Ich bin nur drei Monate bei der Armee gewesen. Das ist kein gutes Thema, was da mit den Männern gemacht wurde. Wenn man studieren wollte, musste man drei Jahre zur Armee. So war das in meinem Jahrgang. Diese drei Monate jedenfalls haben mir gereicht. Wer da drei Jahre dabei ist, der hat vielleicht gar keine Lust mehr zum Studieren, weil er am Boden ist. Das war für mich ein Verbrechen. Ich habe in Weimar von 1971 bis 1975 studiert, vier Jahre, denn damals gab es die Hochschulreform, die die Studienzeit reduzierte. Meine Berufsbezeichnung ist Diplomingenieurarchitekt. Gleich nach der Wende nannte ich mich Diplomarchitekt.
1974 lernte ich in den Semesterferien meine Frau kennen. Sie hat mich mit ihrer Schwester in ihr Elternhaus entführt, als die Eltern verreist waren. Die erste Nacht blieb ich natürlich da. Wir haben uns von vornherein gut verstanden und heirateten nach drei Jahren. 1978 und 1980 kamen beide Töchter am gleichen Tag zur Welt. Meine Frau ging arbeiten, sie studierte Musik, Deutsch und Pädagogik an der Humboldt-Universität mit dem Ziel Lehramt. Sie hielt es aber an der Schule im Beruf nicht aus, es war einfach nicht ihr Ding. Sie ging aus der Volksbildung raus und kam zum Rundfunk als Musikredakteurin. Das machte sie bis zur Wende.
1975 – also nach meinem Studium – gab es in der DDR keine Möglichkeiten, selbstständig zu werden. Bei Handwerksbetrieben ging das, aber in meiner Berufsgruppe nicht. Ich wurde über die Hochschule vermittelt, denn frei bewerben konnte man sich nicht. Ich hatte den Wunsch, wieder in Elternhausnähe zu kommen, nach Berlin, und das klappte. Im Wohnungsbaukombinat Berlin fing ich nahtlos nach dem Studium an. Als Absolvent hatte man erst mal so eine Art Probehalbjahr. Und da ein Architekt ein Planer ist, hat er in einem langen Investitionsprozess vorbereitend zu arbeiten. Meine Domäne war das Zeichnen. Viel war auf Plattenbau bezogen, bis hin zur Mitwirkung an dem Programm zur WBS-70*-Funktionsunterlagerung für das Neubauzentrum in Marzahn. Schon zu DDR-Zeiten gab es die Idee, die Untergeschosse der Häuser mit Läden und hinteren Lagerräumen zu bauen. Heute sehe ich die Plattenbauten positiv. Erstens deshalb, weil sie große Fenster, also viel Licht haben, was für die Menschen wichtig ist. Wenn man heute die Einfamilienhäuser sieht, haben das die Menschen vergessen. Zweitens gab es logische Grundrisse und drittens große Loggien. Die Berliner WBS-70-Serie hatte 4,80 Meter bis 6 Meter lange Balkone. Das war alles gut. Was wir als Architekten kritisierten, war der langweilige Städtebau an sich. Nichts war beweglich und nichts gewachsen. Der damals monotone Städtebau war vor allem deshalb entstanden, weil die Kräne auf Schienen nur 13 Meter Auslegung hatten. Die Technik in der DDR war nicht westlich. Die Platten konnten nur auf diese Weise montiert werden. Schuld waren aber nicht nur die Kräne, sondern das nur auf Quantität ausgerichtete Wohnungsbauprogramm. Heute gibt es Mobilkräne, die im Bau eine größere Flexibilität ermöglichen. Natürlich sind auch Gründerzeitgebäude abgerissen worden, das war in Ost wie West so durch die große Zerstörung im Krieg. Historische Quartiere wie der Alexanderplatz in Berlin sind verloren gegangen, weil man das teils zerstörte Quartier komplett abgerissen hat. Deshalb kam es zum Fernsehturm und dem heutigen Platz mit dem Märchenbrunnen. Darüber kann man gespaltener Meinung sein. Aber es kam noch die russische Philosophie der großen Plätze hinzu, was durch Moskau politisch beeinflusst wurde. Durch die Tonnenideologie, wie in der Karl-Marx-Allee, wurde die Zuckerbäckerarchitektur von Moskau aus über Walter Ulbricht der Stadt Berlin übergestülpt. Dinge, die ich heute anders werte, habe ich mir selbst in Moskau angesehen. Die gleiche Architektur wurde von Russland auf Deutschland Ost übertragen, weil das eine Machtfrage war. Da haben wir höchstens mal hinter vorgehaltener Hand und beim Bierchen über Meinungsfreiheit geredet. Eine kritische Diskussion gab es nicht. Es ging bis zum Berufsverbot. So weit habe ich es nicht betrieben, ich war kein Regimegegner. Ich habe mir stattdessen Nischen gesucht. Im Nikolaiviertel in Berlin hat man später versucht, es anders zu machen. Es ist liebevoller gebaut, da wurde mit neuem Plattenbaukasten sensibler gearbeitet. Später ging ich zur Bauakademie und durfte als Sonderbauvorhaben eine Kirche bauen, ein katholisches Gemeindezentrum, obwohl Kirche in der DDR nicht gefragt war. Dieses Gemeindevorhaben wurde vom Caritasverband in Westberlin bezahlt. Ich bekam den Auftrag wegen meiner guten Zeichnungen. Da war ich 31 Jahre alt und es war für mich eine große Sache. Wir waren ein Team, aber ich durfte es führen.
1977 habe ich angefangen, mein eigenes Haus zu bauen. In dieser Zeit war es sicher so, dass meine Frau Kinder und Haushalt gemacht hat und ich mit dem Bau mehr zu tun hatte. Aber für mich war der Haushalt kein Problem. Ich bin früh aufgestanden, denn meine Frau schlief gerne länger, habe die beiden Mädchen mit Frühstück versorgt. Multitasking als Mann, das ging alles. Ich war immer hoch belastbar. Meine Sicht auf die Gleichberechtigung ist deshalb gut, denn wir sind damit groß geworden und haben sie mitgetragen. Es war normal, dass die Frau arbeitete. Was im Kapitalismus für Denkweisen heute noch darüber existieren, hat uns eigentlich erschreckt. Ansichten wie im Mittelalter. In der Zeit des Hausbaus hatte ich noch kein Auto, und meine Hin- und Rückfahrt zur Bauakademie war lang. Außerdem war damals die DDR politischer Unterstützer des Irak. Ich sollte Militär-Baracken für den Irak zeichnen, das war nicht mein Ding. Ich zeichnete, fand es aber nicht gut. Auch Wohnungsbau in Libyen und Mozambique war eine Sache als Sonderbauvorhaben, die mir nicht lag. Dann wurde noch mein Gehalt gekürzt, weil ich oft in der Arbeitszeit bei der Baustoffversorgung anstand, wegen meines eigenen Hausbaus. Denn wenn man in der DDR ein Haus bauen wollte, musste man Beziehungen haben. Die hatte ich aber nicht und deshalb musste ich mich als normaler Bürger anstellen. Das alles kam zusammen. Näher an meinem Wohnort lag das DDR-Fernsehen. Ich hatte gehofft, dass man dort eine große Bauabteilung hatte, in der ich als Architekt arbeiten konnte. Ich bewarb mich. Allerdings stellte sich heraus, dass das Fernsehen keine Bauabteilung hatte. Deshalb bin ich als Szenenbildner in der Unterhaltung und dem Kinder- und Jugendfernsehen eingestiegen. Das war 1983/84. Ich war sehr erfolgreich, machte große Sendungen als Szenenbildner. Und dann kam die Wende.
Es war spät abends im Herbst 1989. Ich machte den Betonmischer aus, Schabowski* hielt die Rede, die keiner verstand, die Leute rannten los. Ich verstand das, wenn man in der Stadt wohnte. In meiner Gegend war das weiter weg. Hinzu kam, dass ich eine Außenproduktion in Buna* bei Halle hatte, da wurde Achims Hitparade* gedreht. Ich machte die Dekoration im Kulturhaus von Buna. Als die Mauer fiel, war mir das egal, denn als disziplinierter Mensch fuhr ich nach Buna. Ich bin quasi nicht durch die gefallene Mauer, sondern arbeiten gefahren. Ich dachte aber, dass der Mauerfall dufte sei. Wir gehörten nicht zu den Montagsdemonstrierern. Wir hatten zu DDR-Zeiten entschieden, uns als Ehepaar eine Nische zu suchen. Wir wollten nicht in den Westen, hatten früh unsere Töchter gezeugt und entschieden uns, weil wir Verantwortung für die Kinder hatten, zum Hausbau. Es war klar, dass wir bleiben würden, brav und artig sein und unser Ding machen würden. Wir haben uns also nicht die Augen zugehalten, sondern eine Alternative gesucht, danach, was möglich war. Als Eigenheimbauer konnte man nur typengerecht bauen, aber es gab Ausnahmen, wenn es ein Umbau war. Wir hatten auf dem Grundstück ein kleines Häuschen und ich stülpte darüber einfach einen Umbau. Im Endeffekt blieb nur acht Prozent vom Alten übrig, aber es sah ohnehin keiner mehr durch. Ich konnte die Nische nutzen und etwas Individuelles bauen.
Nach dem Mauerfall hatte auch ich die Illusion, dass jetzt alles besser werden würde. Es ist vieles besser geworden, im Konsumbereich. Ich fuhr einen alten Lada und Dank der neuen Finanzierungsmöglichkeiten der Banken konnten wir uns zwei ordentliche Autos kaufen. Ich habe natürlich einen BMW gewählt. Das wurde mir von der Bank als standesgemäß empfohlen. Jetzt nach der Wende wollte ich aber endlich die Möglichkeit haben, so beruflich einzusteigen, wie es in der DDR nicht möglich war. Dazu ist zu sagen, dass ich in den 1980er Jahren auch in die NDPD* – die Blockpartei zur SED – gegangen bin. In der DDR musste man in einer Blockpartei sein, um Freiberufler werden zu können. Bis zur Wende war ich da drin, dann ging sie in die FDP über. Das war mir zu blöd, kostete Geld, und nun gab es ohne in einer Partei zu sein die Möglichkeit, Freiberufler zu werden.
Ich musste mich nun entscheiden, ob ich beim Fernsehen, jetzt ARD und ZDF, weitermachen oder als Architekt einen neuen Anfang suchen wollte. Wenn man so viele Jahre raus ist, hat man aber den Kollegenkreis