Blanchisserie oder Von Mäusen, Moder und Literatursalons. Jurgis Kuncinas. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jurgis Kuncinas
Издательство: Bookwire
Серия: Literatur aus Litauen
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783898968560
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für Nabė, der die Poetin fast in den Wahnsinn trieb und sich entsprechend häufig in ihrer Lyrik widerspiegelte. Als die Alte aber zu allem Überfluss auch noch ihre sämtlichen Blumentöpfe in Nabės schmalem Kämmerlein aufbaute (ich hatte sie dort mehrmals besucht und gesehen, wie aus den Wurmlöchern in der Decke das Holzmehl herabrieselte), bekam die gute Nabė die Panik und begann mit Macht, nach einer neuen Bleibe in Užupis zu suchen. Sie sagte, sie brauche viel Platz, damit all ihre Gäste bei ihr verkehren könnten, sowohl ihre Trunkenbolde, Letten, Türken, Philosophieschüler und Poeten als auch der Eigentümer des kleinen Gutes von Karolinava, der außerdem gleichzeitig in Ostberlin und in švenčionėliai residierte.

      Sie brauchte Erfahrungen, die es aufzuschreiben lohnte, und so zwang ich sie als ihr gestrenger Lehrer, Glistik, Slang, Pomologie und Autodiktat zu studieren, und nahm sie mit zu Vernissagen, wo sie sich leider meistens betrank. Manchmal fuhr der Bildhauer des »Ei des Philosophen« mit uns in den »Europapark«, wo Nabė zielstrebig auf eine verrückte, performancebegeisterte Fee mit schlechten Zähnen zusteuerte, die einen unauslöschlichen Eindruck auf sie machte. Später überraschte ich die beiden mit geröteten Gesichtern beim gemeinsamen Rollschuhlaufen im Sereikiškių parkas, Arm in Arm, mit einer Flasche Wein und einer Schachtel Nüssen in den Händen. Ich sah, wie sie ihre Lektionen vorbereiteten und Verse und Aufsätze verfassten, weil sich die Performancekünstlerin als Kunstwissenschaftlerin betätigte, aber was konnte ich ausrichten! Ich befürchtete freilich, dass Nabė von der Fee schwanger werden könnte, in schöpferischer Hinsicht natürlich nur, aber ich wurde nicht gefragt, und so begann die Kunstwissenschaftlerin, sie Versbildung zu lehren; was dabei herauskam, weiß ich nicht.

      Heilige Mutter Gottes, in der Folgezeit setzte ich alle Hebel in Bewegung, dass sich Nabė vervollkommnete und sich Kenntnisse aneignete, die sie mit der Praxis in Einklang bringen konnte, und sich nicht nur auf ihr angeborenes Talent verließ! Ein paar Tage lang riss sie sich denn auch zusammen, vertiefte sich mal in Nietzsche, mal in das »Lyrische Intermezzo«, aber bald begann sie wieder, ihren Launen zu frönen, und vertraute mir an, sie sei der Nabel der Welt – »ich bin doch die beste Poetin von Litauen, nicht wahr, das meinst du doch auch?« – oder sie murrte über den Schlangenfraß, den sie gründlich über hatte, lebte sie doch immer noch bei Zuzana Janson, dieser Feldscherin und Trägerin der Tapferkeitsorden »Za otvagu« und »Virtuti militari«.

      Ich selbst hatte in der Zeit genug eigene Sorgen! So hatte ich einem ernsthaften Menschen fest versprochen, verlorene Adelsdokumente zurückzubeschaffen und eine Familienhymne zu komponieren, weiter musste ich mich um jeden Preis mit einem Aufsatz an einigen Spöttern rächen, die Klotür mit dem unerträglichen russischen Buchstaben »Ž« übermalen, die diplomatischen Beziehungen zu der Familie von Maurer Zepas Išganytojas in Ordnung bringen, mich gegen FSME impfen lassen, die Abschiedsfeier für eine Rattenfängerin in den Ruhestand organisieren und außerdem noch einen Bericht für Herrn Jagello schreiben, von dem noch die Rede sein wird.

      Während ich also in Gedanken an diese nicht allzu lang zurückliegende Vergangenheit versunken war, fing Nabė wieder an, wegen Appartements in Užupis zu jammern, und klagte, sie ertrage definitiv keine Geranien mehr. Pupkis & Co. wollten die Blumen schon »Spießerflor« nennen, aber sie bezeichnete sie trotzdem als Geranien, weil Wolfgang Borchert die Erzählung »Die traurigen Geranien« geschrieben hatte. Einmal schleppte sie eine schlaffe Geranie mitsamt Blumentopf heran, und Terezija trug die Blume arglos ins Freie, damit sie Licht und Sonne bekomme, aber ein heftiger Platzregen zerschmetterte sie unwiederbringlich und für alle Zeiten. Die Blume starb bei Sonnenuntergang, und Nabė richtete drohend die Faust gen Himmel und rief: »Das verzeihe ich dir nie!«

      Ich hörte ihr Gequieke schon gar nicht mehr und freute mich fast, dass Zepas Išganytojas wieder auf dem Hof erschien, zusammen mit seiner leiblichen Tochter Grand Trix. Sie lebte auf den Färöern und tauchte nur gelegentlich in Žvėrynas auf, darum war unsere Beziehung Ende des zwanzigsten Jahrhunderts auch so fragmentarisch. Triksė hatte einen Färinger geheiratet, einen trägen Jungen mit Augen wie ein Fisch oder ein Seehund, und Zepas unternahm gerade eben wieder den Versuch, sie zur Scheidung zu bewegen und mit mir zu vermählen, einem Menschen ohne feste Anstellung, festen Wohnsitz, festes Lebensziel oder feste Einkünfte. Zu genau diesem Zweck also kamen die beiden auf unseren Hof, und Triksė blinzelte mir freundlich lächelnd zu: Wir wussten beide, dass Bemühungen dieser Art diesmal fruchtlos bleiben würden, aber ihr gefielen solche Paarungsaktionen immer.

      Ich führte Zepas noch einmal meine desolate finanzielle Lage vor Augen, aber der Maurer wiederholte zum tausendsten Mal »Armut ist keine Schande!« und machte schon den Mund auf, um ein Gedicht von B. B. aufsagen, das einem seiner Kollegen anlässlich des Heiligabends gewidmet war: »Was der Zimmermann in jener Nacht zu Jesus sagte«.

      Triksė stand auf den Fliederblättern, betrachtete mal Nabė, mal ihren Vater und mal mich, und ich sah, wie sie in diesem Augenblick uns alle drei nicht leiden konnte. Sie knurrte etwas in einem färöischen Dialekt durch die Nase, das an das Husten eines kranken Schafs erinnerte, und rieb ihre hübschen Hände an ihre eng anliegenden Hosen aus Leopardenfellimitat. Auch Zepas sah alles, aber er hatte sich daran gewöhnt, solchen Dingen keine Aufmerksamkeit beizumessen. Er nieste, entschuldigte sich und sagte geradewegs heraus: »Sie will ein Kind von dir.«

      »Gar nicht wahr«, brummte Triksė, »überhaupt nicht.«

      »Jetzt?«, fragte ich erstaunt.

      »Natürlich jetzt«, brauste der Maurer auf. »Hesekiel ist doch nach Frankreich gefahren, um Karriere zu machen.« Hesekiel war Triksės neuer Mann, der Färinger.

      »Worum geht es?« Ich hatte nicht gleich verstanden.

      »Bist du taub?«, fragte Zepas zornig. » Wir machen unsere Einfahrt neu. Bald wird der Kies gelegt, klar? Wir sind nicht arm, und wir haben keine Schulden.«

      »Ich will doch gar nicht«, murrte Triksė.

      »Nein«, entgegnete ich fest. »Heute wird nichts daraus, Zepas, ganz bestimmt nicht. Warten wir auf die nächste Erbsenblüte.«

      Inzwischen war Ksaveras wieder erwacht und begriff überhaupt nichts. Er betrachtete uns alle mit trübem Schlafwandlerblick, dann winkte er uns zu und taumelte auf die Straße. Nabės Augen wanderten derweil wie irre von Zepas zu mir und von mir zu Triksė. Ihre Augen blitzten. Sie hatte immer einen Hang zum Experimentieren gehabt, und jedwede Neuigkeit faszinierte sie, drastische erst recht. »Na los, heirate sie, du Schuft!«, brüllte sie. »Und dann adoptiert mich, ich will auf die Färöer!«

      Triksės Reaktion überraschte mich. Sie nickte weise und sagte: »Gut, ich adoptiere sie, aber ohne dich zu heiraten. Und dann verheirate ich sie mit einem Seehund oder mit einem Elch, in Ordnung?«

      Ich hätte wahrscheinlich nachgegeben, aber ich musste an Trivialliteratur und Seifenopern denken, wo alle vergleichbaren Fälle mit Blutschande, Einweisung in die Psychiatrie, Tod durch Erhängen oder wenigstens mit Zähneknirschen und zur Unzeit geborenen Kindern endeten. »Wisst ihr was«, sagte ich so ruhig wie möglich, »ihr beratet euch hier und überlegt euch alles ganz genau, aber ich muss jetzt gehen.«

      Die färöische Maurertochter konnte sich das Lächeln nicht mehr verkneifen, weil Nabė schon versuchte, sie mit »Mami« anzureden, und ich zog ab zur Malonioji gatvė; ich hatte versprochen, im Obdachlosenasyl »Sechsundsechzig« zu spielen und bei der Gelegenheit einen Krug Bier mit frischem DDT zu trinken, ein bei Selbstmördern beliebtes Getränk.

      Ich verlor zweieinhalb Litas, warf mit gespieltem Entsetzen die Arme hoch und wollte gerade aufstehen, um zu gehen, hatte aber zuvor wie üblich noch eine Auseinandersetzung mit Mogila, dem Obmann des Bettlerverbandes. Es ging um Kleinigkeiten: Er bot mir an, mir meine Spielschulden zu erlassen, wenn ich im Gegenzug dreißig Bettler über die weißrussische Grenze schmuggelte. Sie wollten nämlich alle unbedingt in ihre Heimat zurück, weil Litauen sein Bettlerkontingent ausgeschöpft habe und keine anständigen Almosen mehr gewährleisten könne, während Weißrussland soeben sein Gesetz zur Einschränkung der Bettelei aufgehoben habe.

      »Nein«, sagte ich ruhig, »ich bringe niemanden hinüber. Die Leute finden ihren Weg nach Hause allein, wenn das Blut sie ruft! Nehmen Sie meine zweieinhalb Litas, ich gehe nach Hause.«

      Oh,