Franz Kafka: Sämtliche Werke. Knowledge house. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Knowledge house
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9782380372786
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sitzen und ohne Sorgen ein Weilchen lang aus dem offenen Fenster schauen würde wie jener Beamte, den er heute früh beim Durchmarsch durch die Höfe gesehen hatte. Beruhigend fiel ihm ein, als er die Augen schloß, daß er doch jung war und daß Delamarche ihn doch einmal freigeben würde; dieser Haushalt sah ja wirklich nicht danach aus, als sei er für die Ewigkeit gemacht. Wenn aber Karl einmal einen solchen Posten in einem Büro hätte, dann wollte er sich mit nichts anderem beschäftigen als mit seinen Büroarbeiten und nicht die Kräfte zersplittern wie der Student. Wenn es nötig sein sollte, wollte er auch die Nacht fürs Büro verwenden, was man ja im Beginn bei seiner geringen kaufmännischen Vorbildung sowieso von ihm verlangen würde. Er wollte nur an das Interesse des Geschäftes denken, dem er zu dienen hätte, und allen Arbeiten sich unterziehen, selbst solchen, die andere Bürobeamte als ihrer nicht würdig zurückweisen würden. Die guten Vorsätze drängten sich in seinem Kopf, als stehe sein künftiger Chef vor dem Kanapee und lese sie von seinem Gesicht ab.

      In solchen Gedanken schlief Karl ein und nur im ersten Halbschlaf störte ihn noch ein gewaltiges Seufzen Bruneldas, die scheinbar von schweren Träumen geplagt sich auf ihrem Lager wälzte.

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      „Auf! Auf!“ rief Robinson, kaum daß Karl früh die Augen öffnete. Der Türvorhang war noch nicht weggezogen, aber man merkte an dem durch die Lücken einfallenden gleichmäßigen Sonnenlicht, wie spät am Vormittag es schon war. Robinson lief eilfertig mit besorgten Blicken hin und her, bald trug er ein Handtuch, bald einen Wasserkübel, bald Wäsche- und Kleidungsstücke und immer wenn er an Karl vorüberkam, suchte er ihn durch Kopfnicken zum Aufstehn aufzumuntern und zeigte durch Hochheben dessen was er gerade in der Hand hielt, wie er sich heute noch zum letzten mal für Karl plage, der natürlich am ersten Morgen von den Einzelheiten des Dienstes nichts verstehen konnte.

      Aber bald sah Karl, wen Robinson eigentlich bediente. In einem durch zwei Kästen vom übrigen Zimmer abgetrennten Raum, den Karl bisher noch nicht gesehen hatte, fand eine große Waschung statt. Man sah den Kopf Bruneldas, den freien Hals – das Haar war gerade ins Gesicht geschlagen – und den Ansatz ihres Nackens über den Kasten ragen und die hie und da gehobene Hand des Delamarche hielt einen weit herumspritzenden Badeschwamm, mit dem Brunelda gewaschen und gerieben wurde. Man hörte die kurzen Befehle des Delamarche die er dem Robinson erteilte, der nicht durch den jetzt verstellten eigentlichen Zugang des Raumes die Dinge reichte, sondern auf eine kleine Lücke zwischen einem Kasten und einer spanischen Wand angewiesen war, wobei er überdies bei jeder Handreichung den Arm weit ausstrecken und das Gesicht abgewendet halten mußte. „Das Handtuch! Das Handtuch“, rief Delamarche. Und kaum erschrak Robinson, der gerade unter dem Tisch etwas anderes suchte, über diesen Auftrag und zog den Kopf unter dem Tisch hervor, hieß es schon: „Wo bleibt das Wasser, zum Teufel“, und über dem Kasten erschien hochgereckt das wütende Gesicht des Delamarche. Alles was man sonst nach Karls Meinung zum Waschen und Anziehn nur einmal brauchte, wurde hier in jeder möglichen Reihenfolge viele Male verlangt und gebracht. Auf einem kleinen elektrischen Ofen stand immer ein Kübel mit Wasser zum Wärmen und immer wieder trug Robinson die schwere Last zwischen den weit auseinandergestellten Beinen zum Waschraum hin. Bei der Fülle seiner Arbeit war es zu verstehn, wenn er sich nicht immer genau an die Befehle hielt und einmal, als wieder ein Handtuch verlangt wurde einfach ein Hemd von der großen Schlafstätte in der Zimmermitte nahm und in einem großen Knäuel über die Kästen hinüberwarf.

      Aber auch Delamarche hatte schwere Arbeit und war vielleicht nur deshalb gegen Robinson so gereizt – in seiner Gereiztheit übersah er Karl glattwegs – weil er selbst Brunelda nicht zufrieden stellen konnte. „Ach“, schrie sie auf und selbst der sonst unbeteiligte Karl zuckte zusammen, „wie Du mir weh tust! Geh weg! Ich wasch mich lieber selbst, statt so zu leiden! Jetzt kann ich schon wieder den Arm nicht heben. Mir ist ganz übel wie Du mich drückst. Auf dem Rücken muß ich lauter blaue Flecke haben. Natürlich, Du wirst es mir nicht sagen. Warte, ich werde mich von Robinson anschauen lassen oder von unserem Kleinen. Nein, ich tu es ja nicht, aber sei nur ein wenig zarter. Nimm Rücksicht, Delamarche, aber das kann ich jeden Morgen wiederholen, Du nimmst und nimmst keine Rücksicht. Robinson“, rief sie dann plötzlich und schwenkte ein Spitzenhöschen über ihrem Kopf, „komm mir zur Hilfe, schau wie ich leide, diese Tortur nennt er Waschen, dieser Delamarche. Robinson, Robinson, wo bleibst Du, hast auch Du kein Herz?“ Karl machte schweigend dem Robinson ein Zeichen mit dem Finger, daß er doch hingehen möge, aber Robinson schüttelte mit gesenkten Augen überlegen den Kopf, er wußte es besser. „Was fällt Dir ein?“ sagte Robinson zu Karls Ohr gebeugt, „das ist nicht so gemeint. Nur einmal bin ich hingegangen und nicht wieder. Sie haben mich damals beide gepackt und in die Wanne getaucht, daß ich fast ertrunken wäre. Und tagelang hat mir die Brunelda vorgeworfen, daß ich schamlos bin und immer wieder hat sie gesagt: ‚Jetzt warst Du aber schon lange nicht im Bad bei mir‘ oder ‚wann wirst Du mich denn wieder im Bade anschauen kommen?‘ Erst bis ich ihr einigemal auf den Knien abgebeten habe, hat sie aufgehört. Das werde ich nicht vergessen.“ Und während Robinson das erzählte, rief Brunelda immer wieder: „Robinson! Robinson! Wo bleibt denn dieser Robinson!“

      Trotzdem aber niemand ihr zur Hilfe kam und nicht einmal eine Antwort erfolgte – Robinson hatte sich zu Karl gesetzt und beide sahen schweigend zu den Kästen hin, über denen hie und da die Köpfe Bruneldas oder Delamarches erschienen – trotzdem hörte Brunelda nicht auf laut über Delamarche Klage zu führen. „Aber Delamarche“, rief sie, „jetzt spüre ich ja wieder gar nicht, daß Du mich wäschst. Wo hast Du den Schwamm? Also greif doch zu! Wenn ich mich nur bücken, wenn ich mich nur bewegen könnte! Ich wollte Dir schon zeigen, wie man wäscht. Wo sind die Mädchenzeiten, als ich dort drüben auf dem Gut der Eltern jeden Morgen im Kolorado schwamm, die beweglichste von allen meinen Freundinnen. Und jetzt! Wann wirst Du denn lernen mich zu waschen, Delamarche, Du schwenkst den Schwamm herum, strengst Dich an und ich spür nichts. Wenn ich sagte, daß Du mich nicht wund drücken sollst, so meinte ich doch nicht, daß ich da stehen und mich erkälten will. Daß ich aus der Wanne spring und weglaufe so wie ich bin.“

      Aber dann führte sie diese Drohung nicht aus – was sie ja auch an und für sich gar nicht imstande gewesen wäre – Delamarche schien sie aus Furcht sie könnte sich erkälten, erfaßt und in die Wanne gedrückt zu haben, denn mächtig klatschte es ins Wasser.

      „Das kannst Du Delamarche“, sagte Brunelda ein wenig leiser, „schmeicheln und immer wieder schmeicheln wenn Du etwas schlecht gemacht hast.“ Dann war es ein Weilchen still. „Jetzt küßt er sie“, sagte Robinson und hob die Augenbrauen.

      „Was kommt jetzt für eine Arbeit?“ fragte Karl. Da er sich nun einmal entschlossen hatte, hier zu bleiben, wollte er auch gleich seinen Dienst versehn. Er ließ Robinson, der nicht antwortete allein auf dem Kanapee und begann das große von der Last der Schläfer während der langen Nacht noch immer zusammengepreßte Lager auseinanderzuwerfen, um dann jedes einzelne Stück dieser Masse ordentlich zusammenzulegen, was wohl schon seit Wochen nicht geschehen war.

      „Schau nach, Delamarche“, sagte da Brunelda, „ich glaube, sie zerwerfen unser Bett. An alles muß man denken, niemals hat man Ruhe. Du mußt gegen die zwei strenger sein, sie machen sonst, was sie wollen.“ „Das ist gewiß der Kleine mit seinem verdammten Diensteifer“, rief Delamarche und wollte wahrscheinlich aus dem Waschraum hervorstürzen, Karl warf schon alles aus der Hand, aber glücklicherweise sagte Brunelda: „Nicht weggehn Delamarche, nicht weggehn. Ach, wie ist das Wasser heiß, man wird so müde. Bleib bei mir Delamarche.“ Erst jetzt merkte Karl eigentlich, wie der Wasserdampf hinter den Kästen unaufhörlich emporstieg.

      Robinson legte erschrocken die Hand an die Wange, als habe Karl etwas Schlimmes angerichtet. „Alles in dem gleichen Zustand lassen, in dem es war“, erklang die Stimme des Delamarche, „wißt Ihr denn nicht, daß Brunelda nach dem Bade immer noch eine Stunde ruht? Elende Mißwirtschaft! Wartet bis ich über Euch komme. Robinson, Du träumst wahrscheinlich schon wieder. Dich, Dich allein mache ich für alles verantwortlich was geschieht. Du hast den Jungen im Zaum zu halten, hier wird nicht nach seinem Kopf gewirtschaftet. Wenn man etwas will kann man nichts von Euch bekommen, wenn nichts zu tun ist, seid Ihr fleißig. Verkriecht Euch irgendwohin und wartet, bis man Euch braucht.“

      Aber gleich war alles vergessen,