Dennoch unterliegt die beabsichtigte Erweiterung der Konzepte (und damit die Öffnung der Räume) sichtbaren Limitierungen. Der frühere Präsident des Instituts für Europäische Bildung und ehemalige Würzburger Ordinarius für Pädagogik, Winfried Böhm, macht den engen raumgebundenen Zusammenhang von pädagogischen Konzepten und den dafür begrenzten räumlichen Möglichkeiten klar. Offene Situationen im Schulbau seien zwar ein vielseitiges Desiderat, doch habe sich in der Geschichte des Bildungsbaus bisher niemals die Agora oder die Piazza als Gegenentwurf zum altgewohnten, in Architektur manifestierten (und längsrechteckigen) Schulraum etablieren können.57
Anders als im Schulhaus früherer Zeiten,58 bes. auch bei der (i. d. R. repräsentativen) Architektur von Bildungsbauten wie etwa Universitäten, Bibliotheken oder Sportstätten wird die stereotype Verwendung von typologischen Schulbaumustern indes v. a. insofern praktiziert, als sich Raumkonzepte etwa addierend pragmatischer umsetzen lassen. Die für die Förderung notwendigen Richtlinien orientieren sich, mehr als es angesichts der dynamischen Situation zu vermuten wäre, vorwiegend an Flächengrößen.59 Jedoch tragen pädagogische Konzepte und die Auseinandersetzung mit den individuellen Anforderungen einer Bereicherung zu, so dass Schulbau zunehmend wieder in einen von didaktischen und auch methodischen Erwägungen geprägten, architektonischen Diskurs eintritt. Darin werden heute weniger ästhetisch-gestalterische Aspekte betrachtet, sondern zunehmend Konzeptionen einer anwendungsorientierten Pädagogik. Für eine effiziente Verbindung beider Fachgebiete, der Pädagogik und der Architektur, kommen, zunächst noch in Einzelfällen, sog. Schulbauberater zum Einsatz. Nach Versuchen der Ausbildung geeigneter Kandidaten durch die Montag-Stiftungen (ab 2014/15) nahm ab 2017/18 PULS+ als multiprofessionelles Pilot-Projekt im gesamten deutschsprachigen Raum60 seine Arbeit auf, um Fachleute aus Architektur, Pädagogik und Bauverwaltung in einem EU-Projekt zur Begleitung von Schulbauprozessen zu qualifizieren. In Bayern bieten auch die Fortbildungsveranstaltungen der Bayerischen Architektenkammer ein geeignetes Forum.61 Die Situation des Schulbaus bildet sich zudem nun häufiger in einer Debatte ab, deren Verlauf auch in Publikationen, Fachtagungen und -exkursionen kommuniziert wird.62 Auch das Internet bietet hier einen umfangreichen Einblick.
Zu den vorgestellten Beispielen
Im Folgenden werden noch einige Projekte vorgestellt, die auf die o. a. Anforderungen reagieren und diese besonders innovativ umsetzen.
Es ist hervorzuheben, dass die Auswahl für diese Darstellung äußerst eng ist und sich auf die Eingangshalle, also ein Einzelmerkmal, bezieht. Einige weitere Schulbauten - bereits dokumentiert oder auch weitgehend unbeachtet63 - lassen eine sorgfältige Auseinandersetzung mit pädagogischen Zielsetzungen erkennen. Diese Lücke im Sinne einer Gesamtdarstellung des bayerischen, pädagogischen Schulbaus ab etwa der Jahrtausendwende zu schließen,64 ist bislang noch ein Desiderat.
In welchen Bereichen lassen sich raumoffene Lösungen realisieren?
In der Makroebene gibt es hier hauptsächlich zwei wesentliche Themen: die Schule als Stadtteil- bzw. Bürgerhaus/-zentrum sowie ihre Verbindung mit außerschulischen Lernorten.
Beide Definitionen erweitern das Spektrum der Schule als Ort der Bildung, zum Aufbau von Kompetenzen und als soziale Begegnungsstätte erheblich. Die Schule und ihre externen Verbindungen – allein die Augsburger Westpark(grund)schule etwa unterhält etwa 30 Kooperationen mit Partnern aus den Fachgebieten Umwelt, Sport, Kunst; die Stadtbibliothek betreibt in ihren Räumen eine auch für Nutzer aus dem Stadtteil nutzbare Lesestation – bietet Transferpunkte zu Lernorten wie Museen, Werkstätten, Theater- und Kulturstätten, aber auch zu Kirchen, Betrieben, sozialen Einrichtungen und Hochschulen/Universitäten.65 Stadtteilzentren bieten Elemente der Kinder- und Jugendarbeit, der Förderung von Schülern oder integrierte Angebote an. Im Stadtteilzentrum Milbertshofen bei München etwa gibt es kreative und lernorientierte Freizeitgestaltungen, im Bürgerhaus Pfersee (Augsburg) werden, neben Ferienangeboten für Schüler, Kinder von Geflüchteten unterrichtet. Während solche Projekte in Skandinavien seit Jahren große Beachtung erfahren, sind sie in Bayern bislang Gegenstand der Arbeit von privaten Vereinen und weniger Teil der Schullandschaft.66
Die Gestaltung der Freiflächen der Schule ist ein ebenso vielseitiger wie kreativer Bereich, der besonders mit der Anlage von begehbaren Flächen, dem Pausenhof oder Sportstätten besetzt werden kann. Von bedeutender pädagogischer Qualität kann die Einbeziehung von Schulgärten und naturnahen Schulumfeldern werden, denn neben Kompetenzen im freiräumlichen Lernen, in Bewegung und Sport ist der respektvolle Umgang mit der Natur und der Übernahme von Verantwortung – etwa mit der Pflege von Pflanzen und Beeten oder der Übernahme einer Patenschaft für Nisthilfen oder Bienenstöcke - eine Aufgabe der nachhaltigen Entwicklung und damit zugleich eines der obersten Bildungsziele des Freistaats.67 Einige Schulen entwickelten bereits beachtliche Kreativität in der Umsetzung und werden darin gefördert.68
Die wichtigste an die Architektur der Schule gebundene Plattform für raumoffene Lösungen sind dann vorwiegend die Klassenzimmer, sowohl in ihrer Variabilität, d. h. Erweiterungsfähigkeit durch Zusammenlegung von Räumen und Zonen (etwa Verkehrsflächen), der Nutzung von Ergänzungs- und Förderflächen, als auch in der konzeptionellen Anlage innerhalb des Schulgrundrisses. Die verschiedenen Möglichkeiten – neben Lernlandschaften also die Cluster, Lerninseln, Lernhäuser, als die zentralste, wertigste und effizienteste Ressource sind nicht Teil der vorliegenden Darstellung.69
Anwendungsoffen und vielseitig zeigen sich außerdem Lernateliers und Lernwerkstätten: Hier werden anregende Lernumgebungen mit ausgewählten Unterrichtsmaterialien