Problemzone Ostmann?. Ellen Händler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ellen Händler
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Биографии и Мемуары
Год издания: 0
isbn: 9783838275406
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Also: »Wie viele Asylanten sollen denn noch kommen?« »Die oben hauen sich die Taschen voll und wir gehen leer aus!« Für einfache Dinge sind Männern empfänglicher als Frauen. Ich kenne mehr männliche Sympathisanten als weibliche, aber Frauen gibt es dort auch. Bei der AfD sind nicht alle rechts. Das ist mit Sicherheit nicht richtig. Einige sind dabei, die besonders heimatverbunden sind. »Wir sind deutsch« – sie kommen aus dieser Richtung oder haben andere Motive. Ich glaube nicht, dass eine Partei, die so wenig homogen ist, als rechts einzuordnen ist. Man kann auch nicht von den Linken sagen, dass das alles Linksextreme oder nur Linksliberale sind. Bei der AfD ist ein Großteil nicht rechts, aber ich fürchte, dass sie mehr oder weniger von rechts vereinnahmt werden. Die bestimmen leider die Politik und das Meinungsbild. Wenn jemand gegen Corona auftritt, sind es zuerst die Rechten, die sich vorne anstellen.

      Der Ostmann hat bis zu einem gewissen Punkt mehr Schwierigkeiten, sich unterzuordnen. Aber eine Gleichsetzung – autoritärer Staat bedeutet autoritärer Mann –, das würde ich nicht so sehen. Ich hatte zu DDR-Zeiten ein relativ selbstbestimmtes Leben. Ich habe nie alles gemacht, was man mir angetragen hat. Ich machte meine Dinge aus Überzeugung. Im Westen war es genauso. Wer dort eine große Klappe hatte, der flog raus. Das war noch schlimmer als bei uns. Bei uns konnte jeder Arbeiter zu seinem Chef sagen: »Hey, Meister, das läuft schief, bring das mal in Ordnung.«

      Ost: Pfarrer, Hausmeister, West: Pfarrer,

      Leiter kirchliches Altenheim Vorsitzender des Kreisseniorenbeirats

      Was andere in der DDR nicht machen konnten,

      konnten wir machen

      Geboren bin ich 1932 in München und im Alter von fast drei Jahren mit meinen Eltern und meiner Schwester, die 1934 geboren wurde, in ein Dorf am Starnberger See gezogen. Mein Vater war mittlerer Beamter der Stadt München. Meine Mutter arbeitete nach der Heirat nicht mehr. Sie war in einer Schwesternschaft in Dresden selbstständig, gab alles auf und zog zu ihrem Mann nach München. In die Schule gegangen bin ich ab 1938. Ich war vier Jahre in der Volksschule und sollte auf die Oberschule kommen bzw. auf die Napola*. Mein Vater war 1925 in die NSDAP eingetreten, hatte aber keine Funktion. Für die Napola gab es ein Ausleselager, in dem ich für eine Woche war. Dort orientierte man sich am Erziehungsbild der Nationalsozialisten: »Hart wie Kruppstahl, zäh wie Leder und schnell wie ein Windhund.« Auch mein Vater erzog mich für den Führer. Ich sprach sogar ein Abendgebet, in dem es um ihn ging. Eigentlich entsprach ich all diesen Anforderungen nicht. Trotzdem wurde mir bescheinigt, dass ich die Oberschule besuchen durfte. In Landsberg am Lech hatte ich eine Aufnahmeprüfung dafür gemacht. Dort blieb ich bis Kriegsende in einem Internat.

      Wir wohnten etwas außerhalb des Dorfes. Am 30. April 1945, einem Montag, kamen die Amerikaner. Tags zuvor hatten wir keinen Strom mehr, dadurch auch keinen Radioempfang, später auch kein Wasser. Am Sonntag noch war am Bahnhof, etwa 15 Minuten vom Dorf entfernt, ein Zug mit KZ-Häftlingen abgestellt worden, der Tage lang eine Irrfahrt durch ganz Oberbayern gemacht hatte. Die Amerikaner ließen die fast verhungerten Menschen frei. Sie zogen durchs Dorf, denn die Amerikaner hatten bestimmte Wohnungen, so auch unsere, zur Plünderung freigegeben. Eine Woche später, am Sonnabend, sind sie zu uns gekommen, durchsuchten Schränke und nahmen alles, was sie brauchen konnten, mit. Sie fanden bei uns eine Zinkkiste mit einer alten Wehrmachtsuniform und gingen davon aus, dass dies eine SS-Uniform meines Vaters sein könnte. Wir konnten ihnen nichts erklären und so wurde mein Vater von ihnen geohrfeigt. Das war für mich schrecklich.

      Gleich zu Kriegsbeginn 1939 wurde mein Vater eingezogen. Er hatte sich freiwillig gemeldet. Als Zahlmeister, später Oberzahlmeister der Wehrmacht war seine Einheit 1941 nach Polen verlegt worden. Noch vor dem Russlandfeldzug erlitt er im Juni 1941 einen Nervenzusammenbruch und kam ins Lazarett sowie in die Reha. Meine Mutter besuchte ihn dort. Ich frage mich bis heute, ob er damals Dinge über die Judenverfolgung in Polen mitbekommen hatte. Das passte doch eigentlich nicht in sein Weltbild der Menschenwürde, so wie er es gelernt hatte. Ich habe noch eine Landkarte und einen Stadtplan von ihm mit eigenen Eintragungen. Das konnte ich nie klären. Obwohl er in der NSDAP war, den Führer liebte und stolz darauf war, ihm einmal in den 1920er Jahren persönlich die Hand gedrückt zu haben, muss ihn dies sehr betroffen haben. Er schied aus der Wehrmacht aus, hatte fast ein Jahr eine Reha-Kur in Bad Tölz, wurde entlassen und war ab 1942 wieder in seinem Beruf als mittlerer Beamter der Stadt München tätig. Er gab jedoch keine Ruhe, bis er wieder eingezogen wurde und im Heeresfürsorge- und Versorgungsamt in Augsburg arbeitete. 1944 wurden diese Tätigkeiten der Zivilverwaltung übergeben. So schied er wieder aus der Wehrmacht aus und war bei Kriegsende kein Soldat mehr.

      Ich habe nie mit ihm über diese Zeit gesprochen.

      Gleich nach dem Krieg sagte mein Vater: »Wir gehen am Sonntag in den Gottesdienst.« Ich fragte mich, was das soll. Die ganzen Jahre ging es ohne Kirche. Wir waren zwar ursprünglich evangelisch, aber aus der Kirche ausgetreten, gottgläubig, wie das so schön hieß. Ich musste dazu noch ein Lied auswendig lernen. Der Pfarrer lud uns Kinder zum Unterricht ein, am Montag von 8:00 Uhr bis 10:00 Uhr. Wir saßen aber bis 11:00 Uhr, weil das für uns so interessant und spannend war. Für mich vor allem, weil ich dort erstmalig erlebte, dass ich angenommen wurde, einfach so, wie ich bin, mit dem, was ich gesagt habe und was ich mir dachte, nicht bewertet wurde, ob man am stärksten, am kräftigsten oder am schnellsten war, dem Sollmaß beim Jungvolk entsprach. Ein Jahr später lud uns der Pfarrer zu einer einwöchigen Rüstzeit* ein mit Lernen, Spielen, Gesprächen. Obwohl es nicht weit von zu Hause war, wollten wir, meine Schwester und ich, unbedingt dort mitmachen und übernachten.

      1948 wurde ich konfirmiert, zwei Jahre später als gewöhnlich, weil ich noch nicht so lange kirchlichen Unterricht hatte. Zur Vorbereitung auf die Konfirmation gab es eine Woche lang eine Rüstzeit*. Da bekamen wir, zehn Jungs und 30 Mädchen, eine Woche schulfrei; es entstanden da viele Bekanntschaften. Nach der Konfirmation wurde mir klar, dass ich Theologie studieren wollte – mein Vater hatte, weil er das Gymnasium besuchte, alte griechische Bücher, und die hatte ich mir vorgenommen. Mit diesem Entschluss machte ich Abitur und ging auf die kirchliche Hochschule in Neuendettelsau. In den ersten beiden Semestern lernte ich Griechisch und im dritten Hebräisch. Die weiteren Semester absolvierte ich an den Unis in Erlangen und Heidelberg. Das erste kirchliche Examen legte ich 1955 in Ansbach ab. Danach ging ich ins Predigerseminar nach Bayreuth. In Erlangen hatte ich meine erste Frau kennengelernt. Sie kam aus einem Pfarrhaus und studierte Germanistik und Geschichte. Ich habe mich mit ihr zunächst verlobt, denn wir konnten nicht heiraten. In der Landeskirche durfte man erst mit 27 Jahren heiraten, oder wenn man das zweite Examen gemacht hatte, das hatte ich aber noch lange nicht.

      Zu uns ins Predigerseminar in Bayreuth war der Rektor des Predigerseminars aus Mecklenburg gekommen. Diese Kirche in Mecklenburg war die Partnerkirche von uns in Bayern. Es ging ihm darum, den Kontakt zur Partnerkirche zu festigen. Ich entschloss mich, mit meiner Verlobten nach Mecklenburg zu gehen. Dabei spielte eine Rolle, dass man innerhalb der Kirche etwas für die Partnerkirche tun wollte. Mir war das aber zu wenig, ich wollte etwas mehr erleben und erfahren. Als junger Mensch ist man bereit, den Aufbruch zu wagen, also etwas Abenteuer. Und außerdem mussten wir, damit meine Verlobte mitkonnte, vorher heiraten. So heirateten wir im Dezember 1956.

      Ich kam natürlich nicht sofort nach Mecklenburg, sondern hatte erst einmal eine Vikarsstelle in Fürstenfeldbruck bei München von 1956 bis 1957, bis wir endlich die Einreisepapiere erhielten und 1957 in die DDR fahren konnten. Meine Eltern hatten nichts dagegen, das stand gar nicht zur Debatte. Wir wurden, als wir ankamen, sofort DDR-Bürger, bekamen Personalausweise der DDR. Mein zweites Examen legte ich schon in Schwerin bei der mecklenburgischen Landeskirche ab.

      Die Situation war ziemlich schwierig, nicht so sehr von der mecklenburgischen Sprache her, die man gerne hörte und zu verstehen lernte, aber dass man zu wenig Kontakte zu anderen Kollegen hatte. Wir wohnten die ersten Wochen bei einem Kollegen, der ein paar Jahre älter war als ich. Ich fühlte mich ziemlich isoliert und wechselte 1965 zu einer Dorfpfarrstelle in die Nähe von Malchin. Hier war das Entscheidende für mich die Gemeindeseminararbeit, die wir zusammen mit drei weiteren Gemeinden entwickelten. Diese Idee kam von der brandenburgischen Kirche. Ich las darüber