als eine umfassende, für das Wohlbefinden förderliche Ressource zu untersuchen, die jungen Erwachsenen für ihre Lebensführung, berufliche und private Orientierung sowie Persönlichkeitsentwicklung zur Verfügung steht oder zugänglich gemacht werden kann.

      Personenbezogene Beratung findet in vielen unterschiedlichen Kontexten und Formaten statt. Sie „hilft bei Problemen des menschlichen Zusammenlebens und -arbeitens und dient der menschlichen Entwicklung“10. In der (sozial-)pädagogisch und psychosozial orientierten Beratung steht die Weitergabe von Information, von Wissen und von Erfahrung und Einschätzungen im Vordergrund (Sickendiek et al. 2008). Dabei verfolgen die Beratungsprozesse die individuellen Förderung der „Selbstorganisation“ (Schiersmann und Thiel 2012, S. 21) einer Person, eines Teams oder einer Gruppe bezüglich einer relevanten Fragestellung oder bei einem Problem. Jürgen Kriz unterscheidet hierbei zwischen den Beratungsformaten der Therapie, der Beratung und dem Coaching, in denen jeweils verschiedene Perspektiven auf einen Fall gerichtet sein können (vgl. Kriz 2017, S. 18–20). Im folgenden Schritt wird das Beratungsformat des Coachings erläutert, um auf dieser Grundlage anschließend das Coachingverständnis dieser Arbeit zu definieren.

      2.1.2.1 Coaching als Selbstoptimierung, persönliche Begegnung und Gesundheitsförderung

      Bernd Birgmeier verortet Coaching wissenschaftlich schwerpunktmäßig in der Handlungsphilosophie, der Ethik, den Sozialwissenschaften, der Ökonomie, der Pädagogik bzw. den Erziehungswissenschaften und der Psychologie. Jede dieser Wissenschaften stelle spezifische Aspekte, wie etwa die Bedeutung des Lernens, der Beziehungen oder der Wirtschaftlichkeit von Handlungen in den Mittelpunkt (vgl. Birgmeier 2011a, S. 27). Coaching lasse sich als enge Verzahnung von Selbstreflexion, Handlungswissen und Handlungskompetenz verstehen (vgl. ebd., S. 17–30; vgl. Birgmeier et al. 2019).

      Astrid Schreyögg sieht die Themen und Einsatzfelder im Coaching als differenziert und breit gefächert an, was verlangt, dass „der Coach über eine Vielzahl an methodischen Mustern verfügen muss, die den multipragmatischen und multidisziplinären Strukturmustern gerecht werden“ (Schreyögg 2011, S. 49; vgl. auch Birgmeier 2011b; Kriz 2016; Busse und Hausinger 2013).

      Michael Fischer und Pedro Graf definieren Coaching als prozess-, ziel- und handlungsorientierte Beratung, Anleitung und Training von Personen in ihren professionellen Rollen, Aufgaben und Kontexten als integralen Bestandteil von Personalentwicklung in Organisationen (vgl. Fischer und Graf 2000).

      Gerhard Roth und Alica Ryba beschreiben folgende Varianten des Coachings als übliche Formen: Selbstcoaching, Peer-Coaching, Einzelcoaching, Coaching durch Vorgesetzte, Coaching-Führungsstil, Gruppen-Coaching, Team-Coaching, Coaching-Kultur. Das Einzelcoaching ist aus ihrer Sicht die Coachingvariante, die in Deutschland überwiegt (vgl. Roth und Ryba 2016, S. 52).

      Unabhängig davon, ob ein Coaching einzeln oder in einer Gruppe durchgeführt wird, betonen Rauen, Strehlau und Ubben die Bedeutung der vertrauensvollen Beziehung zwischen dem/der Klient*in und dem Coach. Hierfür setzen sie die Freiwilligkeit, Diskretion, gegenseitige Akzeptanz, die Selbstmanagementfähigkeiten von Klient*innen, Offenheit und Transparenz wie auch die Veränderungsbereitschaft als Kriterien für ein gelingendes Coaching voraus (vgl. Rauen et al. 2011, S. 153–155).

      Oft folgt ein Coaching der Idee der Selbstoptimierung und damit der lernenden bzw. trainierenden Verbesserung von Fähigkeiten, Einstellungen und Haltungen (vgl. Conrad und Kipke 2015; Wallroth 2015). Marc-Ansgar Seibel (2019) hingegen verweist auf den doppelten Auftrag der Sozialen Arbeit, den Menschen einerseits in seinem individuellem Werden umfassend persönlich zu unterstützen sowie ihn gleichzeitig in der Ungerechtigkeit der “fluiden Moderne” (ebd.), die mit einer überfordernden Selbstoptimierungsidee einhergehe, strukturell (gesellschaftlich) zu stärken. Hierzu sei die Solidarität der Sozialen Arbeit unabdingbar.

      Martin Buber (2014) rät dazu, jede Beratung (zu der in der Beratungsprofession auch das Coaching gehört, Anmerk. BSB), als eine interpersonelle Begegnung über die Zeit zu verstehen, die von einer wechselseitigen Wertschätzung, einem tatsächlichen Interesse an der anderen Person und einer