Blanchisserie oder Von Mäusen, Moder und Literatursalons. Jurgis Kuncinas. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jurgis Kuncinas
Издательство: Bookwire
Серия: Literatur aus Litauen
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783898968560
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sei, wo sie mich doch zu Sowjetzeiten immer aufgenommen hätten! Ihrem Obmann stieg der Blutdruck, und er brüllte, er habe schon seit ein paar Tagen nirgends »Kalikas«-Tabletten gegen Gonorrhö erhalten, müsse darum beim Pissen vor Schmerz heulen und könne nicht einschlafen, und ich, dieser xxx von einem xxx, wolle ihm nicht einmal diesen kleinen Dienst erweisen!

      Solche Reden vermochten mich nicht zu erschüttern. Ich hatte schon oft genug solche Gruppen über die Grenze gebracht, und das jedes Mal mehr oder weniger für einen Gotteslohn, nein, das hatte ich nicht nötig. Ich empfahl, den Vertreter von »Human right« von Žvėrynas und Užupis anzurufen, aber da hieß es nur, den Ratschlag könne ich mir sonst wohin stecken, sie könnten auch auf legalem Weg von hier verschwinden, aber wer würde dann die »Kalikas« und »Narkota« herüberbringen? Natürlich begleiteten mich dann die wütenden Flüche und Steinschauer der Bettler, aber zum Glück waren sie bereits so mit DDT abgefüllt, dass sie erbärmlich schlecht zielten.

      Während ich die Straße entlangschlenderte, hoffte ich voller Inbrunst, den Hof angenehm leer vorzufinden. Dann würde ich mich ein Stündchen unter den wilden Birnbaum legen, in aller Ruhe mit Terezija über Spanien, das Land ihrer Träume, den schönen Krishna, ihren jüngeren Bruder Varnas, den man in einen Raben verwandelt hatte,[5] und den Speiseplan von morgen reden, und vor dem Einschlafen würde ich noch ein bisschen in den Werken von irgendeinem Thomas lesen, zum Beispiel von Aquin, Moore, Venclova, Kondrotas oder Mann …

      Aber hatte sich’s was! Auf der Bank, die ich mir als Ruheplätzchen auserkoren hatte, saß schon wieder jemand, der etwas von mir wollte! Diesmal war es der Provinzpoet Gediminas Pietaris, ein höflicher und geduldiger Mensch, der wie gebannt meinen knauserigen Worten lauschte. Was sollte man noch sagen, er war Vorsitzender von Sąjudis und der führende Poet seines Bezirkes. Das Problem war nicht, dass er aus Rukla kam oder dass er mich so spät besuchte, sondern es war eine liebe Not mit seinen Versen: Sie waren schlimmer als Werbetexte!

      Pietaris kauerte auf der Bank und hielt eine prall gefüllte Aktentasche zwischen den Knien. Seine sich lichtende Stirn leuchtete weithin, und er nahm die Sonnenbrille auch in der Dämmerung nicht ab. Er ähnelte mehr Jaruzelski als Zbigniew Cybulski, nur die Figur fehlte ihm, sowohl politisch als auch künstlerisch. Ich wollte ihm das schon sagen, aber aus einer Wolke blinzelte der Seefahrer Maironis herab und flüsterte: »Sei nachsichtiger …«

      Ja, dachte ich, durch Zorn verbessert man die Qualität der Kunst auch nicht. Außerdem waren in dieser Aktentasche bestimmt nicht nur Manuskripte …

      Pietaris bemerkte meinen Blick, öffnete die Schnallen der Tasche und gestattete mir einen Blick in ihr Inneres. Ich erblickte Kognak, Gläser, Honig und Nüsse. Nicht schlecht. »Lassen Sie das alles hier«, befahl ich ihm. »Ich versuche noch heute Nacht, alles durchzulesen, und gebe Ihnen morgen Bescheid. Aber meine Antwort wird nicht unbedingt positiv ausfallen! Wissen Sie, Gediminas, es hängt ja nicht nur von mir ab …«

      Der Poet sprang auf. »Ich verstehe ganz ausgezeichnet. Aber es ist alles schon anderswo besprochen und abgestimmt worden, und man bräuchte nur ein paar einleitende Worte von Ihnen. Hier steht alles über Litauen, Margiris, Rainiai, Klepočiai und Kalanta …«

      »Was für grausige Ereignisse und Orte! Viel Feuer und Blut«, meinte ich, und er stimmte mir lebhaft zu. »Sollte ich nicht mehr da sein«, warnte ich ihn, »teilt Ihnen meine Frau Terezija meine Meinung mit.« Und ganz unverschämt fügte ich hinzu: »Ach, und übrigens, Gediminas, leihen Sie mir doch hundert Litas, ich bin völlig abgebrannt.«

      Jede Arbeit verlangt ihre Entschädigung, und er übergab mir einen mit dem Bildnis von Daukantas geschmückten Hunderter. »Gute Nacht und bis bald!« Oh unglückliches Vaterland …

      Irgendein Teufel ritt mich, noch einen Blick in den Hof von Zepas Išganytojas zu werfen, warum auch immer. Höchstwahrscheinlich waren es die heftigen Lachsalven, das tierische Gewieher, das Gekreisch und andere Geräusche, die von dort ertönten. Ich erkannte Nabės Mezzosopran: So quieken Schlafmäuse, wenn man ihnen auf den Schwanz tritt! In der Tat, Triksė schor sie wie ein Lamm mit einer stumpfen färöischen Schafschere, und daneben standen Zepas, seine Frau und der von seiner Reise zurückgekehrte Hesekiel, der offizielle Schwiegersohn von Zepas Išganytojas. Unter einem Hocker lagen ein paar leere Schnapsflaschen, und Nabė war bereits sternhagelvoll, ein Palastschäfchen mit einem Pagenschnitt. Kein Teilnehmer dieses Happenings bemerkte, dass sich in den Höhen die Wellen des Vierwaldstätter Sees rollten … Ach was, Wellen, nicht einmal auf mich wären die Leute aufmerksam geworden, hätte ich nicht Nabės schlanken Hals gepackt und gefragt: »Wer hat dich so entstellt?«

      »Hau ab! Meine Mutti hat mir die Haare geschnitten, hau ab!«

      Zepas schaltete das Radio ein, und Saulius Tomas erzählte von den jüngsten Ereignissen auf dem Balkan und in Tibet und erwähnte auch die geballten Anstrengungen von »Human right«, Israelis und Palästinenser miteinander zu versöhnen. In seiner Stimme bemerkte ich die bekannte, leicht versteckte Ironie. Maironis’ Kahn mit dem diplomatischen Korps war überhaupt nicht weit weg.

      Triksė, die Berufsmutti, kämmte mit einem güldenen Kamm Nabės Borsten und flüsterte: »Mein armes Töchterlein, willst du Suppe?«

      »Bloß keine Gemüsesuppe! Ich will Borschtsch mit Fleisch!«, kreischte Nabė hysterisch und ging mit Triksė ins Haus.

      Zepas trat an mich heran, zog aus der Brusttasche vierhunderttausend paraguayanische Guaraní hervor und sagte ohne jede Spur von Angeberei: »Siehst du? Wir sind nicht arm. Es liegt ganz und gar in deinen Händen.«

      »In seinen Hosen, meinst du wohl!«, brüllte Nabė durch das Fenster und verschluckte sich an einem knorpeligen Stück Schaffleisch.

      Über die Veranda kam die Tochter von Kacas getorkelt, die vollkommen nüchterne, dafür aber hochschwangere Katze Zabna; auch Katzen blieben nicht von der Pubertät verschont. Man hätte das Dachfenster zunageln sollen, dachte ich verstimmt, warum hatte niemand rechtzeitig daran gedacht! Für mich gab es hier nichts mehr auszurichten, und die Guaraní lockten mich nicht, schließlich hatte ich gerade hundert Litas für eine Konsultation erhalten.

      Aber auch der Schlaf wollte sich nicht einstellen. Der Mond hielt sich hinter einer dicken Wolke versteckt, und es war vollkommen finster. Die Menschen in Žvėrynas und in Užupis zündeten Kerzen an und der liebe Gott die Sternelein, nur dass niemand sie sah. Diese Menschen, dachte ich, ach, diese Menschen! Die einen spielten noch mit Würfeln, die anderen lagen schon in ihren Betten und sprachen ihr Abendgebet, andere wiederum zogen durch die Wälder über die Grenze, der eine auf die eine Seite, der andere auf die andere. Die einen bereiteten sich auf Operationen oder auf die Jagd vor, andere waren von der Freiheit und ihrer Arbeit zu Tode erschöpft und liebten ihre Frauen. Nur wir am Ufer des Vierwaldstätter Sees, auf der Seite von Žvėrynas, warteten auf die Rückkehr des Künstlers Maironis mit seiner Kunstschmuggelware. Unter dem Jasmin schlief der erschöpfte Zepas Išganytojas, nachdem er meine unechte Frau und deren noch unechtere Tochter umarmt hatte. Welch seliges Bild: er in der Mitte und die beiden Frauen auf jeweils einer Seite, wer weiß, was Jesus in dieser Nacht zu dem Maurer gesagt hätte? Ich kehrte in meinen Hof zurück, zum wievielten Mal heute? Der Wind hatte sich beruhigt, von Ribiškės und Riovonys ertönte das Gedröhn der russischen Streitkräfte herüber, nicht weit entfernt knallte ein vereinzelter Schuss, und ein fröhlicher Schrei ertönte: »Hab ich’s nicht gesagt? Du hast schon wieder nicht getroffen!«

      Ich schnitt Grünfutter für šerifas und Džeris, die beiden Hofhunde, goss die Zucchini und die Selleriepflanzen und begann, vor lauter Langeweile aus einem Büschel vorjährigen Hanfes eine Schnur zu flechten. Ich wäre bei dieser Beschäftigung vielleicht sogar eingeschlafen, denn Terezija lag schon längst in ihrem leichten Dienstschlaf, aber aus einem Wolkenzipfel kroch eine Laterna magica heraus, erhellte meine kleine Mohnplantage, die für den Weihnachtskuchen vorgesehen war, und ich erkannte klar und deutlich, wie vier Halbwüchsige meinen Schatz verwüsteten!

      Ich hätte von mir aus nichts unternommen, aber in diesem Moment kam der Maler Golosačius angeschneit, um sich Tee zu borgen. Vielleicht habe ich noch gar nicht erwähnt, dass er nur bei Mondschein malt und dann unbedingt Tee trinken muss. Schweigend sperrten wir die jugendlichen Banditen ein, Golosačius