Franz Kafka: Sämtliche Werke. Knowledge house. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Knowledge house
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9782380372786
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müsse, Robinson hatte keine Ahnung wo das Parfüm war, er legte sich einfach auf den Boden, fuhr immerfort mit beiden Armen unter dem Kanapee herum, beförderte aber nichts anderes als Knäuel von Staub und Frauenhaaren heraus. Karl eilte zuerst zum Waschtisch, der gleich bei der Türe stand, aber in seinen Schubladen fanden sich nur alte englische Romane, Zeitschriften und Noten vor und alles war so überfüllt, daß man die Schubladen nicht schließen konnte, wenn man sie einmal aufgemacht hatte. „Das Parfüm“, seufzte unterdessen Brunelda. „Wie lange das dauert! Ob ich heute noch mein Parfum bekomme!“ Bei dieser Ungeduld Bruneldas durfte natürlich Karl nirgends gründlich suchen, er mußte sich auf den oberflächlichen ersten Eindruck verlassen. Im Waschkasten war die Flasche nicht, auf dem Waschkasten standen überhaupt nur alte Fläschchen mit Medizinen und Salben, alles andere war jedenfalls schon in den Waschraum getragen worden. Vielleicht war die Flasche in der Schublade des Eßtisches. Auf dem Weg zum Eßtisch aber – Karl dachte nur an das Parfüm, sonst an nichts – stieß er heftig mit Robinson zusammen, der das Suchen unter dem Kanapee endlich aufgegeben hatte und in einer aufdämmernden Ahnung vom Standort des Parfüms wie blind Karl entgegenlief. Man hörte deutlich das Zusammenschlagen der Köpfe, Karl blieb stumm, Robinson hielt zwar im Lauf nicht ein, schrie aber um sich den Schmerz zu erleichtern, andauernd und übertrieben laut.

      „Statt das Parfum zu suchen, kämpfen sie“, sagte Brunelda. „Ich werde krank von dieser Wirtschaft, Delamarche, und werde ganz gewiß in Deinen Armen sterben. Ich muß das Parfüm haben“, rief sie dann sich aufraffend, „ich muß es unbedingt haben. Ich gehe nicht früher aus der Wanne ehe man es mir bringt und müßte ich hier bis Abend bleiben.“ Und sie schlug mit der Faust ins Wasser, man hörte es aufspritzen.

      Aber auch in der Schublade des Eßtisches war das Parfüm nicht, zwar waren dort ausschließlich Toilettengegenstände Bruneldas wie alte Puderquasten, Schminktöpfchen, Haarbürsten, Löckchen und viele verfitzte und zusammengeklebte Kleinigkeiten, aber das Parfum war dort nicht. Und auch Robinson, der noch immer schreiend in einer Ecke von etwa hundert dort aufgehäuften Schachteln und Kassetten, eine nach der andern öffnete und durchkramte, wobei immer die Hälfte des Inhalts, meist Nähzeug und Briefschaften, auf den Boden fiel und dort liegen blieb, konnte nichts finden, wie er zeitweise Karl durch Kopfschütteln und Achselzucken anzeigte.

      Da sprang Delamarche in Unterkleidung aus dem Waschraum hervor, während man Brunelda krampfhaft weinen hörte. Karl und Robinson ließen vom Suchen ab und sahen den Delamarche an, der ganz und gar durchnäßt, auch vom Gesicht und von den Haaren rann ihm das Wasser, ausrief: „Jetzt also fangt gefälligst zu suchen an.“ „Hier!“ befahl er zuerst Karl zu suchen und dann „dort!“ dem Robinson. Karl suchte wirklich und überprüfte auch noch die Plätze, zu denen Robinson schon kommandiert worden war, aber er fand ebensowenig das Parfum, wie Robinson, der eifriger, als er suchte, seitlich nach Delamarche ausschaute, der soweit der Raum reichte stampfend im Zimmer auf- und abgieng und gewiß am liebsten sowohl Karl wie Robinson durchgeprügelt hätte.

      „Delamarche“, rief Brunelda, „komm mich doch wenigstens abtrocknen. Die zwei finden ja das Parfum doch nicht und bringen nur alles in Unordnung. Sie sollen sofort mit dem Suchen aufhören. Aber gleich! Und alles aus der Hand legen! Und nichts mehr anrühren! Sie möchten wohl aus der Wohnung einen Stall machen. Nimm sie beim Kragen Delamarche, wenn sie nicht aufhören! Aber sie arbeiten ja noch immer, gerade ist eine Schachtel gefallen. Sie sollen sie nicht mehr aufheben, alles liegen lassen und aus dem Zimmer heraus! Riegel hinter ihnen die Tür zu und komm zu mir. Ich liege ja schon viel zu lange im Wasser, die Beine habe ich schon ganz kalt.“

      „Gleich Brunelda gleich“, rief Delamarche und eilte mit Karl und Robinson zur Tür. Ehe er sie aber entließ, gab er ihnen den Auftrag das Frühstück zu holen und womöglich von jemandem ein gutes Parfüm für Brunelda auszuborgen.

      „Das ist eine Unordnung und ein Schmutz bei Euch“, sagte Karl draußen auf dem Gang, „gleich wie wir mit dem Frühstück zurückkommen, müssen wir zu ordnen anfangen.“

      „Wenn ich nur nicht so leidend wäre“, sagte Robinson. „Und diese Behandlung!“ Gewiß kränkte sich Robinson darüber, daß Brunelda zwischen ihm, der sie doch schon monatelang bediente und Karl, der erst gestern eingetreten war, nicht den geringsten Unterschied machte. Aber er verdiente es nicht besser und Karl sagte: „Du mußt Dich ein wenig zusammennehmen.“ Um ihn aber nicht gänzlich seiner Verzweiflung zu überlassen, fügte er hinzu: „Es wird ja nur eine einmalige Arbeit sein. Ich werde Dir hinter den Kästen ein Lager machen, und wenn nur einmal alles ein wenig geordnet ist, wirst Du dort den ganzen Tag liegen können, Dich um gar nichts kümmern müssen und sehr bald gesund werden.“

      „Jetzt siehst Du es also selbst ein wie es mit mir steht“, sagte Robinson und wandte das Gesicht von Karl ab, um mit sich und seinem Leid allein zu sein. „Aber werden sie mich denn jemals ruhig liegen lassen?“

      „Wenn Du willst, werde ich darüber selbst mit Delamarche und Brunelda reden.“

      „Nimmt denn Brunelda irgend eine Rücksicht?“ rief Robinson aus und stieß, ohne daß er Karl darauf vorbereitet hätte, mit der Faust eine Tür auf, zu der sie eben gekommen waren.

      Sie traten in eine Küche ein, von deren Herd, der reparaturbedürftig schien, geradezu schwarze Wölkchen aufstiegen. Vor der Herdtüre kniete eine der Frauen, die Karl gestern auf dem Korridor gesehen hatte und legte mit den bloßen Händen große Kohlenstücke in das Feuer, das sie nach allen Richtungen hin prüfte. Dabei seufzte sie in ihrer für eine alte Frau unbequemen knieenden Stellung.

      „Natürlich, da kommt auch noch diese Plage“, sagte sie beim Anblick Robinsons, erhob sich mühselig, die Hand auf der Kohlenkiste, und schloß die Herdtüre, deren Griff sie mit ihrer Schürze umwickelt hatte. „Jetzt um vier Uhr nachmittags“ – Karl staunte die Küchenuhr an – „müßt ihr noch frühstücken? Bande!“

      „Setzt Euch“, sagte sie dann, „und wartet bis ich für Euch Zeit habe.“

      Robinson zog Karl auf ein Bänkchen in der Nähe der Türe nieder und flüsterte ihm zu: „Wir müssen ihr folgen. Wir sind nämlich von ihr abhängig. Wir haben unser Zimmer von ihr gemietet und sie kann uns natürlich jeden Augenblick kündigen. Aber wir können doch nicht die Wohnung wechseln, wie sollen wir denn wieder alle die Sachen wegschaffen und vor allem ist doch Brunelda nicht transportabel.“

      „Und hier auf dem Gang ist kein anderes Zimmer zu bekommen?“ fragte Karl.

      „Es nimmt uns ja niemand auf“, antwortete Robinson, „im ganzen Haus nimmt uns niemand auf.“

      So saßen sie still auf ihrem Bänkchen und warteten. Die Frau lief immerfort zwischen zwei Tischen, einem Waschbottich und dem Herd hin und her. Aus ihren Ausrufen erfuhr man, daß ihre Tochter unwohl war und sie deshalb alle Arbeit, nämlich die Bedienung und Verpflegung von dreißig Mietern allein besorgen mußte. Nun war noch überdies der Ofen schadhaft, das Essen wollte nicht fertig werden, in zwei riesigen Töpfen wurde eine dicke Suppe gekocht und wie oft die Frau auch sie mit Schöpflöffeln untersuchte und aus der Höhe herabfließen ließ, die Suppe wollte nicht gelingen, es mußte wohl das schlechte Feuer daran schuld sein und so setzte sie sich vor der Herdtüre fast auf den Boden und arbeitete mit dem Schürhaken in der glühenden Kohle herum. Der Rauch von dem die Küche erfüllt war, reizte sie zum Husten der sich manchmal so verstärkte, daß sie nach einem Stuhl griff und minutenlang nichts anderes tat als hustete. Öfters machte sie die Bemerkung, daß sie das Frühstück heute überhaupt nicht mehr liefern werde, weil sie dazu weder Zeit noch Lust habe. Da Karl und Robinson einerseits den Befehl hatten, das Frühstück zu holen, andererseits aber keine Möglichkeit es zu erzwingen, antworteten sie auf solche Bemerkungen nicht, sondern blieben still sitzen wie zuvor.

      Ringsherum auf Sesseln und Fußbänkchen, auf und unter den Tischen, ja selbst auf der Erde in einen Winkel zusammengedrängt stand noch das ungewaschene Frühstücksgeschirr der Mieter. Da waren Kännchen in denen sich noch ein wenig Kaffee oder Milch vorfinden würde, auf manchen Tellerchen gab es noch Überbleibsel von Butter, aus einer umgefallenen großen Blechbüchse war Cakes weit herausgerollt. Es war schon möglich aus dem allen ein Frühstück zusammenzustellen,