Einigen Flaneuren ist vermutlich nicht bewusst, dass sich unter dem heutigen Straßenniveau die Überbleibsel aus der Antike befinden. Im Mittelalter setzten die Bewohner ihre Häuser schlicht auf die vorhandenen Fundamente; und bis heute benutzen sie die darunterliegende Bausubstanz aus griechisch-römischer Zeit als Keller. An mehreren Stellen gibt es die Möglichkeit, von der Moderne in die Antike hinabzusteigen: im Komplex San Lorenzo Maggiore oder im Rahmen einer Führung durch den Untergrund von Neapel (Napoli Sotterranea). Der berühmte „Bauch Neapels“ bietet jedoch weit mehr als Einblicke in antike Bausubstanzen, denn während des letzten Weltkriegs nutzten die Neapolitaner die Katakomben als Luftschutzbunker. Grandios ist das überwiegend aus der römischen Epoche stammende unterirdische Zisternensystem!
Bei den zahlreichen Besichtigungsoptionen sollte man nicht vergessen, dass die Altstadt mehr als Kirchen, Klöster und Kreuzgänge bietet. Das Quartier präsentiert sich als durchweg freundliches und stets stimmungsvolles Panoptikum des neapolitanischen Alltags mit alternativer Kunst im öffentlichen Raum, charmanten Hinterhöfen, frisch gewaschener Wäsche zwischen Wohnhäusern u. v. m. 1995 wurde die Altstadt zum Weltkulturerbe erklärt.
Antike Wasserversorgung
Napoli Sotterranea (Neapels Untergrund)
Die Führung durch den „Bauch Neapels“ konfrontiert Besucher mit der über 5000 Jahre währenden Geschichte Neapels, in der sich eine labyrinthische Parallelwelt unter Tage gebildet hat. Die Gesamtlänge des Systems aus Grotten und Tunnels unter der Altstadt beträgt über 100 km! Der eine Teil der geführten Tour begutachtet zunächst eine der berühmt-berüchtigten bassi − der fensterlosen, im Winter stets klammen Erdgeschosswohnungen der urbanen Unterschichten. Am museal hergerichteten basso lässt sich gut erkennen, dass man sozusagen Seite an Seite mit den antiken Ruinenresten lebte (und teilweise immer noch lebt), in diesem Fall den Resten des römischen Theaters aus dem 4. Jh. v. Chr. Angeblich trat der nach öffentlicher Zustimmung gierende Kaiser Nero hier vor Publikum auf! Beinahe noch interessanter ist der zweite Teil der Führung durch das v. a. in römischer Zeit gewachsene System unterirdischer Zisternen und Wasserleitungen. Die Besucher schieben sich, teilweise mit Kerzen in der Hand, durch Gänge in klaustrophobischer Enge, dann wieder weitet sich die Szenerie und der Blick fällt auf bizarre Tuffsteinkavernen. Wo die Einwohner im Zweiten Weltkrieg Schutz vor Bomben suchten, züchtet man heute Kräuter oder lagert Wein (Letzteren gibt es im Shop am Ausgang zu kaufen).
♦ Führungen tägl. 10−18 Uhr zu jeder vollen Std. (ital.), engl. Führungen um 10, 12, 14, 16 und 18 Uhr. 10 €, erm. 8 €, Kinder (5−10 J.) 6 €. Piazza San Gaetano 68, www.napolisotterranea.org.
San Lorenzo Maggiore
Der Komplex an der Abzweigung der Krippengasse von der Via Tribunali besteht aus drei Teilen: der Basilika, dem Kloster sowie den Ausgrabungen aus der Antike unterhalb des Gotteshauses. Kirche und Kloster gehörten im Mittelalter dem Franziskanerorden an, den Sakralbau im Stil der französischen Gotik initiierte König Karl von Anjou im letzten Drittel des 13. Jh. Das ungewöhnlich breit konzipierte Hauptschiff endet am architektonisch besonders schön gelungenen Chorumlauf. Ebenfalls im Chor ist an zwei Stellen mit Plexiglas das originale Bodenmosaik abgedeckt; es stammt von der frühchristlichen Vorgängerkirche aus dem 6. Jh., die dem hl. Laurentius geweiht war.
Lustiges Panoptikum: Neapels einzigartige Krippengasse
Das angrenzende Kloster mit dem freskenverzierten Refektorium (Sala Sisto V.) aus dem 17. Jh. und dem schmucken Kapitelsaal (Sala Capitolare) birgt den Zugang zu den Ausgrabungen aus griechisch-römischer Zeit. Zu sehen ist der ehemalige Cardo Maximus nebst angrenzenden Geschäften, u. a. mit Wäscherei, Bäckerei und einer Stoffhandlung. Eine stimmungsvolle Beleuchtung verleiht den erstaunlich gut konservierten Relikten aus der Antike einen ganz spezifischen Reiz. Der Rundgang endet schließlich im Museum, das in verschiedenen Räumen Fundobjekte aus der Antike, darunter Sarkophage und Keramiken, sowie sakrale Kunst präsentiert. Ein Modell veranschaulicht die exakte Lage des römischen Theaters (→ Link) in der heutigen Altstadt.
♦ Tägl. 9.30−17.30 Uhr. 9 €, erm. ab 6 €, Kombiticket mit Galleria Borbonica (→ unten) 15 €, erm. 10 €. Piazza San Gaetano, www.sanlorenzomaggiorenapoli.it.
Via San Gregorio Armeno (Krippengasse)
Was bei uns der Tannenbaum, ist für Neapolitaner die Krippe. Aus diesem Grund herrscht in den Kunsthandwerksboutiquen beiderseits der Krippengasse in der Vorweihnachtszeit der größte Trubel. Die neapolitanische Krippenkunst ist jedoch weit mehr als gelebte christliche Volksfrömmigkeit, denn wer genauer hinsieht, entdeckt in den Auslagen Figuren, die im Weihnachtskontext eigentlich nichts verloren haben: Politiker, Fußballspieler, Stars aus dem aktuellen Showbiz oder Prominente, die − aus welchen Gründen auch immer − im jeweiligen Jahr in die Schlagzeilen geraten sind. Manche verorten daher die Ursprünge dieser Tradition in vorchristlichen Zeiten. Das 18. Jh. brachte die Blüte der Krippenkunst: Während man im höfischen Kontext Figuren aus feinem Porzellan bevorzugte, war man beim einfachen Volk etwas sparsamer und formte die Figuren aus Holz-Draht-Gestellen, an die man Tonköpfe befestigte. Auf diese traditionelle Art entstehen die Figuren noch heute, wobei zunehmend Billigware aus Fernost den einheimischen Künstlern das Leben erschwert. Neben Krippenfiguren findet man in den Vitrinen häufig das rote Hörnchen (corno) − ein beliebter Glücksbringer (→ Link).
Chiesa e Chiostro di San Gregorio Armeno
Die Kirche und der Kreuzgang sind − über jeweils getrennte Treppenaufgänge − von der Krippengasse aus zugänglich und werden angesichts des Rummels rund um die Verkaufsstände gerne übersehen. Der Sakralbau entpuppt sich als typischer Vertreter neapolitanischer Barockkunst mit einer prachtvollen Freskenausstattung, die beinahe vollständig vom neapolitanischen Barockkünstler Luca Giordano stammt. Der wunderbar weitläufige Kreuzgang wiederum wirkt im Gegensatz zum Stadtgetümmel wie eine Oase. Ein Augenschmaus ist der marmorne Barockbrunnen in der Mitte mit allerlei verschlungenen Figuren und Meerestieren.
♦ Kirche: Mo−Sa 9−12, sonn- und feiertags 9−13 Uhr. Eintritt frei. Kreuzgang: Mo−Fr 9.30−13, Sa/So