Franz Kafka: Sämtliche Werke. Knowledge house. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Knowledge house
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9782380372786
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an Engeln und Teufeln mehr ab, als er anzieht.“ „Wie Du das herausfinden kannst“, sagte Fanny. „Es ist aber möglich. Sag es unserem Führer, vielleicht kannst Du ihm dadurch nützen.“ „Wo ist er?“ fragte Karl. „In der Rennbahn“, sagte Fanny, „auf der Schiedsrichtertribüne.“ „Auch das wundert mich“, sagte Karl, „warum geschieht denn die Aufnahme auf der Rennbahn?“ „Ja“, sagte Fanny, „wir machen überall die größten Vorbereitungen für den größten Andrang. Auf der Rennbahn ist eben viel Platz. Und in allen Ständen, wo sonst die Wetten abgeschlossen werden, sind die Aufnahmskanzleien eingerichtet. Es sollen zweihundert verschiedene Kanzleien sein.“ „Aber“, rief Karl, „hat denn das Teater von Oklahama so große Einkünfte, um derartige Werbetruppen erhalten zu können?“ „Was kümmert uns denn das“, sagte Fanny, „aber nun, Karl, geh, damit Du nichts versäumst, ich muß auch wieder blasen. Versuche auf jeden Fall einen Posten bei dieser Truppe zu bekommen und komm gleich zu mir es melden. Denke daran, daß ich in großer Unruhe auf die Nachricht warte.“ Sie drückte ihm die Hand, ermahnte ihn zur Vorsicht beim Hinabsteigen, setzte wieder die Trompete an die Lippen, blies aber nicht früher, ehe sie Karl unten auf dem Boden in Sicherheit sah. Karl legte wieder die Tücher über die Treppe so wie sie früher gewesen waren, Fanny dankte durch Kopfnicken, und Karl gieng, das eben Gehörte nach verschiedenen Richtungen hin überlegend auf den Mann zu, der schon Karl oben bei Fanny gesehen und sich dem Postament genähert hatte, um ihn zu erwarten.

      „Sie wollen bei uns eintreten?“ fragte der Mann. „Ich bin der Personalchef dieser Truppe und heiße Sie willkommen.“ Er war ständig wie aus Höflichkeit ein wenig vorgebeugt, tänzelte, trotzdem er sich nicht von der Stelle rührte und spielte mit seiner Uhrkette. „Ich danke“, sagte Karl, „ich habe das Plakat Ihrer Gesellschaft gelesen und melde mich wie es dort verlangt wird.“ „Sehr richtig“, sagte der Mann anerkennend, „leider verhält sich hier nicht jeder so richtig.“ Karl dachte daran, daß er jetzt den Mann darauf aufmerksam machen könnte, daß möglicherweise die Lockmittel der Werbetruppe gerade wegen ihrer Großartigkeit versagten. Aber er sagte es nicht, denn dieser Mann war gar nicht der Führer der Truppe und außerdem wäre es wenig empfehlend gewesen, wenn er der noch gar nicht aufgenommen war, gleich Verbesserungsvorschläge gemacht hätte. Darum sagte er nur: „Es wartet draußen noch einer, der sich auch anmelden will und der mich nur vorausgeschickt hat. Darf ich ihn jetzt holen?“ „Natürlich“, sagte der Mann, „je mehr kommen, desto besser.“ „Er hat auch eine Frau bei sich und ein kleines Kind im Kinderwagen. Sollen die auch kommen?“ „Natürlich“, sagte der Mann und schien über Karls Zweifel zu lächeln. „Wir können alle brauchen.“ „Ich bin gleich wieder zurück“, sagte Karl und lief wieder zurück an den Rand des Podiums. Er winkte dem Ehepaar zu und rief daß alle kommen dürften. Er half den Kinderwagen auf das Podium heben und sie giengen nun gemeinsam. Die Burschen die das sahen, berieten sich miteinander, stiegen dann langsam, bis zum letzten Augenblick noch zögernd, die Hände in den Taschen auf das Podium hinauf und folgten schließlich Karl und der Familie. Eben kamen aus dem Stationsgebäude der Untergrundbahn neue Passagiere hervor, die angesichts des Podiums mit den Engeln staunend die Arme erhoben. Immerhin schien es als ob die Bewerbung um Stellen nun doch lebhafter werden solle. Karl war sehr froh so früh, vielleicht als erster gekommen zu sein, das Ehepaar war ängstlich und stellte verschiedene Fragen darüber, ob große Anforderungen gestellt würden. Karl sagte, er wisse noch nichts Bestimmtes, er hätte aber wirklich den Eindruck erhalten, daß jeder ohne Ausnahme genommen würde. Er glaube, man dürfe getrost sein.

      Der Personalchef kam ihnen schon entgegen, war sehr zufrieden, daß soviele kamen, rieb sich die Hände, grüßte jeden einzelnen durch eine kleine Verbeugung und stellte sie alle in eine Reihe. Karl war der erste, dann kam das Ehepaar und dann erst die andern. Als sie sich alle aufgestellt hatten, die Burschen drängten sich zuerst durcheinander und es dauerte ein Weilchen ehe bei ihnen Ruhe eintrat, sagte der Personalchef, während die Trompeten verstummten: „Im Namen des Teaters von Oklahama begrüße ich Sie. Sie sind früh gekommen (es war aber schon bald mittag) das Gedränge ist noch nicht groß, die Formalitäten Ihrer Aufnahme werden daher bald erledigt sein. Sie haben natürlich alle Ihre Legitimationspapiere bei sich.“ Die Burschen holten gleich irgendwelche Papiere aus den Taschen und schwenkten sie gegen den Personalchef hin, der Ehemann stieß seine Frau an, die unter dem Federbett des Kinderwagens ein ganzes Bündel Papiere hervorzog, Karl allerdings hatte keine. Sollte das ein Hindernis für seine Aufnahme werden? Es war nicht unwahrscheinlich. Immerhin wußte Karl aus Erfahrung, daß sich derartige Vorschriften wenn man nur ein wenig entschlossen ist, leicht umgehen lassen. Der Personalchef überblickte die Reihe, vergewisserte sich daß alle Papiere hatten und da auch Karl die Hand, allerdings die leere Hand erhob, nahm er an, auch bei ihm sei alles in Ordnung. „Es ist gut“, sagte dann der Personalchef und winkte den Burschen ab, die ihre Papiere gleich untersucht haben wollten, „die Papiere werden jetzt in den Aufnahmskanzleien überprüft werden. Wie Sie schon aus unserm Plakat gesehn haben, können wir jeden brauchen. Wir müssen aber natürlich wissen, was für einen Beruf er bisher ausgeübt hat, damit wir ihn an den richtigen Ort stellen können, wo er seine Kenntnisse verwerten kann.“ „Es ist ja ein Teater“, dachte Karl zweifelnd und hörte sehr aufmerksam zu. „Wir haben daher“, fuhr der Personalchef fort, „in den Buchmacherbuden Aufnahmskanzleien eingerichtet, je eine Kanzlei für eine Berufsgruppe. Jeder von Ihnen wird mir also jetzt seinen Beruf angeben, die Familie gehört im allgemeinen zur Aufnahmskanzlei des Mannes, ich werde Sie dann zu den Kanzleien führen, wo zuerst Ihre Papiere und dann Ihre Kenntnisse von Fachmännern überprüft werden sollen – es wird nur eine ganz kurze Prüfung sein, niemand muß sich fürchten. Dort werden Sie dann auch gleich aufgenommen werden und die weitern Weisungen erhalten. Fangen wir also an. Hier die erste Kanzlei ist wie schon die Aufschrift sagt, für Ingenieure bestimmt. Ist vielleicht ein Ingenieur unter Ihnen?“ Karl meldete sich. Er glaubte, gerade weil er keine Papiere hatte, müsse er bestrebt sein alle Formalitäten möglichst rasch durchzujagen, eine kleine Berechtigung sich zu melden hatte er auch, denn er hatte ja Ingenieur werden wollen. Aber als die Burschen sahen, daß sich Karl meldete, wurden sie neidisch und meldeten sich auch, alle meldeten sich. Der Personalchef streckte sich in die Höhe und sagte zu den Burschen: „Sie sind Ingenieure?“ Da senkten sie alle langsam die Hände, Karl dagegen bestand auf seiner ersten Meldung. Der Personalchef sah ihn zwar ungläubig an, denn Karl schien ihm zu kläglich angezogen und auch zu jung, um Ingenieur sein zu können, aber er sagte doch nichts weiter, vielleicht aus Dankbarkeit, weil Karl ihm, wenigstens seiner Meinung nach, die Bewerber hereingeführt hatte. Er zeigte bloß einladend nach der Kanzlei und Karl gieng hin, während sich der Personalchef den andern zuwendete.

      In der Kanzlei für Ingenieure saßen an den zwei Seiten eines rechtwinkligen Pultes zwei Herren und verglichen zwei große Verzeichnisse, die vor ihnen lagen. Der eine las vor, der andere strich in seinem Verzeichnis die vorgelesenen Namen an. Als Karl grüßend vor sie hintrat, legten sie sofort die Verzeichnisse fort und nahmen andere große Bücher vor, die sie aufschlugen. Der eine, offenbar nur ein Schreiber, sagte: „Ich bitte um Ihre Legitimationspapiere.“ „Ich habe sie leider nicht bei mir“, sagte Karl. „Er hat sie nicht bei sich“, sagte der Schreiber zu dem andern Herrn und schrieb die Antwort gleich in sein Buch ein. „Sie sind Ingenieur?“ fragte dann der andere, der der Leiter der Kanzlei zu sein schien. „Ich bin es noch nicht“, sagte Karl schnell, „aber –“ „Genug“, sagte der Herr noch viel schneller, „dann gehören Sie nicht zu uns. Ich bitte die Aufschrift zu beachten.“ Karl biß die Zähne zusammen, der Herr mußte es bemerkt haben, denn er sagte: „Es ist kein Grund zur Unruhe. Wir können alle brauchen.“ Und er winkte einem der Diener, die beschäftigungslos zwischen den Barrieren herumgiengen: „Führen Sie diesen Herrn zu der Kanzlei für Leute mit technischen Kenntnissen.“ Der Diener faßte den Befehl wörtlich auf und faßte Karl bei der Hand. Sie giengen zwischen vielen Buden durch, in einer sah Karl schon einen der Burschen der bereits aufgenommen war und den Herren dort dankend die Hand drückte. In der Kanzlei, in die Karl jetzt gebracht wurde, war, wie Karl vorausgesehen hatte, der Vorgang ähnlich wie in der ersten Kanzlei. Nur schickte man ihn von hier, da man hörte, daß er eine Mittelschule besucht hatte, in die Kanzlei für gewesene Mittelschüler. Als Karl dort aber sagte, er hätte eine europäische Mittelschule besucht, erklärte man sich auch dort für unzuständig und ließ ihn in die Kanzlei für europäische