On the Road. Hans-Christian Kirsch. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans-Christian Kirsch
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Философия
Год издания: 0
isbn: 9783862870592
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      In Kneipengesprächen wird er später erzählen, er sei von einem brutalen Maat sexuell missbraucht worden.

      Als das Schiff seinen Bestimmungsort erreicht hat, dauert es lange, bis die Geräte, die zum Bau eines Flugplatzes bestimmt sind, ausgeladen sind.

      Zusammen mit einem anderen Matrosen ersteigt Jack einen 3.000 Meter hohen Berg. Beim Abstieg lösen die beiden einen Erdrutsch aus. Sie können sich nur mit knapper Not davor retten, von den Geröllmassen in die Tiefe mitgerissen zu werden.

      Ehe sie die Rückreise antreten, kommt die Nachricht, dass ein Schwesterschiff von den Deutschen versenkt worden ist.

      Die Herbststürme lassen die unbeladene Dorchester wie einen Korken auf den Wellen tanzen.

      Im Oktober 1942 läuft das Schiff wieder in den Hafen von Boston ein. Zwei Freunde - G.J. Apostolakis, der bei der Küstenwache untergekommen ist, und Sammy Sampas - warten auf Jack am Kai.

      In Lowell findet er ein Telegramm von Lou Little vor. Es lautet: ›Du kannst in die Mannschaft zurückkommen, falls Du bereit bist, den Bullen bei den Hörnern zu packen.‹20

      Kaum drei Tage von Bord, ist Jack schon wieder in Columbia, verdient sich sein Taschengeld mit Tellerwaschen, liest Hamlet und bereitet sich auf das große Spiel der Saison gegen Westpoint vor.

      Mit einem Spieler der gegnerischen Mannschaft hat Jack noch eine private Rechnung zu begleichen. Auch deswegen liegt ihm viel daran, für dieses Spiel aufgestellt zu werden. Aber schon erhebt Little wieder Einwände: ›Du hast zu viel Gewicht verloren bei der Marine.‹

      Zähneknirschend muss Jack sich das große Spiel von der Bank aus ansehen. Einige Tage später sitzt er in Gedanken versunken in seiner Studentenbude. Im Radio wird ein Beethoven-Konzert übertragen. Draußen schneit es. Von einem Augenblick zum anderen fasst er einen Entschluss. ›Unsinn‹, ruft er sich selbst zu, ›ich bin gar kein Football-Spieler. Ich bin ein Künstler.‹ Er wird danach nie mehr Football spielen.

      Im Februar 1943 wird er zur Marine einberufen. Die Grundausbildung in Newport, Rhode Island, erscheint ihm als eine Zeit in der Hölle. Er macht sich über sinnlose Befehle lustig. Wache zu schieben findet er stupide, das Rauchverbot erscheint ihm als reine Schikane. Einmal, als seine nicht hinreichend auf Hochglanz polierten Stiefel beim Appell beanstandet werden, ruft er: ›Wer ist dieser Gentleman, der es wagt, mir zu befehlen, einen Fleck von meiner Schuhspitze abzuwischen? Ich bin von uraltem Adel. Meine Vorfahren haben am Hofe König Arthurs gesessen, und niemand hat gewagt, sie wegen mangelnder Sauberkeit zu rügen.‹21

      Bald landet er in der Abteilung für Geisteskranke des Marinekrankenhauses Bethesda. Ein Offizier der Abwehr kommt zu seiner Vernehmung. Psychiater rätseln unterdessen über dem Manuskript seines Romans Die See ist mein Bruder und versuchen, anhand dessen seinen Geisteszustand zu analysieren.

      Leo kommt seinen Sohn besuchen und ergeht sich vor den Ärzten in Tiraden über eine jüdisch-marxistische Weltverschwörung. ›Die Deutschen sind nicht unsere Feinde, sondern unsere Verbündeten,‹22 gibt er zum besten, eine Bemerkung, die gewiss nicht dazu beiträgt, die Ärzte davon zu überzeugen, dass die Äußerungen und Aktionen seines Sohnes nichts als die practical jokes eines harmlosen Spinners sind.

      Jack behauptet inzwischen, er sei ab und zu der Engländer Samuel Johnson, er habe zu viel Verstand für einen Soldaten... sei zu sehr der Typ des Gelehrten, um es bei der Marine auszuhalten.

      Im Mai 1943 erhält er endlich seinen ehrenvollen Abschied, nachdem sich die Psychiater darauf geeinigt haben, ihm Dementia praecox zu bescheinigen. Noch lange plagen ihn die Angstträume, in denen er sich im Irrenhaus eingesperrt sieht.

      Daheim bei den Eltern ist die Lage im Frühsommer 1943 alles andere als rosig. Leo hat zwar Arbeit in einer Druckerei in der Canal Street in Manhattan gefunden, frönt aber wieder glücklos seiner Leidenschaft für Pferdewetten. Gabrielle kann froh sein, dass sie ihren Job als Lederzuschneiderin in einer Schuhfabrik hat.

      Jacks neuen Freunden und Bekannten aus der New Yorker Boheme stehen die Eltern misstrauisch bis schroff ablehnend gegenüber. Leo lässt seinen Vorurteilen gegenüber Juden immer ungezwungener freien Lauf. Einmal, bei einem Spaziergang mit Gabrielle durch die Bowery, schlägt er auf einen Rabbiner ein und stößt ihn in den Rinnstein.

      Jack spürt Frankie Parker, die sich neuerdings Edie (von Edith) nennt, auf dem Sommersitz ihrer Familie, einer vierstöckigen Villa in New Jersey, auf. Er macht einen guten Eindruck auf ihre Großmutter. Edie hat Sonnenbrand. Aber sie freut sich, ihn zu sehen. Bei einem Spaziergang auf der Uferpromenade geht Jack in einen Drugstore und kauft eine Hautcreme und Kondome. Edie geht mit ihm zum Strand, wo sie sich lieben. Sie wird wütend, als sie hört, dass er in einer Woche zur See fahren will.

      Er verspricht ihr, nach seiner Rückkehr sofort zu ihr in ihre Wohnung nach New York zu kommen, die sie zusammen mit einer Freundin, der achtzehnjährigen Joan Vollmer Adams, gemietet hat.

      Jack geht an Bord der S. S. George Weems, die mit einer roten Flagge am Mast nach Liverpool in See sticht. Während der Fahrt ist es ihm gestattet, die Schreibmaschine des Zahlmeisters zu benutzen. Er arbeitet weiter an dem Manuskript Die See ist mein Bruder.

      Die Lektüre von Galsworthys Forsyte Saga hat ihn auf die Idee gebracht, eine Serie von Romanen zu schreiben, die sein gesamtes Leben erzählen sollen.

      Der Stil scheint ihm dabei eher nebensächlich zu sein. Wichtig ist es ihm, die Ereignisse und Gedanken, die sich seinem Bewusstsein eingeprägt haben, mit absoluter Ehrlichkeit wiederzugeben. Das Eingeständnis aller Wünsche, Träume und Vorstellungen - auch der von der Gesellschaft tabuisierten - ist ein weiteres Stichwort, das auf das erst viel später ausformulierte Programm der Beat Generation hinweist.

      Im Vorwort zu seinem Roman Big Sur schreibt Kerouac über den auf dieser Reise entwickelten Plan: ›Mein Werk umfasst eine immens lange Geschichte wie die von Proust. Der Unterschied besteht nur darin, dass meine Erinnerungen fortlaufend niedergeschrieben wurden und nicht im nachhinein auf einem Krankenbett. Da die Verleger meiner früheren Bücher Einwände erhoben haben, war es mir nicht gestattet, in allen Büchern dieselben Namen für die Romanfiguren zu verwenden.‹23 Er selbst hingegen, fährt Kerouac fort, betrachte die einzelnen Bücher als Kapitel des gesamten Werkes, das er The Duluoz Legend nennen werde. ›Ich beabsichtige, im Alter meine gesamte Arbeit durchzusehen und mein Pantheon an einheitlichen Namen wieder einzusetzen und glücklich zu sterben. Das Ganze fügt sich zu einer großen Komödie zusammen, die durch die Augen des armen Ti (ich) gesehen wird, im übrigen auch als Jack Duluoz bekannt. Die Komödie dreht sich um die Welt rasender Aktion, um die Verrücktheiten und auch um die zarte Süße, wie sie durch das Schlüsselloch meines Auges gesehen wird.‹24

      An rasanten Aktionen mangelt es auch auf dieser Reise nicht. Kerouac ist nicht länger Küchenhelfer, sondern regulärer Matrose. Einmal sichtet er auf Wache eine Treibmine, aber man will ihm seine Beobachtung zunächst nicht glauben, weil man ihn für einen Spinner, hält. Er macht sich den Ersten Maat zum Feind. Der schikaniert ihn, wo er kann, scheucht ihn bei Sturm ins Krähennest oder befiehlt ihm ein andermal, in eines der ausgeschwenkten Rettungsboote zu springen. Auch einen Angriff deutscher Unterseeboote erlebt Jack während dieser Fahrt nach England. Er ist inzwischen gegenüber solchen Gefahren ziemlich stoisch geworden, da er weiß, dass ein Torpedo das Schiff mit seiner Bombenladung wie ein Feuerwerk hochgehen lassen würde.

      Bei der Einfahrt in den Hafen von Liverpool ist der Kapitän betrunken, und das Schiff rammt ein Schwimmdock.

      Zwei Tage Landurlaub nutzt Kerouac zu einer Fahrt nach London. Er trägt eine schwarze Lederjacke und einen Helm der Handelsmarine und dürfte in diesem Aufzug bei den Engländern einige Verwunderung, hervorgerufen haben. Angesichts des Hyde Parks fällt ihm Dr. Jekyll ein. In der Royal Albert Hall hört er ein Tschaikowsky-Konzert mit Barbirolli als Dirigenten.

      Nach dem Konzert stolpert er in das verdunkelte London davon, auf der Suche nach einer Bar in Soho, und bandelt mit einer Prostituierten im Pelzmantel an, die ihn, während sie ihn bedient, gleich noch um seine Brieftasche erleichtert, so dass er sich das Geld für die Rückreise nach Liverpool leihen muss. Dort sucht er sich abermals eine Prostituierte