Seit den Jahren ab ca. 2000 ist die Topographie des bayerischen Schulbaus noch vielseitiger geworden. Seine eingehende Darstellung sollte auch in Bayern Teil autonomer Publikationen und besonders der jeweiligen öffentlichen Diskussion werden, damit Schule als Bauaufgabe des allgemeinen Interesses die ihr angemessene Darstellung erhält.34 Schulgebäude sind heute i. d. R. kostenintensive Bauprojekte, die u. a. aufwendige Maßnahmen des Brandschutzes, der Haustechnik und der Energieeffizienz einbeziehen. Das verleiht ihnen bisweilen ein gewisses Prestige, aber noch immer mangelt es an ihrer grundsätzlichen Einordnung gegenüber anderen Werken des Bildungsbaus.35 Eine besondere Anforderung richtet sich jedoch an den immer mehr am individuellen Bedarf der Nutzer orientierten methodischen und didaktischen Erwartungen: Differenzierte schulische Angebote mit den verschiedensten Fördermöglichkeiten, integrierte Angebote wie Bibliothek, Individualsport, Werkstätten, Fachkurse, Ausstellungen, Aufführungen, eine halbtägige und zunehmend auch ganztägige Beschulung, die Inklusion. Schule ist zudem barrierefrei, berücksichtigt partizipatorische wie demokratische Prinzipien und eröffnet vielfältige soziale Möglichkeiten:36 Zugleich übernimmt sie Funktionen von außerschulischen Einrichtungen, sie gerät vom ‘Lern- zum Lebensort‘37. Die lineare Teilung von Klassenräumen entwickelt sich zu Klassenhäusern, die von multifunktionalen Gesellschaftsräumen erschlossen werden.38 Die Organisation des Unterrichts mit einem Netz an Querverbindungen wird durch raumoffene Lösungen erleichtert, sog. Lernlandschaften entstehen.39 Neben der (wesentlichen) Anordnung, Aufteilung und Möblierung ihrer Räumlichkeiten besitzen außerdem Aspekte der Qualität von Licht und Luft, der Akustik oder der Farbgebung prägende Bedeutung. Der einflussreiche Südtiroler Pädagoge Josef Watschinger weist auf den Zusammenhang zwischen der Entfaltung kreativer Potentiale und der Architektur des Schulgebäudes hin, aber auch auf die dafür begünstigende Situation der in seiner Region geltenden Schulautonomie, mit der auch im kleinen Rahmen auf den Bedarf der Nutzer zugeschnitten geplant werden könne. Schule als einstige Stätte der Belehrung habe in Absicht der Erweiterung von Kompetenzen um einen Werkstattcharakter wesentlich erweitert zu werden.40 Wenn es gelingt, kognitive mit raumorganisatorischen Aspekten zusammenzuführen und Schülern, Lehrern, Mitarbeitern wie externen Partnern eine anregende, funktional sinnvolle und die Sinne ansprechende Umgebung zu bieten, lässt sich von der ‘Schule der Zukunft‘ (Rotraut Walden)41 sprechen.
Offene Räume – Transparenz: eine begriffliche Klärung
Ein häufig genutzter Begriff im Schulbau der Gegenwart ist die ‘Transparenz‘, mit der verschiedene Ansätze in der Architektur beschrieben werden.42 Für sie gibt es unterschiedlichste Interpretationen: pädagogischer, administrativer, soziologischer, oder auch städtebaulicher Art. Sie kann aber auch im architektonischen Kontext des Schulbaus stehen, und das ist der Schwerpunkt dieser Darstellung.
Die pädagogisch zu verstehende Transparenz prägt den Schulbau der Gegenwart zunehmend. Sie schafft neue Modelle, in denen vor allem die innere Aufteilung der Klassenräume und ihre Bezüge zueinander mit der Organisation des Unterrichts eng verbunden werden.43 Wesentlich dafür ist die Erkenntnis, dass sich der Schul(innen)raum vom reinen Lernraum zu einem vielseitigen Lebens- und Erfahrungsraum hin entwickelt, in dem durch Kompetenzen, Partizipation und Kooperationen wesentliche Bildungsanforderungen vorbereitet bzw. bereits umgesetzt werden.44 Dieser bedeutende Aspekt liegt jedoch, da andernorts thematisiert, außerhalb unserer Betrachtung.
In einer weiteren Auslegung des Begriffs ‘Transparenz‘ lässt sich an die Durchführung von Prozessen denken, die die Errichtung des Schulgebäudes als Bauwerk realisieren. Schulen werden heute in Bayern mit einem europaweit ausgeschriebenen Architektenwettbewerb45 an qualifizierte Planer nach einem Bewertungssystem vergeben und unter Einbindung des Sachaufwandsträgers, der Schulleitung und der Schulverwaltung bei den Regierungen ausgeplant. Für die Einbeziehung von Eltern- und Schülervertretern, von außerhalb ihrer politischen Vertreter stehender Mitglieder der betreffenden Gemeinde oder die Beauftragung von externen Schulbauberatern gibt es jedoch keine Verpflichtung. Das ist bemerkenswert, denn Beispiele aus dem Ausland legen den Schluss nahe, dass eine Partizipation der beteiligten Bürger*innen u. a. zu einer stärkeren Bindung und Mitbeteiligung am späteren Geschehen in der Schule führt.46 Die Bildungswissenschaftlerin Beate Weyland (Freie Universität Bozen) etwa richtet am Beginn eines Planungsprozesses ein sog. Bürgerbüro ein, das die Einwohnerschaft eines Ortes mittels spezieller Trainings zur Mitbeteiligung und -gestaltung einbindet. Im Vordergrund steht die Erkenntnis, dass die Schulfamilie in und mit ihrem Schulgebäude in einem vielseitigen System von Beziehungen steht.47 Zu einer Öffnung des vorbereitenden Prozesses und seiner Transparenz kann man außerdem Maßnahmen zählen, mit denen, gemeinsam mit den Nutzern, die organisatorischen Anforderungen an Schulbauten ermittelt werden. Gemeinsam mit der Erziehungswissenschaftlerin Cornelia Dinsleder ermittelt der Architekt und Pädagoge Andreas Hammon in sog. Reallabors so einen ‘Lernraum der Zukunft‘. Schüler entwickeln hier in Zeichnungen und Modellen etwa das Mobiliar ihrer künftigen Schule.48 Der Architekt Jan Weber-Ebnet beteiligt Jugendliche am Entwicklungsprozess von Projekten im Stadtraum, dabei geht es auch um Schulen.49
Schule schließlich ist weiter eine Rezeption der Demokratie im Kleinen. Gut 100 Jahre nach dem ersten Erscheinen des reformpädagogischen Schlüsselwerks Demokratie und Erziehung von John Dewey (1916), in dem die Schule als ein Abbild der Gesellschaft verstanden wird, sowie ein Jahrzehnt nach der Ratifizierung der sog. UN-Behindertenrechtskonvention durch die Bundesrepublik Deutschland (2009) befinden wir uns gerade mal an der Schwelle zu ersten eigenen Erfahrungen in der Umsetzung der Teilhabe aller Mitglieder der Gesellschaft, also auch der Menschen mit Einschränkung („Inklusion“), in die sog. Regelschule. Während diese Anforderung im europäischen Ausland50 und auch in Bayern längst zu einem beachteten Thema geworden ist, ja man vom gesellschaftlichen Nutzen der Inklusion für die demokratische Gesellschaft sprechen kann (Christina Hansen, ehem. Schenz),51 ließ hierzulande eine angemessene politische Rezeption lange auf sich warten. Die Übertragung der kooperativen Anforderungen der demokratischen Gesellschaft ist auch eines der Forschungsgebiete von Wolfgang