In Erwartung Ihrer Antwort
[Unterschrift unleserlich]“13
Der Text dieser Petition, die schließlich im Innenministerium gelandet sein muss, war in einem Quellenband mit Dokumenten des iranischen Innenministeriums enthalten, den Salar bei seiner Rückkehr aus dem Iran mitbrachte, nach einem Sommer heftiger Proteste, an dessen Ende die Wiederwahl Ahmadinedschads zum Präsidenten der Islamischen Republik gestanden hatte – und seine Vereidigung mit dem Segen des Ajatollahs Chamenei. Bei der Recherche, die Salar in meinem Auftrag hatte unternehmen wollen, war leider außer ein paar alten Zeitungsmeldungen nicht viel herausgekommen, weil das Iranische Nationalarchiv, wie sich herausstellte, weder über eine zentrale Datenbank seiner Bestände noch über irgendeine andere erkennbare Ordnung verfügte. Aber immerhin hatte Salar die erwähnte Quellensammlung gefunden, dazu noch einige Fotos und andere Hinterlassenschaften, die er in einem improvisierten Archiv mit Unterlagen der polnischen Flüchtlinge aufgespürt hatte, das sich im Keller unter einem Schuhgeschäft auf der Enghelab-Straße („Straße der Islamischen Revolution“) befindet, einer Hauptverkehrsader im Zentrum Teherans. Herr Nikpour, der Schuhhändler, ein Perser, war mit einer Polin verheiratet, die als Flüchtling in den Iran gekommen war. Ihr gemeinsamer Sohn Ramin, erzählte er Salar, lebe heute mit seiner Familie in Warschau; nach dem Fall des Eisernen Vorhangs habe er sich erfolgreich um die polnische Staatsbürgerschaft bemüht. Der Jüngste hingegen, Reza, war im Iran geblieben; er war es, der in dem Archiv im Untergeschoss alle erreichbaren Dokumente über die polnischen Flüchtlinge im Iran zusammentrug.
In New York brüteten Salar und ich stumm über dem Bittbrief der „fünfzig österreichischen Juden“ und fragten uns, ob sie damit wohl Erfolg gehabt hatten. Im Herbst 1938 war die Frage „Auswandern oder Bleiben?“ natürlich längst zu einer Frage von Leben und Tod geworden. Die Art, wie der Brief formuliert war, ließ vermuten, dass ihnen bei der Abfassung jemand geholfen hatte, der sich sehr gut mit der persischen Politik, Kultur und Lebensart auskannte. Dafür sprach die zielgenau präsentierte Liste von Berufen und auch die Betonung der Tatsache, dass man auf keinen Fall den Einheimischen Konkurrenz machen wolle, vor allem aber der Satz gegen Ende des Schreibens: „Wir erklären schon jetzt, dass wir unter den Gesetzen Ihres Landes und unter Ihrem Schutz stehen [zir e panāh e schomā]“. Das zeigte, dass dieser Brief sehr sorgfältig formuliert worden war, um genau den Erwartungen der Adressaten zu entsprechen – oder zumindest dem, was seine Verfasser für deren Erwartungen hielten. „Wir vertrauen fest [auf Sie]“, das war ein unterwürfiger Appell an eine Autorität, die zugleich religiös, gesetzlich und moralisch zu verstehen war. Salar meinte, dass derartige Formulierungen in persischen Ohren einen sehr starken, tiefen Eindruck hinterlassen haben dürften.
Jedoch fand sich in der Dokumentensammlung, die Reza Nikpour angelegt hatte, keine Antwort auf den Bittbrief, nur eine Übersetzung des Schreibens ins Persische und die folgende knappe Mitteilung eines Beamten des iranischen Innenministeriums an die Adresse des Premierministers Mahmud Dscham:
11. 01. 1938
Sehr geehrter Herr Premierminister!
Fünfzig Juden aus Wien haben einen Brief geschrieben, in dem sie darum bitten, sich „dauerhaft im Iran ansiedeln zu dürfen“ und dass man ihnen ein Stück Land gebe, das sie bebauen und kultivieren wollen. Beiliegend erhalten Sie die Übersetzung ihres Schreibens. Wir bitten darum, dass Sie uns Ihre Entscheidung in dieser Sache – wie sie auch ausfallen mag – mitteilen, damit wir ihnen Antwort geben können.
gez. Abolghasem Foruhar
Das kurze Anschreiben aus dem Innenministerium wirkte nicht gerade begeistert. Aber immerhin war das Gesuch nicht gleich im Papierkorb gelandet, sondern binnen vierzehn Tagen an den Premierminister Dscham weitergeleitet worden, der als ein besonnener Mann und politischer Pragmatiker galt.
In Salars Buch gab es auch noch andere Dokumente, die mit jüdischen Flüchtlingen zu tun hatten. In einem Memorandum aus dem Büro des Premierministers an das Innenministerium vom September 1937 wird die Entsendung von Polizisten in die Provinz Chorasan im Osten des Landes angeordnet, „um Juden an der Einreise in den Iran [über die Grenze zur Sowjetunion] zu hindern“. Diejenigen, die sich bereits im Land befanden, „sollen wissen, dass es nicht zu ihrem Vorteil wäre, wenn sie hierblieben, sondern dass sie lieber nach Bagdad weiterreisen und ihre Situation und ihr Schicksal dort abwarten würden. Aber wenn sie sich nicht umstimmen lassen … ist es auch nicht notwendig, sie weiter aufzuhalten und ihnen Schwierigkeiten zu bereiten“. Juden aus Buchara, dem Irak und vom Kaukasus hatten schon seit Anfang der 1930er-Jahre unbehelligt im Iran gelebt. Hätten die irakischen Juden „sich umstimmen lassen“ und wären in ihr Herkunftsland zurückgekehrt, dann hätte „ihre Situation und ihr Schicksal“ durchaus die sein können, dass sie dem irakischen Premierminister Raschid Ali al-Gailani in die Hände gefallen wären, einem arabischen Nationalisten mit Sympathien für die Achsenmächte, der am 3. April 1941 einen Militärputsch anzettelte, dem Anfang Juni ein zweitägiger Pogrom – der Farhud – gegen die jüdische Bevölkerung Bagdads folgte.
In einer anderen Mitteilung warnte das iranische Innenministerium die Polizei des Bezirks Chorramschahr an der Grenze zum Irak, dass es „in Chorramschahr eine Anzahl von Juden [gibt], [die] am Schmuggel [von Flüchtlingen] beteiligt“ seien – man solle sie bitte umgehend „in das Landesinnere“ umsiedeln. Die Beamten sahen den Flüchtlingen also nicht mit Enthusiasmus entgegen – aber allzu streng waren ihre Anweisungen und deren Umsetzung dann auch nicht.
„Die geben typisch persische Befehle“, meint Salar lachend, als er die beiden Dokumente für mich übersetzt. „Wir sind ein flexibles Völkchen, zuerst hü und dann gleich wieder hott.“
„Besser hü und hott als auf direktem Weg zurück zu Hitler“, sage ich, weil mir das Flüchtlingsschiff St. Louis einfällt, das von den Vereinigten Staaten nur wenige Monate vor Kriegsausbruch abgewiesen wurde.
Ganz ähnlich ist das Pendel der iranischen Politik immer wieder zwischen einer Annäherung an die Achsenmächte und einer Annäherung an die Alliierten hin und her geschwungen: Am 20. März 1939 sandte – angeblich – Adolf Hitler dem persischen Schah Reza einen Nowruz-Gruß zum persischen Neujahrsfest.14 Am 4. September erklärte der Iran seine Neutralität, trieb aber weiterhin mit Nazideutschland Handel. Gut einen Monat später, am 26. Oktober, wurde Premierminister Mahmud Dscham von dem deutschfreundlichen Ahmad Matin-Daftari abgelöst, der verfügte, dass persische Juden fortan nicht mehr als Beamte oder für die staatliche Eisenbahngesellschaft arbeiten durften. Wie sehr Matin-Daftari den Deutschen zuneigte – oder vielleicht eher eine Abneigung gegen die Briten empfand –, lässt sich wohl auch daran ablesen, dass er Hunderte von Visumsanträgen litauischer Juden ablehnen ließ. Acht Monate später folgte ihm wiederum Radschab Ali Mansur im Amt nach, der als Freund der Briten galt.
Während sich alle anderen Grenzen der Welt vor den jüdischen Flüchtlingen schlossen, gelangten doch immer noch einige in den Iran, und sei es nur auf der Durchreise. Am 9. Mai 1941 schrieb ein gewisser „Konsul Hersh Cynowicz im Hôtel Lalezar“ im Namen von 58 solcher Flüchtlinge einen Brief an die jüdische Hilfsorganisation Joint Distribution Committee (JDC) in New York. Detailliert stellte er den entbehrungsreichen Weg der Gruppe dar, die aus dem litauischen Wilna (Vilnius) über Moskau bis nach Teheran gelangt waren. Sie hatten ursprünglich japanische Transitvisa nach Wladiwostok gehabt, aber die kaiserlich-japanische Regierung hatte diese annulliert. Die britische Botschaft in Moskau hatte ihnen zwar Visa für Palästina ausgestellt, konnte ihnen jedoch nicht den Weg dorthin bahnen, weil die Durchreise durch Syrien für polnische Staatsbürger (als die sie galten) nicht gestattet war. Dann war ihnen, wie Cynowicz schrieb, „der persische Konsul in Moskau zu Hilfe gekommen, indem er uns allen Transitvisa durch den Iran ausstellte“. Diese waren eigentlich für fünf Tage gültig, aber wegen Schwierigkeiten bei der Weiterreise blieben die Flüchtlinge fünf ganze Wochen in Teheran. Die „Gesinnung der örtlichen Behörden“ sei „günstig“, schrieb der Konsul, jedoch hätten die Mitglieder der Gruppe keinerlei Mittel, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.15
Salar