Abb. 6: Gymnasium Wendelstein: Fuchy & Rudolph, München; Fotograf: Oliver Heinl
Die Ausweitung von geöffneten, halböffentlichen Räumen innerhalb des Schulbaus etwa mit anschließenden Hofsituationen ist Teil des architektonischen Konzepts der Würmtal-Realschule in Gauting (Lamott & Lamott, Stuttgart). Hier setzt sich die Fläche eines Innenhofs – möbliert und mit einem eigenen Zugang vom Musikraum aus – nach innen als zentrale Halle fort, wo sie sowohl als Eingangshalle als auch als Zentrum der Schule fungiert. Mit den um sie zu erweiternden Räumlichkeiten für Musik und Mehrzweckaufgaben, aber auch für die Nachmittagsbetreuung und das Schülercafé, konnte so ein organisatorischer Mittelpunkt für die vielfältigen Veranstaltungsformate der Schulfamilie gewonnen werden (vgl. Abb 7).
Abb. 7: Würmtal-Realschule Gauting: Lamott & Lamott, Stuttgart; Fotograf: Werner Huthmacher
Ebenso wurde die Münchner Ernst-Barlach-Schule (Bauer/Kurz/Stockburger & Partner, München) mit großer Sensibilität entwickelt, denn von den rund 300 Schülern (zu den Ernst-Barlach-Schulen der Stiftung Pfennigparade gehören sowohl Grund-, Haupt-, Real-, und eine Fachoberschule, dazu kommen Verwaltung, Therapieräume und die Küche) nutzt etwa die Hälfte einen Rollstuhl. Im markanten, geschwungenen Neubau der Grund- und Hauptschule – er ist mit drei Geschossen um ein Stockwerk niedriger als der bestehende Baukörper – sollten daher eine auf individuelle Formen der Mobilität angelegte Infrastruktur wie auch eine lichthelle, jederzeit angenehme Raumatmosphäre angeboten werden. Das Atrium ist eine funktional sehr effiziente, in der Vertikalen durchgehend geöffnete Zone. Die Schüler erreichen sie über eine Rampe, wenn sie mit Kleinbussen oder der schuleigenen Buslinie an der Schule ankommen und die Fahrzeuge in der Unterzone verlassen haben. Vom Foyer aus führt sie der umlaufende Rampenweg zu ihren in den oberen Stockwerken gelegenen Klassenzimmern. Rampen boten in der Geschichte der Architektur von der Renaissance bis zu Le Corbusier immer wieder spektakuläre Raumlösungen, zudem ist die schräge Fläche ebenso Erschließungs- wie auch Kommunikationszone. Die Architektin und Autorin Elisabeth Blum nennt die Rampe deshalb ein Intensivierungsinstrument von Wahrnehmung (…).79 Da sich alle Erschließungsflächen, die Spiel- und Aufenthaltsräume in Galerien zur Mittelzone öffnen, entsteht hier ein hochtransparenter öffentlicher Raum, der eine wichtige Funktion für die Organisation und das darin beheimatete soziale Gefüge einnimmt (vgl. Abb. 8).
Abb. 8: Ernst-Barlach-Schule München: Bauer/Kurz/Stockburger & Partner, München; Fotografin: Laura Reichert
Die einladende, lichterfüllte und multifunktionale, das Schulgebäude bereichernde Halle darf jedoch keine repräsentative Autonomie besitzen. Ihr Einsatz in der pädagogischen Schularchitektur schafft Vorteile für den Betrieb, erleichtert Gemeinschaft und lädt zu Aufenthalt, Handlung und Kooperation ein. Als Versammlungsstätte der Schulfamilie und der mit der Schule verbundenen Bürger*innen – heute oft kurz ‘Marktplatz‘ genannt – wird sie Teil einer eigenen, einer Schul-Ikonologie: als Hinweis auf eine wertorientiere, schülergerechte und erlebnisreich-individualisierte Pädagogik, ein neue Lernkultur80 für die Schule von morgen (und heute!).
1 Zum o. a. Begriff s. die Handreichungen der Montag-Stiftungen Jugend und Gesellschaft und Urbane Räume sowie die von ihnen hrsg. Schrift: Schulen planen und bauen. Grundlagen und Prozesse, Berlin 2019.
2 W. Böhm, Die Reformpädagogik. Montessori, Waldorf und andere Lehren, München 2012. Im Jahr 1919 erhielt Rudolf Waldorf den Auftrag zum Bau einer Schule nach seinem Konzept, die heutige Uhland-Schule, in Stuttgart. Bereits zuvor hatte Maria Montessori ihre pädagogische Arbeit begonnen. Zum o. a. Zusammenhang s. A. Richter, Reformpädagogische Schularchitektur in Württemberg und Bayerisch-Schwaben. Zur baulichen Manifestation erzieherischer Forderungen im Heimatstil, Hamburg 2004.
3 Der Begriff ist hier rein phänomenologisch (und nicht im architekturtheoretischen Diskurs) zu verstehen, s. a.: https://archipendium.com/architekturwissen/architektur-lexikon/transparenz/, abgerufen am 18.3.2019.
4 S. bes. Pädagogik und Architektur, hrsg. von Ch. Rittelmeyer, Köln 1994 sowie Ders., Schulbauten positiv gestalten. Wie Schüler Farben und Formen erleben, Wiesbaden/Berlin 1994.
5 Enzyklopädisch ist der Begriff kaum erfasst, s. etwa in: https://brockhaus.de/search/, abgerufen am 24.3.2020. Eine Definition dagegen bei B. Weyland, Schulen gemeinsam planen zwischen Pädagogik und Architektur, in: Lernen und Raum entwickeln. Gemeinsam Schule gestalten, hrsg. von B. Weyland und J. Watschinger, Bad Heilbrunn 2017, S. 169-182, hier: S. 174.
6 Die Bundesrepublik Deutschland hat die diesbezügliche Konvention der UN im Jahr 2009 ratifiziert.
7 S. dazu u. a. folgende Buchpublikationen: Inklusion: Gefordert! Gefördert? Schultheoretische, raumtheoretische und didaktische Zugänge, hrsg. von W. Schönig und J. A. Fuchs, Bad Heilbrunn 2016; Inklusion sucht Raum. Porträtierte Schulentwicklung, hrsg. von W. Schönig und Ch. Schmidtlein-Mauderer, Bern 2015; Dies. (Hrsg.), Gestalten des Schulraums. Neue Kulturen des Lernens und Lebens, Bern 2013.
8 Hier und im Folgenden wird die grammatische Form des generischen Maskulinums verwendet.
9 Der BLLV hatte bereits 2009 mit einem Symposium an den Zusammenhang von Pädagogik und Schulbau aufmerksam gemacht, s. a.: https://www.bllv.de/fileadmin/BLLV/Download/Akademie/Fachsymposien/2009_schulbau_rittelmeyer_literatur.pdf, abgerufen am 18.3.2020.
10 https://www.zeit.de/2019/05/schulgebaeude-gymnasium-architektur-innovation-freiraum/seite-2, abgerufen am 27.3.2020.
11 Aus einem Vortrag von Prof. Dr. Alfred Holzbrecher, PH Freiburg (13.6.2012), Der Raum als ‘dritter Pädagoge‘. Schularchitektur und Lernkultur, aus: https://www.phfreiburg.de/fileadmin/dateien/fakultaet1/ew/ew1/Personen/holzbrecher/8.Holzbrecher_Schularchitektur.pdf,