Die Euro-Misere. Michael von Prollius. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael von Prollius
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Социология
Год издания: 0
isbn: 9783940431394
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Reaktion10

      Deflation ist das Gegenstück zur Inflation. Deflation ist zu allererst die Reaktion auf eine vorangegangene Inflation. Die Geldmenge schrumpft nach einer inflationären Geldmengenausweitung wieder. Dabei entlarvt die Deflation Investitionen, die erst im Zuge der Inflation in Gang gesetzt wurden, als unrentable Projekte. Rezession und Arbeitslosigkeit sind in einem solchen Fall regelmäßig die Folge. Preise fallen und die Wirtschaftsleistung schrumpft. Weil Unternehmen, Banken und Staaten im Zuge der Deflation Pleite gehen, verlieren Sparer Ersparnisse. Zweifelsohne ist die Deflation, wirtschaftlich wie politisch, eine schmerzhafte Entwicklung, für viele Menschen auch eine bittere Ernüchterung. Gleichwohl gilt: Die Inflation ruft die Blasenbildung hervor, die Deflation lässt Luft aus der Blase entweichen.

      Zur Zeit des Goldstandards war Deflation eine typische Korrektur betrügerischen Handelns von Banken. Diese hatten mehr Banknoten ausgegeben als Einleger Gold bei ihnen hinterlegt hatten. Sobald der Schwindel aufflog, verlangten die Halter der Banknoten die Herausgabe des ihnen versprochenen Goldes. Die ersten, die am Bankschalter erschienen, bekamen meist noch die versprochene Goldmenge, während diejenigen, die später kamen, leer ausgingen, weil die Bank bereits Bankrott war. Ihre Banknoten wurden wertlos, sie wurden nicht mehr als Zahlungsmittel akzeptiert, und die Geldmenge nahm ab. Die Deflation kam jedoch zum Stillstand, sobald die geschrumpfte umlaufende Papiergeldmenge dem tatsächlich vorhandenen Goldbestand der Banken entsprach.

      Der Goldstandard hatte also einen festen Ankerpunkt, an den sich die zuvor künstlich aufgeblähte umlaufende Geldmenge immer wieder zurückziehen konnte: die vorhandene Goldmenge. Im heutigen staatlichen Geldsystem existiert jedoch kein solcher Ankerpunkt mehr – Geld wird aus dem Nichts geschaffen, vor allem durch Kredite. In einem Staatsgeldsystem ohne Ankerpunkt birgt Deflation eine erhebliche Gefahr: Es kann eine Abwärtsspirale in Gang gesetzt werden, deren Endpunkt nicht absehbar ist.

      So führt das Schrumpfen der Geldmenge unweigerlich zu Kreditausfällen. Banken verbuchen Verluste und brechen sogar zusammen. Dadurch verlieren Sparer ihre Sichteinlagen, und so schrumpft die Geldmenge weiter. Unternehmenspleiten lassen die Arbeitslosigkeit steigen, und das erhöht wiederum die Kreditausfälle und die Bankenpleiten. Die Abwärtsspirale dreht sich immer weiter. Das Staatsgeldsystem kann regelrecht implodieren, wenn die Deflation einer vorangegangenen Inflation folgt. Das mag erklären, warum Deflation im Staatsgeldsystem so gefürchtet und das Heil in fortwährendem Inflationieren gesucht wird.

      Sollten die Zentralbanken die drohenden Verluste der Geschäftsbanken durch neu gedrucktes Geld zu finanzieren suchen, wird Inflation, also die Entwertung des Geldes die Folge sein. Weiten die Regierungen die bereits auf historische Höchststände gedrückte Staatsverschuldung aus, um den Verlustausweis bei den Banken zu vermeiden, so bedeutet das nichts anderes, als die offenen Rechnungen von der laufenden auf die künftige Generation der Steuerzahler abzuwälzen. Ob sie jedoch die ungeheure Schuldenlast, deren Begleichung die gegenwärtige Generation jetzt mit allen Mitteln auszuweichen versucht, auf sich nehmen wird, erscheint zweifelhaft – zumindest solange die Möglichkeit zur Abwanderung besteht.

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      10 Erstmals erschienen am 13. 3. 2010.

      Desaströse Deflation erzeugt nur der Staat11

      Die Große Depression in den USA ist der Inbegriff für die desaströsen Folgen von Deflation. Sie hat sich derart in das kollektive und in das individuelle Gedächtnis gebrannt, dass der US-Notenbankchef Ben Bernanke bei seiner aktuellen Geldpolitik völlig auf die 1930er Jahre fixiert zu sein scheint. Für Deutschland ist die Weltwirtschaftskrise und insbesondere die Politik von Reichskanzler Heinrich Brüning das Pendant dazu. Politik und Zentralbanken beschwören den Kampf gegen den Leviathan Deflation und brüsten sich zugleich damit, den Behemoth Inflation im Zaum zu halten.

      In den USA hat es nie wieder derartige deflatorische Ausmaße gegeben wie den Einbruch des Geldangebots um über 30 Prozent zwischen 1929 und 1933. Im Gegensatz zu früheren Rezessionen, darunter der scharfen Bereinigungskrise von 1920/21, setzten sich in den 1930er Jahren die Interventionisten durch. Sie empfahlen die Preise und Löhne auf dem Niveau vor der Deflation zu fixieren. Diese von den US-Präsidenten Hoover und Roosevelt umgesetzte Wirtschaftspolitik ist unter dem Namen „New Deal“ bekannt geworden. Der New Deal war eine Mixtur aus staatlichen Ausgaben und Kreditvergaben, Regulierungen und Besteuerungen; er wurde interessanterweise von einer stark expansiven Geldpolitik begleitet.

      Die Folgen waren verheerend. Die Anpassung der Wirtschaft wurde ausgehebelt, die Investitionsfähigkeit und - bereitschaft der Unternehmen für ein Jahrzehnt abgewürgt. Die künstlich hoch gehaltenen Löhne sorgten für eine bis dato unbekannte Massenarbeitslosigkeit, die sich 1933 auf bis zu 25 Prozent der Beschäftigten ausdehnte. Erst die Politik des New Deal schuf die Große Depression. Der Versuch, Preise und Löhne während der Deflation hoch zu halten, verhinderte die reinigende Preisanpassung und zwang die Produzenten zu rein quantitativen Maßnahmen in Form reduzierter Produktion und historisch einmalig hohen Entlassungen, urteilt Steven Horwitz in „Deflation: The Good, the Bad, and the Ugly“. Hätte die Regierung es zugelassen, dass sich Preise und Löhne in der Rezession anpassen können, wäre die Krise immer noch heftig gewesen, hätte aber nicht derart desaströse Ausmaße annehmen können.

      Auch in Deutschland dürfte der Deflationsprozess zu Beginn der 1930er Jahre nicht weit genug gegangen sein. Die Zinssätze erreichten auf dem Kapitalmarkt im Urteil von Zeitgenossen nicht das erforderliche niedrige Niveau, um eine Wende einzuleiten. Im Sommer 1932 lagen die Produktionskosten noch über dem Niveau, das für einen Aufschwung angemessen gewesen wäre. Zudem blieben die Strukturprobleme ungelöst, darunter die im August 1931 etablierte Devisenzwangswirtschaft und Prohibitivzölle. Eine ähnliche Abschottungspolitik wurde von allen westlichen Regierungen praktiziert. Infolgedessen knickte die Exportwirtschaft als letzte Stütze der Binnenkonjunktur ein. Das politische Verhängnis nahm seien Lauf.

      Entgegen verbreiteter Auffassungen hatte Reichskanzler Brüning keine echte Deflationspolitik verfolgt, denn seine Maßnahmen zielten nicht auf ein Schrumpfen der Geldmenge, sondern auf eine Haushaltskonsolidierung, möglicherweise auch auf eine Beendigung der Reparationszahlungen ab. So griff die Regierung Brüning direkt in den Markt ein und drückte die Preise künstlich per Anordnung nach unten. Die negierte Preisrealität beeinträchtigte die Anpassungsfähigkeit der Wirtschaft in der größten Korrekturkrise der Welt zusätzlich zu den zahlreichen hemmenden Regulierungen der 1920er Jahre. Deutschland steckte in einer massiven Schuldenkrise und hatte vermeintlich „goldene Jahre“ durch eine auf Pump finanzierte konjunkturelle Scheinblüte erlebt.

      Selbst spätere Neoliberale wie Wilhelm Röpke sahen angesichts des kumulativen Abschwungs – infolge einer fortgesetzten Kreditkontraktion, mit dem das Geldangebot zurückging, bei nach unten starren Löhnen und einem Nachfrageausfall mit Tendenz zu weiter sinkenden Preisen und steigender Arbeitslosigkeit – eine Reflation durch die Zentralbank als geeignetes Mittel an. Eine derartige Sichtweise kann allenfalls im Hinblick auf die sich abzeichnenden architektonischen Verschiebungen in der (deutschen) Politik der frühen dreißiger Jahre überzeugen und überdeckt die eigentlichen Krisenursachen. Allerdings ergriffen die Nationalsozialisten im Januar 1933 bekanntlich nicht die Macht, sondern sie wurde ihnen übertragen.

      Tatsächlich gibt es die viel beschworene Abwärtsspirale aus sinkenden Preisen und einbrechender Wirtschaftsaktivität ins Bodenlose nicht. Die reale (!) gesamtwirtschaftliche Nachfrage kann nicht urplötzlich einbrechen. Wir haben es vielmehr mit einer relativen Verschiebung in der Nachfrage von Konsum- und Investitionsgütern beziehungsweise einer Verlagerung innerhalb der beiden Gütergruppen zu tun. Zudem kann es zu einem Rückgang des Preisniveaus kommen. Stets bleibt aber die Gesamtnachfrage unverändert. Deflation – die Schrumpfung der Geldmenge – ist ohne vorangegangene Inflation unmöglich. Es gibt kein grundloses Rennen in den Abgrund. Die amerikanische wie die deutsche Wirtschaft steckten 1930 in einer Doppelkrise aus grundlegenden Strukturproblemen und einem inflationären, nicht aufrecht zu erhaltenden Wachstum.

      Deflation verändert als drastische Verringerung der Geldmenge zwar die Wohlstandsverteilung,