Dieses Buch wird daher Kaiserin Auguste Viktoria, ihr Wirken und ihren Einfluss in vier grob chronologischen Kapiteln untersuchen. Ziel ist nicht die Dämonisierung der Landesmutter, sondern die Wahrnehmung ihrer Person als politische Akteurin einer Epoche, die in einer der größten Katastrophen der Menschheitsgeschichte endete. Nicht die volkstümliche Rezeption der Kaiserin soll zerstört werden, sondern aus der häufig einseitigen Betrachtung ihrer Person soll sich eine differenziertere und kritische Betrachtung entwickeln und Auguste Viktoria in den Kontext des paradoxen Deutschen Kaiserreiches eingeordnet werden. Einem Staat, der geprägt war von Leistungsfähigkeit und Schnelligkeit, von Konventionalität und Neuzeit, von nationalem Stolz und regionaler Eigentümlichkeit und schließlich von Ehrgeiz und Furcht. Als Staat lag das Deutsche Kaiserreich im Zentrum eines fragilen Europas, welches sich beinahe selbst zerstörte. Ein Europa, das durch eine bedeutende und kontroverse Gruppe von Herrschern, Diplomaten und Politikern geformt wurde. Als letzte deutsche Kaiserin war Auguste Viktoria Teil dieser Gesellschaft illustrer Herrschaften, die am Ende die Glorie oder die Schuld auf ihren Schultern trugen.
II
DIE JUGEND (1858–1888)
Als die letzte deutsche Kaiserin geboren wurde, existierte das Deutsche Kaiserreich noch nicht. Mitte des 19. Jahrhunderts befand sich in der Mitte Europas unter der Bezeichnung »Deutscher Bund« ein Flickenteppich größerer und kleiner Einzelstaaten ohne zentrale Staatsgewalt. Ausschlaggebende Bedingung für die Mitgliedschaft in diesem Bund war die Zugehörigkeit zur deutschen Sprache. So kam es dazu, dass Luxemburg, damals noch ein Teil der Niederlande, und die Herzogtümer Holstein und Lauenburg, damals ein Teil von Dänemark, im Deutschen Bund aufgenommen wurden, während weitgehende Gebiete von Österreich und Ostpreußen nicht dazu zählten.
Der Deutsche Bund war weder ein einheitlicher Staat, noch eine Nation mit geschlossener ethnischer und historischer Zugehörigkeit. Insbesondere in den Grenzgebieten konkurrierten die Angehörigkeitsvorstellungen der Bevölkerung und nationale Differenzen luden sich zunehmend auf. So auch in den Herzogtümern Holstein, Lauenburg und Schleswig, die alle dem dänischen Staat angehörten und bis auf Schleswig gleichzeitig Teil des Deutschen Bundes waren. Im Zuge der revolutionären Erschütterungen erhoben sich im März 1848 deutschnationale Bewegungen in allen drei Herzogtümern gegen Dänemark, woran maßgeblich Herzog Christian August von Augustenburg beteiligt war. Der Erste Schleswig-Holsteinische-Krieg endete siegreich für Dänemark und wurde im Londoner Protokoll von 1852 völkerrechtlich ratifiziert. Die Einheit des dänischen Staates wurde somit gesichert, während Holstein und Lauenburg weiterhin Teil des Deutschen Bundes blieben. Ebenfalls wurde die Erbfolge in Dänemark festgesetzt, denn der dänische König aus dem Haus Oldenburg war kinderlos. Während Dänemark die weibliche Thronfolge anerkannte, galt dies nicht für die Herzogtümer Holstein und Lauenburg, die beide Teil des deutschen Bundes mit männlicher Erbfolge waren. Wäre die Nichte des Königs, Louise von Hessen, Königin geworden, wäre die Personalunion mit den Herzogtümern beendet gewesen. Ein dynastischer Wechsel aufgrund der Kinderlosigkeit des dänischen Königs war für die Einheit des dänischen Staates unabwendbar. Auch Christian August von Augustenburg, der aus einer Nebenlinie der Oldenburger stammte, hatte Anrecht auf den dänischen Thron. Er war jedoch aufgrund seiner pro-deutschen Beteiligung während des Konflikts ins Exil verbannt worden und zog sich nach Primkenau in Niederschlesien zurück. Christian von Glücksburg, der einer weiteren Nebenlinie der Oldenburger angehörte, wurde zum Thronfolger ausgerufen, was das Erbfolgeproblem elegant löste. Denn Prinz Christian war der Ehemann von Louise von Hessen, die nun zwar nicht Königinregentin wurde, sondern nur Königingemahlin, aber die dynastische Linie zumindest aufrechterhielt, während man die Herzogtümer im Königreich behalten konnte.16
Der exilierte Herzog Christian August und seine Frau Luise Sophie von Danneskjoeld-Samsøe hatten sieben Kinder. Dazu gehörte der 1829 geborene Friedrich Christian August, der, wie sein Vater, an der deutschen Erhebung gegen Dänemark teilnahm. Der stattliche Mann mit dem mächtigen Backen- und Schnurrbart heiratete am 11. September 1856 die 1835 geborene Adelheid zu Hohenlohe-Langenburg, deren Mutter eine Halbschwester der britischen Königin Victoria war. Letztere war es auch, die sich vehement gegen eine Ehe ihrer Cousine mit dem 27 Jahre älteren Napoleon III. aussprach, nachdem dieser um die Hand von Adelheid anhielt. Zwar weinte sich die beinahe Kaiserin der Franzosen die Augen aus, aber die Ehe mit Friedrich von Augustenburg verlief dennoch harmonisch und besonnen.17
Die letzte deutsche Kaiserin wurde am 22. Oktober 1858 um 7.30 Uhr als Tochter von Friedrich und Adelheid auf einem Rittergut in Dolzig, einem kleinen Dorf mit knapp 450 Einwohnern geboren. Ihr im Jahr 1857 geborener Bruder verstarb sieben Tage nach ihrer Geburt. Das kleine Mädchen wurde am 30. November 1858 auf den Namen Augusta Victoria Friederike Luise Feodora Jenny zu Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg getauft. Zu seinen Taufpaten gehörten der Prinzregent von Preußen und seine Frau, Wilhelm und Augusta, deren Sohn und dessen Gattin, Friedrich Wilhelm und Victoria, eine Tochter von Königin Victoria. Diese war zum Zeitpunkt der Taufe schwanger mit ihrem ersten Sohn, dem späteren Wilhelm II., der am 27. Januar 1859 im Kronprinzenpalais in Berlin zur Welt kam. Die Holsteiner bekamen noch fünf weitere Kinder: 1860 Karoline Mathilde, 1862 Friedrich Viktor, der im selben Jahr verstarb, 1863 Ernst Günther, 1866 Luise und 1874 Feodora.
Der Vater, Friedrich VIII. von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg, hier um 1870, heiratete 1856 Adelheid zu Hohenlohe-Langenburg. (Künstler: Carl Fischer)
Die ersten fünf Jahre ihrer Kindheit verbrachte Dona, wie Auguste Viktoria im Familienkreis genannt wurde, in der ländlichen Idylle der Niederlausitz. Der Tod des kinderlosen dänischen Königs im November 1863 änderte dies, als Prinz Christian von Glücksburg ihm auf den Thron folgte und somit auch die Regentschaft über die Herzogtümer Schleswig und Holstein übernahm. Am 16. November rief sich Donas Vater, nachdem sein Vater ihm die herzoglichen Anrechte übertragen hatte, zu Friedrich VIII. Herzog von Schleswig und Holstein aus und richtete sich mit dem Pamphlet Mein Recht ist Eure Rettung an die Bevölkerung. Die Spannungen zwischen Dänemark und dem Deutschen Bund führten durch Annahme der dänischen Novemberverfassung unter dem neuen König Christian IX. zum Casus Bello. Sein Ziel, beide Herzogtümer näher an den dänischen Staat zu binden, brach die Londoner Protokolle ebenso wie die Selbstausrufung Friedrichs VIII.
Obwohl die Situation zwischen den Staaten auf das Äußerte gereizt war, kam es zu keinerlei Kampfhandlungen. Auch nicht als Truppen im Namen des Deutschen Bundes in Holstein und Lauenburg im Rahmen der Bundesexekution einmarschierten und Friedrich VIII. am 30. Dezember unter Jubel der Bevölkerung und unterstützt vom Militär in Kiel einzog. Dazu kam es erst, als der preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck ein Ultimatum an Dänemark richtete, indem er zur Aufgabe der Novemberverfassung innerhalb von 48 Stunden aufforderte – wohl wissend, dass der dänische König dazu nicht fähig war, ohne innenpolitische Spannungen auszulösen. Als Reaktion darauf erklärten Preußen und Österreich den Dänen den Krieg und überschritten am 1. Februar 1864 die Grenze zu Schleswig.
Der Deutsch-Dänische-Krieg endete nach einem halben Jahr mit einer Niederlage Dänemarks und dessen Einflussverlust über Lauenburg, Holstein und Schleswig. Die Hoffnung Friedrichs VIII., die Herzogtümer zu regieren, wurde zerschlagen, als Preußen und Österreich sich die Kontrolle über die Gebiete teilten. Die Entschädigung, die Preußen dem Augustenburger anbot, lehnte dieser aus Stolz ab. In den folgenden Jahren verkaufte er das Grundstück in Dolzig und zog für fünf Jahre mit seiner Familie in das Holsteinische Palais in Gotha. Der Tod von Donas Großvater Christian-August von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg im März 1869 führte die Familie schließlich nach Primkenau in Schlesien.
Während der Zeit in Gotha veränderte sich der Deutsche Bund rapide. Der Konflikt