Franz Kafka: Sämtliche Werke. Knowledge house. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Knowledge house
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9782380372786
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Die lautete: „Was wollten Sie denn ursprünglich studieren?“ Um die Frage genau zu bestimmen – an der genauen Bestimmung lag dem Herrn immer sehr viel – fügte er hinzu: „In Europa, meine ich.“ Hiebei nahm er die Hand vom Kinn und machte eine schwache Bewegung, als wolle er damit gleichzeitig andeuten wie ferne Europa und wie bedeutungslos die dort einmal gefaßten Pläne seien. Karl sagte: „Ich wollte Ingenieur werden.“ Diese Antwort widerstrebte ihm zwar, es war lächerlich im vollen Bewußtsein seiner bisherigen Laufbahn in Amerika die alte Erinnerung, daß er einmal habe Ingenieur werden wollen, hier wieder aufzufrischen – wäre er es denn selbst in Europa jemals geworden? – aber er wußte gerade keine andere Antwort und sagte deshalb diese. Aber der Herr nahm es ernst, wie er alles ernst nahm. „Nun Ingenieur“, sagte er, „können Sie wohl nicht gleich werden, vielleicht würde es Ihnen aber vorläufig entsprechen, irgendwelche niedrige technische Arbeiten auszuführen.“ „Gewiß“, sagte Karl, er war sehr zufrieden, er wurde zwar, wenn er das Angebot annahm, aus dem Schauspielerstand unter die technischen Arbeiter geschoben, aber er glaubte tatsächlich sich bei dieser Arbeit besser bewähren zu können. Übrigens, dies wiederholte er sich immer wieder, es kam nicht so sehr auf die Art der Arbeit an, als vielmehr darauf sich überhaupt irgendwo dauernd festzuhalten. „Sind Sie denn kräftig genug für schwerere Arbeit?“ fragte der Herr. „Oja“, sagte Karl. Hierauf ließ der Herr Karl näher zu sich herankommen und befühlte seinen Arm. „Es ist ein kräftiger Junge“, sagte er dann, indem er Karl am Arm zum Führer hinzog. Der Führer nickte lächelnd, reichte ohne sich übrigens aus seiner Ruhelage aufzurichten Karl die Hand und sagte: „Dann sind wir also fertig. In Oklahama wird alles noch überprüft werden. Machen Sie unserer Werbetruppe Ehre!“ Karl verbeugte sich zum Abschied, er wollte sich dann auch von dem andern Herren verabschieden, dieser aber spazierte schon, als sei er mit seiner Arbeit vollständig fertig, das Gesicht in die Höhe gerichtet auf der Platform auf und ab. Während Karl hinunterstieg wurde zur Seite der Treppe auf der Anzeigetafel die Aufschrift hochgezogen: „Negro, technischer Arbeiter“. Da alles hier seinen ordentlichen Gang nahm, hätte es Karl nicht mehr so sehr bedauert, wenn auf der Tafel sein wirklicher Name zu lesen gewesen wäre. Es war alles sogar überaus sorgfältig eingerichtet, denn am Fuß der Treppe wurde Karl schon von einem Diener erwartet, der ihm eine Binde um den Arm festmachte. Als Karl dann den Arm hob, um zu sehn was auf der Binde stand, war dort der ganz richtige Aufdruck „technischer Arbeiter“.

      Wohin Karl nun aber geführt werden mochte, zuerst wollte er doch Fanny melden wie glücklich alles abgelaufen war. Aber zu seinem Bedauern erfuhr er vom Diener, daß die Engel ebenso wie auch die Teufel bereits nach dem nächsten Bestimmungsort der Werbetruppe abgereist seien, um dort die Ankunft der Truppe für den nächsten Tag bekanntzumachen. „Schade“, sagte Karl, es war die erste Enttäuschung, die er in diesem Unternehmen erlebte, „ich hatte eine Bekannte unter den Engeln.“ „Sie werden sie in Oklahama wiedersehn“, sagte der Diener, „nun aber kommen Sie, Sie sind der letzte.“ Er führte Karl an der hintern Seite des Podiums entlang, auf dem früher die Engel gestanden waren, jetzt waren dort nur noch die leeren Postamente. Karls Annahme aber, daß ohne die Musik der Engel mehr Stellensuchende kommen würden, erwies sich nicht als richtig, denn vor dem Podium standen jetzt überhaupt keine Erwachsenen mehr, nur paar Kinder kämpften um eine lange weiße Feder, die wahrscheinlich aus einem Engelsflügel gefallen war. Ein Junge hielt sie in die Höhe, während die andern Kinder mit einer Hand seinen Kopf niederdrücken wollten und mit der andern nach der Feder langten.

      Karl zeigte auf die Kinder, der Diener aber sagte ohne hinzusehn: „Kommen Sie rascher, es hat sehr lange gedauert, ehe Sie aufgenommen wurden. Man hatte wohl Zweifel?“ „Ich weiß nicht“, sagte Karl erstaunt, er glaubte es aber nicht. Immer, selbst bei den klarsten Verhältnissen fand sich doch irgendjemand der seinem Mitmenschen Sorgen machen wollte. Aber vor dem freundlichen Anblick der großen Zuschauertribüne, zu der sie jetzt kamen, vergaß Karl bald an die Bemerkung des Dieners. Auf dieser Tribüne war nämlich eine ganze lange Bank mit einem weißen Tuch gedeckt, alle Aufgenommenen saßen mit dem Rücken zur Rennbahn auf der nächsttieferen Bank und wurden bewirtet. Alle waren fröhlich und aufgeregt, gerade als sich Karl unbemerkt als letzter auf die Bank setzte, standen viele mit erhobenen Gläsern auf und einer hielt einen Trinkspruch auf den Führer der zehnten Werbetruppe, den er den „Vater der Stellungsuchenden“ nannte. Jemand machte darauf aufmerksam, daß man ihn auch von hier aus sehen könne und tatsächlich war die Schiedsrichtertribüne mit den zwei Herren in nicht allzugroßer Entfernung sichtbar. Nun schwenkten alle ihre Gläser in dieser Richtung, auch Karl faßte das vor ihm stehende Glas, aber so laut man auch rief und so sehr man sich bemerkbar zu machen suchte, auf der Schiedsrichtertribüne deutete nichts darauf hin, daß man die Ovation bemerkte oder wenigstens bemerken wolle. Der Führer lehnte in der Ecke wie früher und der andere Herr stand neben ihm, die Hand am Kinn.

      Ein wenig enttäuscht setzte man sich wieder, hie und da drehte sich noch einer nach der Schiedsrichtertribüne um, aber bald beschäftigte man sich nur mit dem reichlichen Essen, großes Geflügel, wie es Karl noch nie gesehen hatte, mit vielen Gabeln in dem knusprig gebratenen Fleisch, wurde herumgetragen, Wein wurde immer wieder von den Dienern eingeschenkt – man merkte es kaum, man war über seinen Teller gebückt und in den Becher fiel der Strahl des roten Weines – und wer sich an der allgemeinen Unterhaltung nicht beteiligen wollte, konnte Bilder von Ansichten des Teaters von Oklahama besichtigen, die an einem Ende der Tafel aufgestapelt waren und von Hand zu Hand gehen sollten. Doch kümmerte man sich nicht viel um die Bilder und so geschah es daß bei Karl, der der Letzte war nur ein Bild ankam. Nach diesem Bild zu schließen mußten aber alle sehr sehenswert sein. Dieses Bild stellte die Loge des Präsidenten der Vereinigten Staaten dar. Beim ersten Anblick konnte man denken, es sei nicht eine Loge, sondern die Bühne, so weit geschwungen ragte die Brüstung in den freien Raum. Diese Brüstung war ganz aus Gold in allen ihren Teilen. Zwischen den wie mit der feinsten Scheere ausgeschnittenen Säulchen waren nebeneinander Medaillons früherer Präsidenten angebracht, einer hatte eine auffallend gerade Nase, aufgeworfene Lippen und unter gewölbten Lidern starr gesenkte Augen. Rings um die Loge, von den Seiten und von der Höhe kamen Strahlen von Licht; weißes und doch mildes Licht enthüllte förmlich den Vordergrund der Loge, während ihre Tiefe hinter rotem, unter vielen Tönungen sich faltendem Sammt der an der ganzen Umrandung niederfiel und durch Schnüre gelenkt wurde, als eine dunkle rötlich schimmernde Leere erschien. Man konnte sich in dieser Loge kaum Menschen vorstellen, so selbstherrlich sah alles aus. Karl vergaß das Essen nicht, sah aber doch oft die Abbildung an, die er neben seinen Teller gelegt hatte.

      Schließlich hätte er doch noch sehr gern wenigstens eines der übrigen Bilder angesehn, selbst holen wollte er es sich aber nicht, denn ein Diener hatte die Hand auf den Bildern liegen und die Reihenfolge mußte wohl gewahrt werden, er suchte also nur die Tafel zu überblicken und festzustellen, ob sich nicht doch noch ein Bild nähere. Da bemerkte er staunend – zuerst glaubte er es gar nicht – unter den am tiefsten zum Essen gebeugten Gesichtern ein gut bekanntes – Giacomo. Gleich lief er zu ihm hin. „Giacomo“, rief er. Dieser, schüchtern wie immer wenn er überrascht wurde, erhob sich vom Essen, drehte sich in dem schmalen Raum zwischen den Bänken, wischte mit der Hand den Mund, war dann aber sehr froh Karl zu sehn, bat ihn sich neben ihn zu setzen oder bot sich an zu Karls Platz hinüberzukommen, sie wollten einander alles erzählen und immer beisammen bleiben. Karl wollte die andern nicht stören, jeder sollte deshalb vorläufig seinen Platz behalten, das Essen werde bald zuende sein und dann wollten sie natürlich immer zu einander halten. Aber Karl blieb doch noch bei Giacomo, nur um ihn anzusehn. Was für Erinnerungen an vergangene Zeiten! Wo war die Oberköchin? Was machte Therese? Giacomo selbst hatte sich in seinem Äußern fast gar nicht verändert, die Voraussage der Oberköchin, daß er in einem halben Jahr ein knochiger Amerikaner werden müsse, war nicht eingetroffen, er war zart wie früher, die Wangen eingefallen wie früher, augenblicklich allerdings waren sie gerundet, denn er hatte im Mund einen übergroßen Bissen Fleisch, aus dem er die überflüssigen Knochen langsam herauszog, um sie dann auf den Teller zu werfen. Wie Karl an seiner Armbinde ablesen konnte, war auch Giacomo nicht als Schauspieler sondern als Liftjunge aufgenommen, das Teater von Oklahama schien wirklich jeden brauchen zu können.

      In den Anblick Giacomos verloren, blieb aber Karl allzulange von seinem Platze fort, eben wollte er zurückkehren, da kam der Personalchef, stellte sich auf eine der höher gelegenen