Pompeji. Massimo Osanna. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Massimo Osanna
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: История
Год издания: 0
isbn: 9783806243932
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und bemalten Dächern aus Terrakotta (Abb. 3). Eine Architektur, die fachkundige Werkstätten und Architekten erforderte. Was die handwerklichen Traditionen anbelangt, so muss Pompeji in seinem mediterranen Kontext gesehen werden, das heißt als ein Ort, in dem Wissen nicht linear vermittelt wurde, in dem mobile und in ihren Fähigkeiten vielfältige Handwerker aktiv waren: Großbaustellen waren Orte, an denen neue Formen erprobt und Stilrichtungen sowie Dekorationsschemata gemischt wurden.

      In einer Welt, in der sich Erfahrungen und Kulturen überlagerten, erscheint es problematisch, Denkmälern und Werkstücken ein ethnisches Etikett zuzuweisen: griechisch, etruskisch, lokal. Die Herkunft einzelner Gruppen von Handwerkern bedeutet, kurz gesagt, nicht, dass ein Produkt ethnisch als griechisch, etruskisch oder einheimisch bestimmt werden kann.16 Die Stadt und die Gruppen, aus denen sich ihre Führungsriege zusammensetzte, schöpften aus einem Universum von Wissen und formten daraus eine eigene Sprache, die mehr oder weniger an bereits vorhandene Traditionen anknüpfte. Es war weniger wichtig, sich auf eine bestimmte Handwerkstradition zu beziehen, als vielmehr zu beeindrucken: Beispielsweise gab man die Errichtung eines Daches in Auftrag, das diejenigen, die von auswärts in die Stadt kamen, in Staunen versetzen und den Eindruck einer mächtigen und blühenden Gemeinschaft vermitteln sollte.

      Die Frage nach den Ursprüngen Pompejis ist komplex. Eine tragende Rolle wird seit Langem den Etruskern zugeschrieben:17 Pompeji war wahrscheinlich kein oskisches Zentrum, das von einheimischen Gemeinden (wie Nola oder Nuceria) unter Mitwirkung und Anregung von etruskischen Familien gelenkt wurde, sondern es war wohl tatsächlich eine etruskische Gründung. Damit kam der Stadt gleichzeitig eine entscheidende Position auf dem Schachbrett zu, das der Golf des Kraters (wie der Golf von Neapel in der Antike genannt wurde) vor der Gründung von Neapolis war. Hier definierten sich die Stadtgemeinschaften im Rahmen von Vereinbarungen, Verträgen und Handelsrouten als integrative Einheiten. Dieses empfindliche Gleichgewicht sollte später18 durch die Ereignisse, die zur zweiten Schlacht von Cumae führten, gestört werden. Letztlich war diese Schlacht vielleicht vielmehr die Folge und nicht die Voraussetzung der Gründung von Neapolis.19 Die Geburt einer Stadt von so großer Bedeutung war Teil eines Prozesses, in dem individuelle politische Identitäten eine neue Rolle übernahmen und das alte Gleichgewicht, auch kultureller Art, nach und nach ins Wanken kam.

      Heiligtümer haben in diesem Bild immer eine führende Rolle gespielt, handelte es sich doch um Orte, die zur Integration und Konfrontation bestimmt waren – Orte, an denen die Interaktion mit den Göttern in erster Linie eine Interaktion zwischen Menschen war, die miteinander wetteiferten und Vereinbarungen trafen.

      Abb. 3 Versuch einer dreidimensionalen Rekonstruktion des Dachs des Minervatempels im 6. Jahrhundert v. Chr. Die archaischen Tempel hatten monumentale Dachstrukturen, die mit flachen und halbrunden Ziegeln aus Terrakotta gedeckt waren; die Dachränder schlossen mit reich verzierten, polychrom gefassten Simen und Wasserspeiern ab. (Umzeichnung: F. Giannella.)

      Minerva und Apollo

      Die beiden wichtigsten Kultstätten Pompejis lagen innerhalb der Stadtmauern an strategisch günstigen Stellen: das Heiligtum des Apollo in der Nähe eines der Zugänge zur Stadt (der sogenannten Porta Marina) und – wahrscheinlich – des Hauptplatzes (also des Areals, das später das Forum der römischen Kolonie einnahm); das Heiligtum der Minerva am sogenannten Foro Triangolare, einem Ausläufer des Lavaplateaus, auf dem sich die Stadt erhebt und das einen weiten Blick über die Sarno-Ebene und das Meer eröffnet. Beide Tempel liegen demnach an den Rändern des Areals, das die ältere Forschung als „Altstadt“ bezeichnete und das wir heute wohl als eine Art öffentlich-sakrale Akropolis bezeichnen können, die bereits im 6. Jahrhundert v. Chr. von einem orthogonal organisierten Stadtraum umgeben war.

      Die Kenntnis der ältesten Phasen dieser beiden Heiligtümer beruht vor allem auf den Funden von Baukeramik und den wenigen Votivgegenständen, die die Zeit überdauert haben. Die in älteren Ausgrabungen entdeckte Baukeramik des Apollotempels, die um die Mitte des 6. Jahrhunderts v. Chr. datiert wird, scheint über lange Zeit in Gebrauch gewesen zu sein. Tatsächlich gibt es nach dem heutigen Stand der Forschung keine Hinweise auf spätere Phasen.20 Der Befund verweist auf Werkstätten aus Cumae; das Dach mit seinen Antefixen und Rankensimen muss eine beeindruckende Wirkung gehabt haben (Abb. 4). Vom aufgehenden Mauerwerk des Tempels aus Tuff und Lava hat sich nur wenig erhalten. Es ist deshalb nicht einfach, sich den Bau des 6. Jahrhunderts v. Chr. insgesamt vorzustellen, doch muss er im auch in Cumae belegten dorischen Stil ausgeführt gewesen sein.21 Von den kultischen und kulturellen Eigenheiten des Heiligtums wissen wir leider nichts Genaues: Wer besuchte das Heiligtum? Und wann? Im Rahmen von welchen festlichen Anlässen? Unter den Votivgaben finden sich aus Griechenland importierte Gefäße genauso wie vor Ort hergestellte, außerdem Kratere (Abb. 5 und 6) zum Mischen von Wein und Wasser, Trinkschalen,22 Bucchero-Gefäße und Gegenstände aus Bronze, darunter zahlreiche Waffen. Die Tatsache, dass auch hier etruskische Inschriften zutage kamen, zeugt angesichts der großen Anzahl solcher Inschriften aus dem Heiligtum des Fondo Iozzino (vgl. Kapitel 2) von der wichtigen Rolle der Etrusker.23

      Verehrt wurde hier der Gott Apollo, ähnlich demjenigen im großen Heiligtum von Delphi, mit dem die Etrusker enge Beziehungen pflegten. Apollo war aber auch die große Gottheit auf der Akropolis von Cumae: Die Stadt formte aus vielgestaltigen Einflüssen von außen im Inneren etwas Eigenes, nach den eigenen Erfordernissen, und „erschuf “ eine Götterfigur, wie sie den Bedürfnissen der Stadtgemeinschaft am besten entsprach.24

      Abb. 4 Zeichnerische Rekonstruktion der architektonischen Terrakottadekoration des Apollotempels. Bauphase: Mitte des 6. Jahrhunderts v. Chr. Die Hersteller dieser Baukeramik kamen aus Cumae, von wo ganz ähnliche Terrakotten bekannt sind. (Umzeichnung: F. Giannella.)

      Als Pendant zum Apollotempel fungierte das Heiligtum der Minerva am südlichen Stadtrand (Farbtafeln 1 und 2).25 Auf eine erste Phase, die um die Mitte des 6. Jahrhundert v. Chr. angesetzt werden muss und der ein in Stein errichtetes Gebäude und einige wenige Fragmente Baukeramik zugewiesen werden können, folgte in spätarchaischer Zeit eine Phase der Monumentalisierung, im Zuge derer im späten 6. Jahrhundert v. Chr. ein neues Dach entstand (Farbtafel 3).26 Der Name der Göttin, der der Tempel zugeschrieben wird, erscheint in einem Text aus samnitischer Zeit.27 Im Bildmaterial taucht sie, zusammen mit Herkules, in der architektonischen Dekoration des späten 4. Jahrhunderts v. Chr. auf. Für die archaische Phase gibt es also keine schriftlichen Zeugnisse, doch lassen sich Indizien für die Identität der verehrten Gottheit aus fragmentarisch erhaltenen, zum Teil überlebensgroßen Terrakottastatuen ableiten.28 Erhalten sind die Reste einer Gruppe, bestehend aus einer männlichen Gestalt, zu der Fragmente einer ausdrucksstarken Figur und Teile eines Perlenhaarkranzes gehören (dieser Typus ist aus anderen Zeugnissen, wie beispielsweise der in Cumae dokumentierten kampanischen Koroplastik, bekannt), und anderen Figuren, von denen eine mit einem großen bemalten Schild bewaffnet war. Der Schild (Farbtafel 4), der auf dem Boden abgestellt ist, scheint ein Gewand zu berühren, und das ist ein bekanntes Element der Ikonografie der Athena/Minerva in hellenistischer Zeit.

      Abb. 5 und 6 Gefäße griechischer Herkunft (in diesem Fall aus Korinth) finden sich häufig in etruskischen und italischen Heiligtümern. Die zwei hier abgebildeten Fragmente von Krateren wurden unter den Votivgaben im Heiligtum des Apollo entdeckt.

      Die Terrakottaskulpturen können dem zweiten Dach des Tempels aus dem späten 6. Jahrhundert v. Chr. zugeordnet werden. Vielleicht waren sie als Akrotere