Schule in Bayern: früher und heute
In Bayern wird der enge Zusammenhang zwischen Lernen und Raum beim Neubau, bei Ergänzungen oder aktualisierten Redaktionen des Bestands von Schulen immer einflussreicher, dabei werden auch lokale Richtlinien formuliert.17 Aus den Tendenzen zur Entwicklung und Umsetzung pädagogischer Elemente in die Architektur der Schule lassen sich deshalb immer mehr gebaute Beispiele identifizieren. Sie sind die Konsequenz einer sich verändernden und zunehmend inhomogenen Gesellschaft, entsprechen aber auch dem Bestreben nach umfassender Teilhabe an Bildung, nach Digitalisierung, nach Ganztagsmodellen und den daraus abzuleitenden differenzierten Lehr- und Lernmethoden. Dabei bot der Schulbau stets ein Forum, um in materiell gewordene, bauliche Antworten auf die pädagogischen Einstellungen der Zeit zu finden.18 Bereits im Schulbau der 1950er Jahre waren große, und durch in Glasflächen geöffnete Außenflächen auch weitgehend lichterfüllte Klassenzimmer sowie eine mobile, frei bewegliche Möblierung wichtige Elemente der Schule bzw. ihrer Ausstattung, etwa in den Volksschulen in der Weißenseestraße, München (1954), oder am Münchner Marsplatz (1957) des Architekten und Karikaturisten Ernst Hürlimann.19 Die Forderung nach großzügiger Belichtung und Belüftung wurde in Schulbautagungen (z. B. in Stuttgart 1950) formuliert und, etwa in Kleinschulhäusern bzw. sog. Pavillons realisiert, wie sie etwa von dem Augsburger Stadtbaurat Walther Schmidt in den Stadtteilen im Spickel (1951) und in der Birkenau (1952) projektiert wurden.20 Eine offene Bauweise mit möglichst wenigen Stockwerken und einer eher wenig repräsentativen Fassade, wie etwa bei der Würzburger Mozartschule (1955-57), entsprach ganz dem zeitgenössischen Anspruch an die Schularchitektur.21
Der landesweit überwiegend noch aus dem frühen 20. Jahrhundert und zuvor stammende Bestand ist vor allem in den späten 1960er und 1970er Jahren durch zahlreiche Neubauten ergänzt worden, die die Topographie des Bildungswesens bis heute prägen. Viele Schulen zeigen noch heute das intensive Bemühen um Umsetzung des pädagogischen Diskurses jener Zeit.22 Einflussreich hatten hier gerade auch Publikationen gewirkt, die eine ‘deutsche Bildungskatastrophe‘ thematisierten.23 Unter den Kultusministern Dr. Ludwig Huber (1964-1970) und Prof. Dr. Hans Maier (1970-1986) standen daher tiefgreifende Reformen des Bildungswesens und der Bildungspolitik im Mittelpunkt.24 Bayern, in dem bis heute ein vertikales Schulprinzip gilt, erprobte dabei verschiedene Modelle, wie etwa das Schulzentrum (z. B. in Ingolstadt-Südwest, die sog. Ochsenschlacht, mit Hauptschule, Realschule und Gymnasium, errichtet bis 1977) – mit tief gestaffelten Grundrissen, in denen innenliegende, fensterlose Räume über Dachluken und künstlich belichtet sowie mit mechanischer Lüftung versehen wurden - und die seltenere Gesamtschule (z. B. in Treuchtlingen, 1975). Die Querverbindungen verschiedener Schultypen im gleichen Haus, die sich in der Architektur in einer weitgehend nach innen gerichteten Transparenz abbildeten, schienen dort zunächst erfolgreich.25 Sie konnten zwar nicht die gesamtstaatliche Schulentwicklung nachhaltig beeinflussen, gleichwohl sind in der ab 1970 neu eingerichteten Kollegstufe Anregungen zu einer organisatorischen (und i. W. damit auch einer baulichen) Öffnung des Unterrichts aufgenommen worden. Das Stammklassenprinzip wurde hier erstmals aufgelöst. Die etwa gleichzeitige Reformierung des Studiums wie auch der Lehrerausbildung begründeten zudem Einrichtungen, die in späteren Jahrzehnten zur Entwicklung individueller Profile in der Schulbauforschung beitragen sollten. Das gilt für die schulpädagogischen Lehrstühle einzelner Universitäten (mit der Integration der ehem. Pädagogischen Hochschulen) ab 1972, die Akademie für Lehrerfortbildung in Dillingen (1971), im Weiteren für das Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (ISB) in München (1971) wie für das Bildungsministerium selbst.26
Bereits im Schulbau der späten 1960er Jahre hatte sich dabei eine vermeintliche Errungenschaft der Gegenwart gezeigt: der ‘Marktplatz‘. Statt zum bloßen Pausenaufenthalt bei schlechtem Wetter sollte er Aufenthalts-, Versammlungs- und Ausstellungsqualität besitzen, günstigerweise über eine Bühne und die Möglichkeit zur klassenübergreifenden Nutzung verfügen. Hier erinnerte man sich an das Prinzip, das bereits der Bremer Oberschulrat und Schulplaner Wilhelm Berger in den Nachkriegsschulbau seines Bundeslands eingeführt hatte.27 Eher gleichförmig verlief indes die äußere bauliche Gestaltung der Schule in den 1970er Jahren: bestimmend war die Verwendung von Stahlbeton-Fertigteilen und deren additive Nutzung. In dieses Baukastensystem brachte das beginnende Interesse des mit seiner Architektur bald den deutschen Südwesten prägenden, späteren Architektur-Doyens Günter Behnisch am Schulbau Innovationen ein. Beim Josef-Effner-Gymnasium in Dachau beispielsweise (1974) reduzierte er mit einem unter Einsatz großer Glasflächen versehenen Rasterbau und einer aus der Vertikalachse gerückten Verbindung von Grundriss und Schnitten die andernorts schwerfällige Materialität im Innern und an der Fassade deutlich.28 Zwar gab es in den Jahren bis ca. 1975 noch einige andere Ausnahmen aus der insgesamt eher behäbigen Schulbaulandschaft. Bestimmend waren aber vorgefertigte, auf einem modularen System aufbauende oder auch in Ortbeton errichtete, monolithisch wirkende Schulgebäude. Das Ingolstädter Katharinen-Gymnasium (ugs. ‘Katherl‘, 1970) etwa erinnert an die prägenden Sichtbeton-Bauwerke jener Zeit, wie sie auch im Verwaltungsbau, im Kirchenbau, oder, ebenfalls von dem hier beauftragten Architekt Hardt-Waltherr Hämer, im nahen Stadttheater bestimmender Teil der Baukultur der Jahre um 1970 waren.
Eine wachsende Kritik an der damit konnotierten Inkompetenz sozialer Integrationsaufgaben solcher Bauwerke, an ihrer Maßstabs- und Formlosigkeit bereitete ein Umdenken im Schulbau vor, der zu individuelleren, weniger kühl wirkenden und vor allem zu kleiner dimensionierten Schulen – also einer Abkehr von Gesamtschulen und riesigen Schulzentren – führte; zudem kann noch für die Zeit vor 1980 von einer Bedarfsdeckung ausgegangen werden.29 Schulhäuser wurden nun wieder öfters mit Reminiszenzen an das Bauen im ländlichen Raum, wie etwa geneigten Dächern, in den Materialien Ziegeln und Holz, mit höherem Anspruch an räumliche Atmosphäre, haptische Erfahrbarkeit und auch wieder mehr von überschaubarer Größe ausgeführt. In dem für nur ca. 250 Schüler errichteten Neubau, den der kürzlich verstorbene, gelehrte Architekt Justus Dahinden30 für das Kleine private Lerninstitut Derksen (1989) entwickelte, spielten Behaglichkeit und die Akustik (‘Hörverstehen‘) der Schule eine große Bedeutung. Die ziegelgepflasterten, kleineren Klassenzimmer verleihen dem Interieur einen vertrauten Charakter. Wolfgang Schönig erinnerte sich in der Beschreibung dieser an die Schulwohnstuben des Jenaplan-Konzepts von P. Petersen aus den 1920er Jahren.31 Die Montessorischule Wertingen fand dagegen in einem