Geduld als Ressource. Bettina Siebert-Blaesing. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bettina Siebert-Blaesing
Издательство: Bookwire
Серия: Wissenschaftliche Beiträge aus dem Tectum Verlag: Pädagogik
Жанр произведения: Социология
Год издания: 0
isbn: 9783828876781
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äußern den Wunsch, eindeutig klare Grenzen zwischen der Arbeit und dem Privatleben zu ziehen, zuverlässige und sichere Zusagen über Zukunftsperspektiven zu erfahren sowie eine anerkennende Feedbackkultur zu erleben (vgl. Scholz 2014; Schnetzer 2019; Albert et al. 2019b)2. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es individuelle Sichtweisen innerhalb der Generationen gibt. Gleichzeitig ist aber auch der Bedarf an jungen Erwachsenen als (zukünftige) Fachkräfte und Führungskräfte bei Organisationen und Unternehmen in einem sich kontinuierlich dynamisch verändernden schulischen, betrieblichen und gesellschaftlichen Gesamtgefüge zu sehen (vgl. Scheller 2017). Zudem sind die Erfahrungen der Coaches im Beratungsprozess zu berücksichtigen. Das (sozial-)pädagogische Coaching ist gefordert, den beschriebenen Anforderungen mit geeigneten Methoden, Haltungen und Fragestellungen zu begegnen bzw. sie zu reflektieren. Von den (sozial-)pädagogisch tätigen Coaches junger Erwachsener verlangt die dialogische Grundhaltung des Coachings, die Klient*innen in ihrer individuellen Situation wahrzunehmen, sie zu respektieren und sie mit den vielschichtigen Möglichkeiten des Handelns und Entscheidens beratend zu begleiten. Als Grundbedingung für ein gelingendes Coaching stellen sich die Fragen, wie ein vertrauensvoller Zugang zu der Generation gegenwärtiger junger Erwachsener aufgebaut werden kann und gleichzeitig eine ressourcenstärkende Begleitung erfahrbar werden kann.

      Im Einzelcoaching junger Erwachsener gibt es dabei Phasen, die mühsam erscheinen und in denen es langsam vorangeht. In der Beratung kann der Coach dazu neigen, einem jungen Menschen Geduld für die Klärung seines Anliegens zu empfehlen. Zu untersuchen ist, ob Geduld anzuraten ist, insbesondere, wenn das Coaching gesundheitsfördernd ausgerichtet ist und junge Menschen in ihren persönlichen Ressourcen unterstützen soll. Kritisch zu hinterfragen ist, ob Geduld für einen dynamischen, persönlichkeitsorientierten Entwicklungsprozess eventuell die Gefahr birgt, als zu angepasst und rückwärtsgewandt verstanden zu werden, um für die Beratung junger Menschen einen hilfreichen und motivierenden (vgl. Hüther 2016) Impuls zu geben. Dennoch bietet sich durch die Geduld möglicherweise aber auch die Chance, einem wichtigen Anliegen die notwendige Zeit zur Verfügung zu stellen. Das Thema der Untersuchung lautet von daher Geduld als Ressource der Gesundheitsförderung junger Erwachsener im Einzelcoaching.

      Das Forschungsvorhaben entwickelte sich als qualitative Befragung von jungen Erwachsenen aus der (sozial-)pädagogischen Tätigkeit des ‚Fachreferates Jugend und Arbeit des Erzbischöflichen Jugendamtes München und Freising (EJA)‘ heraus, welches eine Einrichtung und Fachstelle der ‚Erzdiözese München und Freising‘ ist. Der Auftrag der Kirchlichen Jugendarbeit sieht vor, Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene umfassend in ihren Lebensfragen, ihren Sorgen und Nöten zu begleiten, zu beraten und zu unterstützen. Der junge Mensch wird hierin unabhängig von seinem Glauben, seinem Geschlecht, seinem Status, seiner Lebenssituation durch ehrenamtliche Mitwirkungs- und Teilhabemöglichkeiten sowie hauptberufliche Unterstützung in allen Angeboten der Kirchlichen Jugendarbeit, wie es die Jugendverbände, die Einrichtungen der offenen Jugendarbeit, die kirchlichen Fachstellen und Initiativen exemplarisch bieten, begleitet. In enger Zusammenarbeit zwischen den ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen, dem hautberuflichen Fachpersonal und einem breiten Netz an kooperierenden Organisationen und Initiativen stellt sich ein Handlungsrahmen und außerschulisches Feld zur Persönlichkeitsentwicklung und der mitgestaltenden „Subjektwerdung“ (Erzbischöfliches Jugendamt München und Freising 2010, S. 25) junger Menschen auf der Basis eines an christlichen Werten orientierten Menschenbildes. Inhaltlich folgt der Coachingansatz der Kirchlichen Jugendarbeit der Grundrichtung des II. Vatikanischen Konzils, das im Vorwort seiner Pastoralkonstitution Gaudium et Spes den umfassenden diakonischen Auftrag für ein Handeln in der Kirche betont:

      Die Umsetzung dieses Auftrages konkretisiert sich in den einzelnen Diözesen und Einrichtung vor Ort. Zum speziellen Auftrag des ‚Fachreferates Jugend und Arbeit‘ gehören die Beobachtung und konzeptionelle Aufbereitung der Entwicklungen und Lebensfragen junger Menschen im Übergang zwischen Schule, Ausbildung, Studium und Beruf für die Einrichtungen und Verbände der Kirchlichen Jugendarbeit der Erzdiözese München und Freising, die Beratung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen und Multiplikatoren bei spezifischen Fragestellungen zum Thema ‚Arbeit‘ sowie die Vernetzung mit anderen Fachstellen, Einrichtungen, Organisationen und Initiativen. Das Einzelcoaching junger Erwachsener zählt zu den personenbezogenen Beratungsdienstleistungen des ‚Fachreferates Jugend und Arbeit‘ wie die ‚Patenschafts-Arbeit‘ und das ‚Mentoring‘ (vgl. Anders et al. 2007). Der Ansatz des Einzelcoachings, der über das ,Fachreferat Jugend und Arbeit‘ praktiziert wird, folgt dem christlichen Grundverständnis der Begegnung zweier Personen auf Augenhöhe sowie einem ressourcenorientiert-systemischen Prozessverständnis, das von der Entwicklungsfähigkeit junger Menschen in Übergangssituationen ausgeht (vgl. Siebert-Blaesing 2016, 2017).

      In Kooperation mit dem Fachreferat ‚Freiwillige Soziale Dienste‘ als Träger des diözesanen ‚Freiwilligen Sozialen Jahres (FSJ)‘ wird das Einzelcoaching auch für die Freiwilligen im FSJ angeboten. Das FSJ wird in der Erzdiözese unter der gemeinsamen Verantwortung des diözesanen ‚Bundes Deutscher Katholischer Jugend (BDKJ)‘ und des diözesanen ‚Caritasverbandes e.V.‘ in einer ‚Trägergemeinschaft‘ durchgeführt. Über das Programm des FSJ werden jährlich circa einhundert junge Erwachsene von September bis August des Folgejahres als Freiwillige*r (FSJler/ FSJlerinnen) in sozialen Einrichtungen tätig. Dabei werden sie durch ein intensives mehrwöchiges Bildungsprogramm begleitet (vgl. BDKJ Diözesanverband München und Freising – FSJ Referat 2019).

      Qualifizierung, Selbstständigkeit und Selbstpositionierung gelten in der aktuellen Jugendforschung als wesentliche Ziele, denen sich junge Menschen zu stellen haben (vgl. BMFSFJ 2017). Darin zeigt sich die Anforderung, in einem globalen Markt der Bildung von Kindheit an in der Lebenslaufplanung mithalten zu müssen. Gleichzeitig verlängert sich die Jugendphase bis weit in ein nicht exakt definierbares Erwachsenenalter hinein. ‚Jung sein‘ bedeutet in der heutigen Zeit, sich kontinuierlich in einem Prozess des Lernens und der Übergänge zu befinden (vgl. Gaupp und Berngruber 2018, S. 4). Eine zunehmende Zahl der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen zeigt Stresssymptome, die sich auch in Belastungsstörungen bis hin zu einem Burnout bemerkbar machen. Schulische und außerschulische Institutionen warnen vor einem Anstieg des Qualifizierungs-, Leistungs- und Handlungsdrucks auf junge Menschen und sehen für sie die notwendigen Spielräume und Freiräume sowie Selbstentfaltung, Erholung und Bindungsgelegenheiten für eine gesunde seelische Entwicklung gefährdet (vgl. Hemmerich 2012; Buchheim 2004, S. 339; Hurrelmann und Quenzel 2013; Robert Koch Institut 2018, S. 24). Sie fordern mehr Zeit und Raum für Ruhe, Geduld und Persönlichkeitsentwicklung (vgl. Kaltwasser 2008, S. 11–14 und 2013; Schomäcker 2011; BLLV 2015, S. 5; Schulte-Körne in BLLV 2018, S. 40–41; Hüther 2016; aej & BDKJ 2017; Techniker Krankenkasse 2015; Techniker Krankenkasse 2017; Barmer GEK 2016; DAK 2019).

      Die Generationen- und Jugendforschung (vgl. Scholz 2014; Albert et al. 2019b) zeigen gleichzeitig, dass