Please Kill Me. Gillian McCain. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gillian McCain
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783854454236
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oder ein Marsmensch war.

      Mein Herd war im Nu vom Enthaarungswachs versaut, weil sie sich stän­dig ihre Gesichter mit diesem Zeug eingeschmiert haben. Damals entfernte man sich seinen Bart noch mit Enthaarungswachs. Was dabei herauskam, war aller­dings kein sehr femininer Look.

      Man nahm heißes, geschmolzenes Wachs und klatschte sich das Zeug ins Gesicht, ließ es trocknen, und hinterher riss man sich das Zeug vom Gesicht. Dadurch wurde der Bart an den Wurzeln herausgerissen, mit dem Resultat, dass das Gesicht rot und total geschwollen und aufgedunsen und hässlich war. Dann schmierten sie sich dieses billige Make­up von Woolworth ins Gesicht. Etwas anderes konnten sie sich nicht leisten. Mit diesem orangestichigen Make­up von Woolworth haben sie sich ihre roten Gesichter zugekleistert und sind so auf die Straße gegangen! Es kam keiner auf die Idee, zu denken, dass sie Frauen wären, aber es dachte auch keiner, dass sie Männer wären! Es wusste keiner so genau, was sie waren! Und dann trugen sie ständig diese Altweiberklamotten. Als in der Wohnung neben mir eine alte Frau gestorben war, ist Jackie über den Fens­tersims in ihre Wohnung eingestiegen und hat ihre gesamte Garderobe geklaut. Diese Klamotten hat sie dann getragen. Die Klamotten von der toten alten Frau!

      Holly zog immer einfach irgendwas an. Manchmal hat sie sich nur in ein Bettlaken gehüllt. Und irgendwann bekam Holly dann auch ziemlichen Stress mit der Wohlfahrtsbehörde. Sie lebte von der Wohlfahrt. Alle lebten von der Wohlfahrt. Sie trug Straußenfedern und falsche Wimpern, und in diesem Auf­zug ist sie dann in das Büro der Wohlfahrtsbehörde gegangen, um sich ihren Scheck abzuholen. Eines Tages wurde sie in ein Büro geführt, und dort sagte man ihr: „Sir, Sie befinden sich hier in der Wohlfahrtsbehörde, und Sie kom­men in Abendrobe und Straußenfedern. Die anderen Wohlfahrtsempfänger sind äußerst ungehalten über Ihre Aufmachung.“

      Holly antwortete nur: „Dann besorgen Sie mir doch Jeans. Ich würde sie schon anziehen. Und ansonsten gebe ich mein Geld aus, wie es mir passt, und ich gebe es nun mal gern für Straußenfedern aus.“

      Penny Arcade: Beim Playhouse of the Ridiculous Theater konnte jeder mit ­machen. Die Schauspieler kamen alle von der Straße. Homosexuelle, Hetero­sexuelle, Lesben – das war völlig egal, es kümmerte niemanden. Es waren alles Außenseiter. John Vaccaro wollte mich ebenfalls engagieren, aber ich habe abgelehnt.

      Aber dann haben sie mich doch rumgekriegt, so, wie mich immer alle rum­kriegen. Irgendjemand sagte zu mir: „John Vaccaro hat eben angerufen, und er braucht dringend jemanden, der ihm hilft.“ So bin ich nun mal. Wenn jemand Hilfe braucht, bin ich sofort zur Stelle. Mein Job war es, die Kostüme von Elsie Sorrentino zu halten, das war eine der Schauspielerinnen, die als Vorlage für die Figur Tralala in Hubert Selby Jrs. Letzte Ausfahrt Brooklyn gedient hat. Dann kam John Vaccaro eines Abends auf mich zu, nahm mir die Kostüme aus der Hand, schubste mich buchstäblich auf die Bühne und sagte: „GEH JETZT DA RAUS UND MACH IRGENDWAS!“

      Leee Childers: John Vaccaro war berüchtigt für seine Gewaltausbrüche, seinen Größenwahn – und dafür, dass er anderen Gegenstände und Obszönitäten an den Kopf warf und all diese Teenager in seiner Theaterkompagnie demütigte, die alle schon auf Speed waren und immer bei irgendjemandem auf dem Fuß­boden schliefen und nicht einmal das Geld hatten, sich bei McDonald’s einen Hamburger zu kaufen. Er machte ihnen Angst, und ich glaube, das machte wie­derum ihm Angst, und das war wohl auch der Grund, weshalb er es manch­mal so extrem auf die Spitze trieb.

      An irgendeinem Neujahrsabend hat John Vaccaro Candy Darling tatsächlich zwei Treppen runtergestoßen. Sie fiel sieben oder acht Stufen hinunter und wollte gerade wieder aufstehen, aber er stand direkt hinter ihr und schubste sie noch weiter die Treppe runter. Draußen tobte ein Schneesturm, und es lagen zehn Zen­timeter Schnee, und er schubste sie in ihrer eleganten Abendgarderobe in den Schnee. Aber damit es an dieser Stelle keine Missverständnisse gibt: Candy liebte es, in den Schnee geschubst zu werden. Sie liebte diese dramatischen Situationen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie sich bereits am nächsten Tag wieder blicken ließ und sich beim Tee mit ihm über den Vorfall der letzten Nacht unterhielt.

      Man darf auch nicht vergessen, dass alle auf Speed waren, und da blieben natürlich die großen Dramen und Gefühlsausbrüche nicht aus. Die Auseinan­dersetzungen verliefen immer extrem dramatisch, und vor allem spielten sie sich häufig in der Öffentlichkeit ab – im Hinterzimmer vom Max’s wurden Ohrfei­gen verteilt, Drinks in die Gesichter geschüttet und Flaschen über die Schädel gezogen.

      Penny Arcade: Jackie Curtis hatte ein Theaterstück mit dem Titel Femme Fatale geschrieben, das auf Gegebenheiten basierte, die Jackie Curtis, ich und ein Typ namens John Christian erlebt hatten. Aber John Christian entpuppte sich als Oberjunkie, der unter extremer Platzangst litt. Er weigerte sich strikt, seine Wohnung zu verlassen und in unserem Theaterstück mitzuspielen. Deshalb teilte mir John mit, dass dieses Mädchen da, Patti Smith, die Rolle von John übernehmen würde.

      Die meisten Leute fanden Patti ziemlich hässlich – als ob es eine Sünde wäre, hässlich zu sein. Aber sie war gar nicht so hässlich, sie sah einfach nur aus, wie damals kein Mensch aussah. Sie war wirklich sehr dünn und immer sehr merkwürdig angezogen. Sie hatte diesen Look, der absolut auf sie zugeschnitten war, und im Nachhinein betrachtet kann man sagen, dass sie die Vorläuferin der Punkbewegung gewesen ist. Sie trug immer diese espadrilleartigen Ringer­schuhe, hautenge schwarze Hosen und meistens ein weißes Herrenhemd, das sie in die Hose steckte, und darunter trug sie ein Herrenunterhemd. Sie trug nie einen BH und hatte ein sehr ausgemergeltes Gesicht und sehr schwarze Haare. Und nachdem sie schwanger geworden war, war ihr Bauch voller Schwanger­schaftsstreifen. Und da sie ihre Hose immer unterhalb der Hüften trug, konnte man immer diese Schwangerschaftsstreifen sehen.

      Als Jackie und ich Patti zum ersten Mal trafen, warnte mich Jackie: „Trau diesem Mädchen nicht, sie ist eine soziale Aufsteigerin.“

      Aber mir war das völlig egal. Während der Proben zu Femme Fatale wurde ich schwanger, und eine Abtreibung war natürlich illegal. Ich hatte gehört, dass es eine Fehlgeburt auslösen würde, wenn man sich ein Intrauterinpessar ein­setzen lässt. Das war natürlich ziemlich bescheuert und auch nicht ungefähr­lich, aber ich bin trotzdem zu meinem Gynäkologen nach Allenville gefahren und habe mir ein Pessar einsetzen lassen. Es ging mir richtig gut, und ich bin wieder zu den Proben erschienen. Dann hatte ich ein Blackout und bin aus den Proben ausgestiegen. Während ich zusammen mit Patti im Fahrstuhl hinun­tergefahren bin, hatte ich eine Fehlgeburt.

      Patti fragte mich ständig: „Sehe ich aus wie Keith Richards? Wie sehen meine Haare aus? Sehen sie aus wie die von Keith Richards?“Ich antwortete ihr: „Ja, irgendwie schon“, weil es mir völlig schleierhaft war, weshalb alle wie Keith Richards aussehen wollten.

      Ich bin am nächsten Tag nicht zu den Proben erschienen und habe mich auch nicht telefonisch entschuldigt, und als ich dann wieder zu den Proben erschien, waren alle stocksauer auf mich. Tony Ingrassia, Jackie Curtis und all die anderen schnauzten mich an:„Wieso bist du einfach nicht gekommen?“ Bla, bla, bla. Und während ich dastand und ihr Gekeife über mich ergehen ließ, kam Patti auf mich zu und gab mir diese rausgerissene Seite aus ihrem Tagebuch. Darauf stand: „Heute habe ich ein Mädchen namens Penny Arcade kennen gelernt, sie ist wirklich cool, und ich mag sie sehr, und ich fände es schön, wenn sie meine Freundin wäre.“

      Also wurden Patti und ich Freundinnen. Ich glaube, dass sie damals eigent­lich mit Robert Mapplethorpe im Chelsea Hotel gewohnt hat, aber dann hat­ten sie sich eine eigene Wohnung gemietet, ein Loft, das ein paar Häuser vom Chelsea Hotel entfernt war.

      Jayne County (die vor ihrer Geschlechtsumwandlung Wayne County hieß): Jackie Curtis war einfach umwerfend in Femme Fatale. Am Ende des Stücks wurde sie an einer IBM­Karte gekreuzigt. Wir hatten eine überdimensionale IBM­Karte, und an die haben wir sie angenagelt.

      Nach der Aufführung von Femme Fatale haben wir in einem anderen Stück mitgespielt. Es hieß Island. In diesem Stück habe ich einen Transvestiten­Revo­lutionär gespielt und Patti Smith einen Speedfreak, der auf Brian Jones steht und sich auf der Bühne seine Schüsse setzt. Natürlich war es nur simuliert, dass sie sich Speed gespritzt hat. Gleichzeitig hat sie immer wieder geschrien: „Brian Jones ist tot!“

      Das war Pattis große Stunde