Blanchisserie oder Von Mäusen, Moder und Literatursalons. Jurgis Kuncinas. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jurgis Kuncinas
Издательство: Bookwire
Серия: Literatur aus Litauen
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783898968560
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aber vergleichsweise schmerzlos. Dabei förderte man auch deinen Zettel zu Tage, Nabė, auf dem von der Glitschigkeit von Mollusken und von mangelnder Liebe die Rede war: »Schnecken empfinden nur wenig Liebe, aber sie flutschen so schön …«

      Die mauretanischen Agenten waren der festen Überzeugung, dass es sich um einen kodierten Befehl handle, auf besonders hinterhältige Weise ihr Staatsoberhaupt zu liquidieren, also stellten sie auf merkwürdige Weise meinen Blutdruck fest, untersuchten meinen Urin und meinen Schweiß und hielten kurz Zwiesprache mit Allah, kamen dann aber zu der Überzeugung, dass ich ein harmloser Passant sein müsse. Sie bewirteten mich mit getrockneten Feigen, und als ich die beiden darum bat, mich mit ihrem Jeep nach Užupis zu bringen, nickten sie. Ich hatte nämlich beschlossen, einen Überfall bei der alten Morta Levul zu machen, die im Obergeschoss der »Blanchisserie« wohnte; um diese Zeit stand sie gewöhnlich auf, um ihre Ratten zu füttern.

      Die alte Levul war stocktaub, aber wir verständigten uns auf das Prächtigste mit Zeichen, und sie erklärte mir auf subtile Weise, dass der Geigenspieler und der Perkussionist schon wieder ausgezogen seien und keinerlei Einwände gegen einen Literatursalon bestünden. Hierzu zog sie sich die Strumpfhosen aus, imitierte eine Geige und schlug mit den Fäusten scheppernd auf den verzinkten Boden eines Eimers, dass es nur so schepperte. Dann wickelte sie sich die Strümpfe um den Hals, streckte die Zunge heraus und stieß den Eimer die Treppe hinab. Ich verstand vollkommen: Der Virtuose hatte sich aufgehängt, und den Trommelkönig hatte sie höchstpersönlich die Treppe hinunterbefördert, aber die Araber wurden bei dem Schauspiel erneut unruhig, zogen die Alte nackt aus und untersuchten ihren Speichel. Zum Glück flüsterte ihnen Allah auch diesmal zu, dass keine Verschwörung im Busche sei, aber wäre dies tatsächlich der Fall gewesen, dann hätten es die beiden mit Sicherheit gemerkt …

      »Wo um alles in der Welt bist du gewesen?«, fragte meine Frau Terezija schläfrig und überhaupt nicht böse. »Gerty Gaston hat aus New York angerufen, sie will einen Vertrag mit dir unterschreiben.« Terezija hatte sich schon die Haare gewaschen, Kaffee gekocht und rauchte jetzt zerstreut eine Zigarette, lang und dünn wie ein Strohhalm. Ich dachte an die Seifenblasen von Bul Bul und lächelte kaum merklich. Eigentlich hatte ich alles ja ganz genau erzählen wollen, aber Terezija hatte ihre naive Frage schon wieder vergessen und gähnte: »Ich habe von Krishna geträumt! Er war so schön, und ich hätte gerne noch ein bisschen länger geschlafen! Moment mal, bist du wirklich nach Hause gekommen, oder träume ich noch?«

      2

      Die Einwohner von Žvėrynas haben eine ganz andere Mentalität als die von Užupis. Allein mit der Zusammensetzung der Nationalitäten sind die Unterschiede nicht zu erklären, und sie sind in den meisten Fällen nicht besonders leicht zu erkennen, aber jeder sieht auf den ersten Blick, dass Užupis herzlicher und aggressiver ist: mehr Element, mehr vergossenes, tollwütiges Blut und mehr unvorhergesehene Naturkatastrophen. Drei Jahre gingen ins Land, und niemand hatte eine Ahnung, wohin Wojciech Zakszewski hatte verschwinden können, ein tüchtiger Metzgermeister und Oberhaupt einer frommen Familie. Keine Blutflecken, gar nichts. Ein Oberst aus der Baltasis skersgatvis gestand, zusammen mit zwei Streifenwachen die Tat begangen zu haben, und erschoss sich. Warum hatte er das bloß getan, für so ein Vergehen wäre er doch fast ohne Strafe davongekommen! Sowohl der Mossad als auch die Siguranca verliehen ihm nach seinem Tod Orden, und das KGB errichtete den Grabstein, ein nettes Beispiel für Zusammenarbeit. Genauso nett lebten in der verlassenen Druckerei und Grafikwerkstatt von Gajauskas, gleich am Tor zum Bernhardinerfriedhof, Katzen und Ratten zusammen.

      Dafür ist die Geschichte von Žvėrynas irgendwie konsequenter, aus welchem Blickwinkel auch immer betrachtet. Oder vereinfacht gesagt: Žvėrynas ist wie unzerstörbares Glas. Und Užupis ist ganz anders: Es ist wie ein unerreichbares Ziel. Die beiden düsteren, heruntergekommenen und in sich abgeschlossenen Stadtviertel werden nicht nur durch die unzuverlässige Buslinie 11 miteinander verbunden, sondern auch durch den Regen, das Telefon, sexuell übertragbare Krankheiten, menschliche Mystik, Lieblosigkeit und nur selten auch durch Gefühle.

      In Užupis erschreckte der Eierkopf Kolja mit seiner Militäruniform die Mädchen, indem er versuchte, ihnen unter die Röcke zu greifen, wenn er ihnen in Fischläden, Kurzwarenhandlungen oder anderswo begegnete. Einmal rutschte er auf einem vereisten Gehsteig aus, schlug sich den Schädel ein und sah einige Stunden lang erstaunt in den Himmel, bis ihn einige Säufer auf einen Schlitten legten und in die damals noch existierende Leichenhalle von Užupis schleppten. In Žvėrynas lebt dafür der Bettler Kromelninkas mit der schiefen Schulter. Sommers wie winters läuft er mit einem dicken Wollmantel herum, mischt sich nirgends ein und drängt sich niemandem auf. Wenn irgendwo Suppe ausgeschenkt wird, dann lässt sich Kromelninkas seinen Litereimer aus Blech füllen, nimmt ihn mit auf den Hof mit dem Unterstand der Zivilverteidigung und schlürft die Suppe auf dem niedrigen Dach. Ich habe ihn einmal nach Kolja gefragt, aber nein, den hat er nicht gekannt. Kromelninkas wohnt in einem kleinen Verschlag, und kürzlich hat er einen litauischen Pass bekommen, aber in welches Land kann man damit schon fahren?

      In beiden erwähnten Stadtvierteln gibt es ungefähr gleich viele Poeten, Künstler und Musiker. In Užupis steht die Kunstakademie, und in Žvėrynas befinden sich das philosophische und das juristische Institut, aber die Kollektive arbeiten nicht zusammen, und die beide Parteien haben tatsächlich nur deshalb noch keinen Krieg gegeneinander geführt, weil sie nie aneinander gegrenzt haben. Die Migration von Žvėrynas nach Užupis und umgekehrt ist auffallend gering, aber es lohnt sich nicht, daraus irgendwelche Schlussfolgerungen zu ziehen, und ich glaube auch nicht an Untersuchungen, denen zufolge die Bewohner von Užupis flachere Schädel und stärker herabhängende Unterlippen haben sollen als die Bewohner von Žvėrynas. Das sind Phantasien, und den »Baltischen Untersuchungen« habe ich noch nie getraut.

      Die jährlichen Niederschlagsmengen und die Temperaturen in den beiden Stadtteilen unterscheiden sich so gut wie gar nicht, und der allgemeine Zustand der Kanalisation, der Wasserleitungen und anderer Errungenschaften der Zivilisation ist sowohl auf der einen als auch auf der anderen Seite fast gleichermaßen beklagenswert, nur sticht einem in Užupis das Elend stärker ins Auge, denn dort sorgen die Künstler mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln dafür, dass sich auf keinen Fall etwas verändert.

      Weder in Užupis noch in Žvėrynas gibt es anständige Bordelle oder gute öffentliche Toiletten, sieht man einmal von den Botschaften, den Einfamilienhäusern oder den Missionen in der KGB-Siedlung an der Krivių gatvė in Užupis oder in dem an der Nėris gelegenen Komponistenviertel in Žvėrynas ab. Verschlägt es einen an einen solchen Ort, kann man sich sicher und musikalisch erleichtern und sich an einem schwedischen Wasserhahn der Marke »Gustavsberg« die Hände waschen, aber in Užupis gibt es einen solchen Luxus nur in dem Café gegenüber von der »Blanchisserie«.

      In Žvėrynas fühle ich mich sicherer. Užupis kann ich auf sonderbare Art nicht leiden, aber es steht mir näher, denn dort habe ich Blut gespuckt und Galle hochgewürgt, dort bin ich als Fledermaus geflattert und einsam und verlassen gestorben. Žvėrynas finde ich gemütlicher, besonders wenn ich dort sitze und mein Pfeifchen schmauche. Manchmal ärgere ich mich insgeheim über die frei herumlaufenden Hunde und die frei herumlaufenden Frauen, die sich immer wieder mitsamt ihrer Oberweite über mein niedriges Fensterbrett hängen und fragen: »Gibt es hier Ratten? Gibt es hier Mäuse?« Und dann platzen sie ganz unverblümt heraus: »Hast du ein Präservativ?« Onega Mažgirdas würde so eine Frage nie stellen, und auch die Schottin Dolores Lust nicht, Grand Trix verwendet grundsätzlich keine Gummis, und Nabė … na, wechseln wir lieber das Thema.

      Nach meiner Rückkehr aus dem sonnigen Suvalkija war mir in Žvėrynas an den endlos langen Sommerabenden traurig zu Mute, aber wäre ich in Užupis nicht mindestens genauso niedergeschlagen gewesen? Na also. Auch an diesem Spätnachmittag war ich traurig. Als ich endlich ausgeschlafen hatte, öffnete ich das Fenster im Erdgeschoss und betrachtete die Pfützen auf dem Hof, das ungepflegte Gras und Pirštinė, die sich über das Gurkenbeet beugte. Ich torkelte auf den Hof hinaus, legte mich auf die harte Bank und nickte wieder ein; auch Nachbar Jakovas hatte sich dort bereits zu seinem Mittagsschläfchen niedergelegt.

      Als ich wieder erwachte, war es noch nicht dunkel, aber es herrschte schon eine abendliche Stimmung wie in dem romantischen Gedicht von Maironis »Abend auf dem