Ein Summen und Surren weckte Donns Aufmerksamkeit, und als er den Kopf hob, sah er weitere Plattformen, die von den zylindrischen Raumschiffen herabkamen und andere Bereiche der Stadt ansteuerten.
»Dies scheint eine größere Sache zu sein«, sagte er. »Etwas geschieht mit den Shenpadri.«
Normalerweise war Donn Yaradua sehr vorsichtig und zurückhaltend, wenn es um den Einsatz seiner besonderen Gabe ging, denn ihre Anwendung bedeutete ein tiefes Eindringen in die Privatsphäre anderer Personen. Aber etwas Dramatisches schien an diesem Ort zu geschehen, das vielleicht sie alle betraf.
Mit einem schnellen, unauffälligen Seitenblick vergewisserte er sich, dass Tholia ihn nicht direkt beobachtete. Dann konzentrierte er sich und richtete den Blick der inneren Augen auf die Shenpadri.
Er nahm ihre physische Struktur und ihr Stoffwechselsystem als eine dicht gepackte Ansammlung geometrischer Muster wahr, miteinander verbunden und ineinander verschachtelt, hell und grün an Stellen mit intensiver biochemischer Aktivität, dunkelrot dort, wo Zellen weniger aktiv waren. Er kannte den Metabolismus der Shenpadri nicht, doch er konnte Vergleiche anstellen zwischen gesunden Geschöpfen und denen, die erkrankt zu sein schienen. Welchen Zweck die einzelnen Muster auch erfüllten: Bei den einen waren sie intakt und ergaben ein großes, harmonisches Bild, in dem sich jede einzelne Komponente genau am richtigen Platz befand. Bei den anderen hingegen wuchsen die dunklen Stellen mit nachlassender Zellaktivität. Verbindungslinien zerfransten und rissen, die vielen geometrischen Muster verloren ihren größeren Zusammenhang.
»Du bist wie ich.« Tholia starrte ihn groß an. »Du bist mehr.«
Damit meinte sie seine besondere Gabe, die ihn von anderen Menschen unterschied.
»Ich trage keinen Symbionten wie du, aber ich kann Dinge sehen, die anderen verborgen bleiben.« Und sie beeinflussen, fügte Donn Yaradua in Gedanken hinzu. »Diese Shenpadri sind krank, es geht ihnen schlecht. Etwas stört ihr metabolisches System. Der Stoffwechsel gerät aus dem Gleichgewicht.«
Ein weiterer Shenpadri kippte und fiel. Diesmal hielten sich die anderen von ihm fern, vielleicht aus Furcht vor Ansteckung.
Ein Blick genügte, Tholia verstand sofort. Die dürre Affosa von Ensch erwies sich als erstaunlich kräftig, als sie den liegenden Shenpadri gemeinsam hochhoben und zu den anderen auf die Plattform legten.
»Was ist der Grund?«, fragte Tholia. »Wenn du mit dem Mehr in dir die Krankheit siehst, kannst du auch die Ursache erkennen?«
Donn konzentrierte sich erneut, als die übrigen Shenpadri auf die Plattform kletterten. Seine inneren Augen betrachteten erneut die Muster und mussten nicht lange suchen, um etwas zu finden, das nicht ins Bild passte: kleine, kurze Linien, die von außerhalb kamen und Verbindungen an Stellen versuchten, die nicht dafür geeignet waren – mit dem Ergebnis, dass ein Muster nach dem anderen zerfiel. Ein fremder Faktor, ein vom Körper aufgenommenes externes Agens.
Gelbbraune Dunstschwaden trieben wie träger Nebel über der Stadt, bestehend aus Myriaden winziger Sporen, die aus den violetten Kapseln rosaroter Grashalme stammten. Sie erreichten die Shenpadri, die überall in der Stadt gruben, freilegten und untersuchten. Sie setzten sich in ihr dichtes Gefieder, gerieten in die Atemwege ...
Tholia Turan hustete plötzlich.
Vor ihnen summte die Antigravplattform, stieg auf und trug die erkrankten Shenpadri den zylindrischen Schiffen über der Ausgrabungsstätte entgegen. In ihnen gab es weitere Shenpadri, bisher noch ohne Kontakt mit den Sporen.
Donn Yaradua begriff, dass sich eine Katastrophe anbahnte.
Sholotow Affatenga
Der Siganese, zweiundzwanzig Zentimeter klein, saß nicht mehr auf der SCHOTE, sondern befand sich in ihr. Er lag zwischen den Kontrollen und steuerte das Fluggerät, das nur etwas mehr als einen halben Meter lang war und ein eigenständiges Raumschiff sein konnte.
Er flog in eines der vielen leeren Gebäude der vom Eis befreiten Stadt. Der Antigravantrieb arbeitete völlig geräuschlos, und ein Deflektorfeld schützte vor visueller Entdeckung. Tenga war sicher, dass der Mann, den er verfolgte, ihn bisher nicht bemerkt hatte.
Er war mit der Absicht aufgebrochen, allein und unentdeckt die Stadt zu erkunden, sie mit den Instrumenten der SCHOTE zu erforschen und Daten zu sammeln, die später an Bord der BJO BREISKOLL ausgewertet werden konnten. Dann war ihm Felix Ghiss aufgefallen, als er sich von den anderen entfernte und sein Verhalten veränderte, weil er glaubte, unbeobachtet zu sein. Die Körpersprache war plötzlich eine andere, er wirkte wie verwandelt. Tenga hatte das für verdächtig gehalten und zum Anlass genommen, den jungen Galakto-Archäologen zu verfolgen.
Die Holos direkt vor ihm zeigten, wie Felix Ghiss mehrere Taschen seiner Jacke öffnete, ihnen kleine Gegenstände entnahm und zu etwas zusammensetzte, das Tenga nicht erkennen konnte, weil Felix mit dem Rücken zu ihm stand. Dann zögerte er, drehte sich wenige Sekunden später um die eigene Achse und richtete dabei einen Scanner auf die Wände.
Die Infrarotsensoren der SCHOTE stellten eine leicht gestiegene Temperatur des Gesichts fest, und die biometrischen Anzeigen deuteten auf Anspannung hin – hatte der junge Wissenschaftler etwas entdeckt?
Felix Ghiss verließ den Raum, wanderte tiefer ins Gebäude und ging eine Treppe hinunter. Sholotow veränderte die Polarisierung des Antigravfelds und folgte ihm. Es wurde dunkel, doch das stellte für die Sensoren kein Problem dar. Im infraroten Spektrum blieb Felix ein hell leuchtendes Fanal.
Erneut griff er in die Taschen seiner Jacke und holte mehrere Gegenstände hervor, offenbar Komponenten eines weiteren Geräts.
Warum so umständlich?, überlegte Tenga. Ghiss hätte seine Instrumente doch bereits in einsatzbereitem Zustand mitnehmen können, zum Beispiel als Teil eines Werkzeuggürtels.
Felix bückte sich und untersuchte etwas auf dem Boden. Sholotow steuerte die SCHOTE näher, um herauszufinden, was die Aufmerksamkeit des jungen Mannes geweckt hatte.
Das war ein Fehler.
Felix wich beiseite, und plötzlich blitzte es. Aus einem Reflex heraus schloss Sholotow die Augen, und als er sie einen Moment später erschrocken wieder öffnete, war um ihn herum alles dunkel – es gab keine Holos mehr, und die Indikatoren und Anzeigefelder bei den Kontrollen leuchteten nicht.
Die SCHOTE fiel, weil kein Antigravfeld mehr existierte, das sie in der Luft hielt, und ohne Energie gab es auch keine energetischen Stoßabsorber. Die Liegemulde des Siganesen verfügte über Polster, doch sie dienten nur dem Komfort und nicht dazu, einen heftigen Aufprall abzufangen.
Das Fluggerät stürzte aus einer Höhe von zwei Metern, was dem Neunfachen der siganesischen Körpergröße entsprach. Die Erschütterung war so heftig, dass dem Siganesen für ein oder zwei Sekunden die Sinne schwanden.
Dummkopf, dachte er, als sich die Benommenheit verflüchtigte – der SERUN hätte ihn vor dem Aufprall und noch mehr schützen können. Er aktivierte ihn, und seine Kleidung veränderte sich, wurde zu einem Schutz- und Einsatzanzug.
Ein dumpfes Pochen begann, ein Donnern, das die SCHOTE erzittern und erbeben ließ.
Tenga richtete sich auf. Er brauchte keine Sensoren oder Holos, um zu wissen, was geschah. Felix Ghiss hielt sich nicht mit dem Versuch auf, die SCHOTE zu öffnen – er begrub sie unter Steinen, damit ihr Passagier darin gefangen blieb.
Die Energieversorgung funktionierte nicht mehr, wie Tenga feststellte. Der Mini-Fusionsreaktor und die Energiespeicher waren offline. Etwas blockierte sie. Ein Defekt lag nicht vor, wie die SERUN-Sensoren feststellten, und daraus zog der Siganese den Schluss, dass Felix die Bordsysteme der SCHOTE mit einer unbekannten Waffe neutralisiert hatte – er verwendete nichtterranische Technik.
Unterwegs zur Schleuse fand Tenga eine halb zerdrückte Schachtel, aus der Schokolade rieselte, als er sie kummervoll hob.
»Das geht eindeutig zu weit«, murmelte er, nahm eine lädierte Praline, schob sie sich in den Mund und kroch weiter.