Vom guten Tod. Reiner Sörries. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Reiner Sörries
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783766642837
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ihn gar der Tod treffen, und sollte er doch plötzlich sterben, so gilt er von Gott mit den Gnaden des Sakraments versehen.“11 Daraus entwickelte sich der Brauch, täglich in die Kirche zu laufen, um zumindest einen kurzen Blick auf die in einer Monstranz auf dem Altar ausgesetzte Hostie zu werfen, und diese Augenkommunion wurde gewissermaßen zum Garant, an diesem Tag keinen jähen Tod erleiden zu müssen.

      Eine wichtige Rolle im Volksglauben spielte auch der heilige Christophorus. Ein Blick auf seine Gestalt sollte ebenfalls vor dem jähen Tod bewahren. Vermutlich hängt dieser Volksglaube eng mit der eben geschilderten Augenkommunion zusammen, denn der Heilige trägt Christus in bzw. auf sich. Daraus sind die an vielen Kirchen oder Kirchtürmen gemalten, weit überlebensgroßen Darstellungen des Heiligen abzuleiten. Nicht selten erreichen sie eine Höhe von fünf, sechs Metern und waren aufgrund ihrer Größe weithin sichtbar. Durch seinen Anblick glaubte man sich für diesen Tag vor dem jähen Tod geschützt.12

      Vermutlich reicht diese Hinwendung zum Heiligen schon ins 12. Jahrhundert zurück, nachweislich erscheint er in der Funktion des Patrons wider den jähen Tod auf einem Holzschnitt, dem sog. Buxheimer Christophorus, dessen holprige lateinische Beischrift ausdrückt, dass sein täglicher Anblick vor dem bösen Tod (mala mors) schützt. „Cristofori faciem die quacumque tueris, Illa nempe die morte mala non morieris. Millesimo CCCC XX tertio“ – Betrachtest du das Antlitz des Christophorus an diesem Tag, so wirst du an jenem Tag fürwahr den bösen Tod nicht sterben. 1423. Dieser Holzschnitt stammt aus dem Allgäuer Kartäuserkloster Buxheim bei Memmingen und ist auf 1423 datiert.13 Ähnliche Christophorus-Drucke sind etwa fünfzig bekannt, sie waren also eine weit verbreitete Massenware. Man trug sie bei sich, um sich sein Bild ständig vergegenwärtigen zu können. Reisende schufen sich einen billigen Tragaltar, indem sie Blätter mit dem Heiligenbild auf die Innendeckel ihrer Truhen hefteten. Aber Christophorus hielt auch Einzug in die Häuser und Wohnstuben, die seit dem 15. Jahrhundert zunehmend mit Bildern für die private Frömmigkeit ausgestattet wurden.14

      Freilich wollten alle diese Vorkehrungen das Gebet um eine gute Sterbestunde nicht ersetzen, und so betete man für einen guten Tod. Im Wissen darum, dass man diese Gebete aus Nachlässigkeit, Vergesslichkeit oder welchen Gründen auch immer auch versäumen konnte, konnte man derartige Gebetsanliegen einer entsprechenden Bruderschaft anvertrauen. Im breiten Spektrum solcher Gebetsgemeinschaften, bei denen das Totengedenken immer gepflegt wurde, entstanden seit dem 15. Jahrhundert besondere Gut-Tod-Bruderschaften, welche die Bruderschaftsmitglieder in ihre Fürbitten um einen guten Tod aufnahmen.

      Wie sehr sich die Betrachtungsweise geändert hat, zeigt der Funktionswandel des Heiligen, der den Autofahrern der Nachkriegszeit zu einem beliebten Amulett geworden war. Als Aufkleber oder Metallplakette prangte Christophorus am Armaturenbrett und sollte Fahrer und Insassen vor einem Unfall bewahren – nicht jedoch vor dem jähen Tod in seinem ursprünglichen Sinn. Er sollte vielmehr vor Verletzung oder schlimmeren Unbill generell bewahren. Gott schütze dich oder Komm heil an lauteten deshalb auch die Aufschriften. Heute ist er eher selten zu finden, denn die Fahrer moderner Kraftwagen vertrauen lieber auf EPS, ABS, Airbag oder andere technische Fahrassistenten. Der Funktion, er sei Retter und Bewahrer, ist auch die Namensgebung der Rettungshubschrauber geschuldet, die den Namen Christophorus tragen. Eher erinnert an die Sorge vor dem jähen Tod der SOS-Aufkleber, der seit den 1950er-Jahren im Falle eines schweren Unfalls den Beistand eines Geistlichen erbittet: Ich bitte bei schwerem Unfall und Lebensgefahr um Ihre Hilfe und Ihren Beistand. Beten Sie mit mir und, wenn möglich, rufen Sie auch einen Seelsorger. Wer auf seinem Kraftfahrzeug die SOS-Plakette angebracht hat oder diese sichtbar bei sich trägt, lässt erkennen, dass er bei Lebensgefahr oder Tod nach einem katholischen Priester verlangt. Aber auch diese Aufkleber sind selten geworden, wenngleich sie heute immer noch vertrieben werden.

      Noch radikaler zeigt sich der Mentalitätswandel jedoch darin, dass die Mehrheit der Deutschen einen raschen und plötzlichen Tod wünscht. Exemplarisch sei der Refrain aus einem Lied von Reinhard Mey zitiert, in dem er sein Ende bedenkt, Wenn’s wirklich gar nicht anders geht:

       Ich möcht’ im Stehen sterben. Wie ein Baum, den man fällt, Eine Ähre im Feld, Möcht’ ich im Stehen sterben.

      In einer Emnid-Umfrage im Auftrag der Deutschen Hospiz-Stiftung äußerten sich mehr als 60 % der Befragten in diesem Sinne. Ein Viertel gab an, sich darüber noch keine Gedanken gemacht zu haben, und lediglich 12 bzw. 14 % gaben an, einen begleiteten bzw. bewussten Tod vorziehen zu wollen.15 Die Wirklichkeit ist allerdings anders, denn 95 % sterben an Krankheiten, und der Sterbeprozess verläuft über Tage, Wochen, Monate oder sogar Jahre. Gerade die Furcht vor einem langen Siechtum, vor unwürdigen Umständen des Leidens und Sterbens hat die Angst vor dem unvorbereiteten Tod in Sünde verdrängt. Gleichwohl weiß man nicht, was in den Angehörigen vorgeht, wenn sie über die Todesanzeige setzen: plötzlich und unerwartet. Man wird unterscheiden müssen, ob die Frage nach dem guten Tod aus der Sicht des Betroffenen oder der Angehörigen gestellt wird. Mag aus der Perspektive des Betroffenen der plötzliche Tod erbarmungsvoller erscheinen als eine lange Leidenszeit, so kann ein unerwarteter Tod für die Angehörigen wie ein Schock wirken.

      Die Pest mag im ausgehenden Mittelalter einer der Auslöser der Angst vor dem jähen Tod gewesen sein, doch es kam noch eine weitere Entwicklung dazu, durch die die Angst vor dem Tod geschürt und das Verlangen nach einem Beistand im Sterben befördert wurde. Die Vorstellung vom Fegefeuer als einem Reinigungsort der abgeschiedenen Seelen gab es zwar schon vereinzelt in der Alten Kirche, doch erst ab dem 12. Jahrhundert begann es das volkstümliche Denken zu beherrschen. Es hat fast den Anschein, als wäre die Furcht vor dem Fegefeuer größer gewesen als vor der ewigen Verdammnis. Im allgemeinen Denken scheinen sich Fegefeuer und Hölle überlappt zu haben. Zugleich verbreitete die Kirche die Lehre, man könne durch verschiedene fromme Vorkehrungen die Zeit der Qualen im Fegefeuer abkürzen. Ein Weg war, sich im Sterben des Beistandes Christi und seiner Heiligen zu versichern, und an erster Stelle stand die Gottesmutter, deren Fürsprache sich der Mensch im Tode anvertraute. Es kommt nicht von ungefähr, dass das bereits seit dem 11. Jahrhundert geläufige Ave Maria genannte Mariengebet im 13. Jahrhundert um die Bitte des Beistandes in der Todesstunde erweitert wurde: „Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder jetzt und in der Stunde unseres Todes.“

      Der heiligen Mechthild von Hackeborn (1241–1299), einer großen Mystikerin aus dem Kloster Helfta bei Eisleben, gab Maria für das tägliche Beten von drei Ave Maria das folgende Versprechen: „Ich werde dir in der Todesstunde beistehen, dich trösten und alle Macht des Teufels von dir fernhalten. Ich werde dir das Licht des Glaubens und der Erkenntnis eingießen, damit dein Glaube nicht durch Unwissenheit oder Irrtum versucht werde. Ich werde dir in der Stunde des Hinscheidens nahe sein und in deine Seele die Wonne der göttlichen Liebe überströmen lassen, damit kraft ihrer Übermacht alle Todespein und Bitterkeit durch Liebe sich in Glückseligkeit wandle.“ Überliefert ist diese Verheißung im Buch der besonderen Gnade16, das zu Beginn des 14. Jahrhunderts rasch eine weite Verbreitung gefunden hatte. So ist verständlich, dass sich die Jungfrau Maria zur vorzüglichsten Sterbepatronin entwickelte, der die Menschen ihre Bitte um einen guten Tod anvertrauten. Inwieweit diese Verheißung Mariens nicht nur der Linderung der seelischen, sondern auch der körperlichen Todespein gilt, lässt sich aus diesem Text freilich nur schwer erheben.

      Gleich neben Maria nimmt Josef, der Nährvater Jesu, den Rang des vorzüglichsten Sterbepatrons ein, zu dem man in Todesnöten Zuflucht nimmt. Zwar erzählt das Evangelium nichts von seinem Tod, aber in der Überlieferung wird ihm zugeschrieben, ihm sei die Gnade zuteil geworden, im Beisein von Christus und Maria sterben zu dürfen. Hatte Josef ihren Beistand erfahren, so konnte er seinerseits zum Patron der Sterbenden werden, wie es ausdrücklich im Katholischen Katechismus (Nr. 1014) dem Gläubigen anempfohlen wird, sich auch an Josef zu wenden: „Die Kirche ermutigt uns, uns auf die Stunde des Todes vorzubereiten, die Gottesmutter zu bitten, in der Stunde unseres Todes für uns einzutreten, und uns dem hl. Josef, dem Patron der Sterbenden, anzuvertrauen.“ Vor allem in