Franz Kafka: Sämtliche Werke. Knowledge house. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Knowledge house
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9782380372786
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sehen konnte, der diese Gelegenheit ausnützte, um mit dem Tuch besonders eifrig zu winken.

      Dann aber sagte Karl, jetzt dürften sie sich keinen Aufenthalt mehr gönnen, der Weg sei lang und sie seien viel später ausgefahren, als es beabsichtigt war. Tatsächlich sah man schon hie und da Fuhrwerke und, wenn auch sehr vereinzelt Leute, die zur Arbeit giengen. Karl hatte mit seiner Bemerkung nichts weiter sagen wollen, als was er wirklich gesagt hatte, Brunelda aber faßte es in ihrem Zartgefühl anders auf und bedeckte sich ganz und gar mit ihrem grauen Tuch. Karl wendete nichts dagegen ein; der mit einem grauen Tuch bedeckte Handwagen war zwar sehr auffällig, aber unvergleichlich weniger auffällig als die unbedeckte Brunelda gewesen wäre. Er fuhr sehr vorsichtig; ehe er um eine Ecke bog, beobachtete er die nächste Straße, ließ sogar wenn es nötig schien, den Wagen stehn und gieng allein paar Schritte voraus, sah er irgend eine vielleicht unangenehme Begegnung voraus, so wartete er, bis sie sich vermeiden ließ oder wählte sogar den Weg durch eine ganz andere Straße. Selbst dann kam er, da er alle möglichen Wege vorher genau studiert hatte, niemals in die Gefahr einen bedeutenden Umweg zu machen. Allerdings erschienen Hindernisse, die zwar zu befürchten gewesen waren, sich aber im einzelnen nicht hatten vorhersehn lassen. So trat plötzlich in einer Straße, die leicht ansteigend, weit zu überblicken und erfreulicherweise vollständig leer war, ein Vorteil, den Karl durch besondere Eile auszunützen suchte, aus dem dunklen Winkel eines Haustors ein Polizeimann und fragte Karl, was er denn in dem so sorgfältig verdeckten Wagen führe. So streng er aber Karl angesehen hatte, so mußte er doch lächeln, als er die Decke lüftete und das erhitzte ängstliche Gesicht Bruneldas erblickte. „Wie?“ sagte er. „Ich dachte Du hättest hier zehn Kartoffelsäcke und jetzt ist es ein einziges Frauenzimmer? Wohin fahrt Ihr denn? Wer seid Ihr?“ Brunelda wagte gar nicht den Polizeimann anzusehn, sondern blickte nur immer auf Karl mit dem deutlichen Zweifel, daß selbst er sie nicht werde erretten können. Karl hatte aber schon genug Erfahrungen mit Policisten, ihm schien das ganze nicht sehr gefährlich. „Zeigen Sie doch Fräulein“, sagte er, „das Schriftstück, das Sie bekommen haben.“ „Ach ja“, sagte Brunelda und begann in einer so hoffnungslosen Weise zu suchen, daß sie wirklich verdächtig erscheinen mußte. „Das Fräulein“, sagte der Polizeimann mit zweifelloser Ironie, „wird das Schriftstück nicht finden.“ „Oja“, sagte Karl ruhig, „sie hat es bestimmt, sie hat es nur verlegt.“ Er begann nun selbst zu suchen und zog es tatsächlich hinter Bruneldas Rücken hervor. Der Polizeimann sah es nur flüchtig an. „Das ist es also“, sagte der Polizeimann lächelnd, „so ein Fräulein ist das Fräulein? Und Sie, Kleiner, besorgen die Vermittlung und den Transport? Wissen Sie wirklich keine bessere Beschäftigung zu finden?“ Karl zuckte bloß die Achseln, das waren wieder die bekannten Einmischungen der Polizei. „Na, glückliche Reise“, sagte der Polizeimann, als er keine Antwort bekam. In den Worten des Polizeimanns lag wahrscheinlich Verachtung, dafür fuhr auch Karl ohne Gruß weiter, Verachtung der Polizei war besser als ihre Aufmerksamkeit.

      Kurz darauf hatte er eine womöglich noch unangenehmere Begegnung. Es machte sich nämlich an ihn ein Mann heran, der einen Wagen mit großen Milchkannen vor sich herschob und äußerst gern erfahren hätte, was unter dem grauen Tuch auf Karls Wagen lag. Es war nicht anzunehmen, daß er den gleichen Weg wie Karl hatte, dennoch aber blieb er ihm zur Seite, so überraschende Wendungen Karl auch machte. Zuerst begnügte er sich mit Ausrufen, wie z. B. „Du mußt eine schwere Last haben“ oder „Du hast schlecht aufgeladen, oben wird etwas herausfallen.“ Später aber fragte er geradezu: „Was hast Du denn unter dem Tuch?“ Karl sagte: „Was kümmert’s Dich?“ Aber da das den Mann noch neugieriger machte, sagte Karl schließlich: „Es sind Äpfel.“ „So viel Äpfel“, sagte der Mann staunend und hörte nicht auf, diesen Ausruf zu wiederholen. „Das ist ja eine ganze Ernte“, sagte er dann. „Nun ja“, sagte Karl. Aber sei es daß er Karl nicht glaubte, sei es daß er ihn ärgern wollte, er gieng noch weiter, begann – alles während der Fahrt – die Hand wie zum Scherz nach dem Tuch auszustrecken und wagte es endlich sogar an dem Tuch zu zupfen. Was mußte Brunelda leiden! Aus Rücksicht auf sie wollte sich Karl in keinen Streit mit dem Mann einlassen und fuhr in das nächste offene Tor ein, als sei dies sein Ziel gewesen. „Hier bin ich zuhause“, sagte er, „Dank für die Begleitung.“ Der Mann blieb erstaunt vor dem Tor stehn und sah Karl nach, der ruhig darangieng wenn es sein mußte den ganzen ersten Hof zu durchqueren. Der Mann konnte nicht mehr zweifeln, aber um seiner Bosheit ein letztes Mal zu genügen, ließ er seinen Wagen stehn, lief Karl auf den Fußspitzen nach und riß so stark an dem Tuch, daß er Bruneldas Gesicht fast entblößt hätte. „Damit Deine Äpfel Luft bekommen“, sagte er und lief zurück. Auch das nahm Karl noch hin, da es ihn endgültig von dem Mann befreite. Er führte dann den Wagen in einen Hofwinkel, wo einige große leere Kisten standen in deren Schutz er unter dem Tuch Brunelda einige beruhigende Worte sagen wollte. Aber er mußte lange auf sie einreden, denn sie war ganz in Tränen und flehte ihn allen Ernstes an, hier hinter den Kisten den ganzen Tag zu bleiben und erst in der Nacht weiterzufahren. Vielleicht hätte er allein sie gar nicht davon überzeugen können, wie verfehlt das gewesen wäre, als aber jemand am andern Ende des Kistenhaufens eine leere Kiste unter ungeheuerem im leeren Hof wiederhallenden Lärm zu Boden warf, erschrak sie so, daß sie ohne ein Wort mehr zu wagen, das Tuch über sich zog und wahrscheinlich glückselig war, als Karl kurz entschlossen sofort zu fahren begann.

      Die Straßen wurden jetzt zwar immer belebter, aber die Aufmerksamkeit, die der Wagen erregte, war nicht so groß wie Karl befürchtet hatte. Vielleicht wäre es überhaupt klüger gewesen, eine andere Zeit für den Transport zu wählen. Wenn eine solche Fahrt wieder nötig werden sollte, wollte sich Karl getrauen sie in der Mittagstunde auszuführen. Ohne schwerer belästigt worden zu sein, bog er endlich in die schmale dunkle Gasse ein, in der das Unternehmen Nr. 25 sich befand. Vor der Tür stand der schielende Verwalter mit der Uhr in der Hand. „Bist Du immer so unpünktlich?“ fragte er. „Es gab verschiedene Hindernisse“, sagte Karl. „Die gibt es bekanntlich immer“, sagte der Verwalter. „Hier im Haus gelten sie aber nicht. Merk Dir das!“ Auf solche Reden hörte Karl kaum mehr hin, jeder nützte seine Macht aus und beschimpfte den Niedrigen. War man einmal daran gewöhnt, klang es nicht anders als das regelmäßige Uhrenschlagen. Wohl aber erschreckte ihn, als er jetzt den Wagen in den Flur schob, der Schmutz, der hier herrschte und den er allerdings erwartet hatte. Es war, wenn man näher zusah, kein faßbarer Schmutz. Der Steinboden des Flurs war fast rein gekehrt, die Malerei der Wände nicht alt, die künstlichen Palmen nur wenig verstaubt, und doch war alles fettig und abstoßend, es war, als wäre von allem ein schlechter Gebrauch gemacht worden und als wäre keine Reinlichkeit mehr imstande, das wieder gut zu machen. Karl dachte gern, wenn er irgendwohin kam, darüber nach, was hier verbessert werden könne und welche Freude es sein müßte, sofort einzugreifen, ohne Rücksicht auf die vielleicht endlose Arbeit die es verursachen würde. Hier aber wußte er nicht, was zu tun wäre. Langsam nahm er das Tuch von Brunelda ab. „Willkommen Fräulein“, sagte der Verwalter geziert, es war kein Zweifel, daß Brunelda einen guten Eindruck auf ihn machte. Sobald Brunelda dies merkte, verstand sie das, wie Karl befriedigt sah, gleich auszunützen. Alle Angst der letzten Stunden verschwand. Sie

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      Karl sah an einer Straßenecke ein Plakat mit folgender Aufschrift: „Auf dem Rennplatz in Clayton wird heute von sechs Uhr früh bis Mitternacht Personal für das Teater in Oklahama aufgenommen! Das große Teater von Oklahama ruft Euch! Es ruft nur heute, nur einmal! Wer jetzt die Gelegenheit versäumt, versäumt sie für immer! Wer an seine Zukunft denkt, gehört zu uns! Jeder ist willkommen! Wer Künstler werden will melde sich! Wir sind das Teater, das jeden brauchen kann, jeden an seinem Ort! Wer sich für uns entschieden hat, den beglückwünschen wir gleich hier! Aber beeilt Euch, damit Ihr bis Mitternacht vorgelassen werdet! Um zwölf wird alles geschlossen und nicht mehr geöffnet! Verflucht sei wer uns nicht glaubt! Auf nach Clayton!“

      Es standen zwar viele Leute vor dem Plakat, aber es schien nicht viel Beifall zu finden. Es gab soviel Plakate, Plakaten glaubte niemand mehr. Und dieses Plakat war noch unwahrscheinlicher als Plakate sonst zu sein pflegen. Vor allem aber hatte es einen großen Fehler, es stand kein Wort von der Bezahlung darin. Wäre sie auch nur ein wenig erwähnenswert gewesen, das Plakat hätte sie gewiß genannt; es hätte das Verlockendste nicht vergessen.