Es gehörte auch zu ihrem Beruf.
Einige Minuten später bestieg man die Autos, im ersten Wagen saßen Malakin und Kamarow. Sie schwiegen. Es gab auch nichts zu sagen. Kamarow hatte seinen Auftrag, und Malakin würde früh genug erfahren, was er zu tun hatte.
Gemächlich setzte sich die Kolonne in Bewegung.
Sie fuhren auf einen Seiteneingang des Abfertigungsgebäudes zu. Dort wurden sie von zwei syrischen Offizieren erwartet, die grüßend die Hand an den Mützenschirm legten.
Der Krieg in den Kulissen trat in eine neue Phase. Ein Spezialkommando des sowjetischen Geheimdienstes mischte jetzt mit.
13.
Steve hatte einen nachdenklichen Zug um die Mundwinkel. Er beugte sich über Leila und drückte einen leichten Kuss auf ihre Stirn. In diesem Moment schlug sie die Augen auf und lächelte.
Dann schlang sie die Arme um seinen Hals und zog ihn herunter. „Komm“, flüsterte sie.
Was dann geschah, war wild und heftig. Als sie später ruhig nebeneinander lagen, schwiegen sie lange. Steve dachte an seine Verlobte Jill, die ein paar schießwütige Gangster ihm so früh genommen hatten. Dennoch, das Leben ging weiter, und Jills Tod lag nun schon fünf Jahre zurück. Trotzdem überkam ihn beim Gedanken an sie der Ansatz eines schlechten Gewissens.
Steve drehte den Kopf zum Fenster. Es war Nachmittag. Er hatte fast einen Tag verloren, aber er bereute es nicht. Er richtete sich auf und schwang die Beine aus dem Bett.
Ihre Hand legte sich auf seine Schulter. „Wer bist du?“, fragte sie leise.
„Mein Name bedeutet nichts. Ich bin nur ein Angestellter der Regierung, der hofft, auf der richtigen Seite zu stehen. Ich tue diese Arbeit, denn einer muss sie tun.“
Ihre Hand glitt zurück. „Es war also nur für den Augenblick?“
Er sah sie fest an. „Ja!“
Ihre Stimme reagierte sehr leise. „Es war trotzdem ein schöner Augenblick. Ich werde ihn nicht vergessen.“
„Es kann andere Gelegenheiten geben. Aber für jetzt ist es vorbei.“
Er stand auf und griff nach seinem Hemd.
„Dann wird es wieder ernst?“, fragte sie.
Er trat ans Fenster und blickte auf die Straße.
„Es ist bereits sehr ernst geworden“, murmelte er und warf Leila einen flüchtigen Blick zu, als sie aufstand. „Es sind einige alte Freunde angekommen. Zieh dich schnell an!“
Sie gehorchte schweigend und ging ins Bad.
Steve verbarg sich hinter dem Vorhang. Auf seiner Stirn erschien eine tiefe Falte.
Die Gestalt, die dort unten aus dem Wagen gestiegen war, kannte er aus den Akten des Departments und aus den Dossiers der CIA, auf die sie Zugriff hatten.
Alexej Kamarow! KGB-Agent und erfahrener Profi im tödlichen Spiel der Geheimdienste. Ein gefährlicher Gegner, der nicht zu unterschätzen war. Die es taten, bereuten es entweder lange oder überhaupt nicht mehr.
Steve zog sich vom Fenster zurück. Kamarow hatte eine ganze Mannschaft mitgebracht. Es wurde höchste Zeit, dass etwas geschah. Die Sowjets wollten offenbar kein Risiko eingehen und schickten daher einen ihrer besten Männer. Das hieß, er musste den Wissenschaftler in den nächsten Stunden herausholen, bevor die neue Mannschaft sich richtig etabliert hatte.
Steve zupfte nachdenklich an seiner Unterlippe. In einer Stunde gab es Abendessen. Er musste warten, bis die sowjetische Delegation zum Essen ging. Dann musste er sich in der Nähe aufhalten und versuchen, sein Zeichen zu geben, damit der Überläufer wusste, dass es so weit war. Wenn er Glück hatte und das Antwortzeichen bekam, hatte er seinen Mann wenigstens identifiziert.
Seit Kamarow da war, hatte sich die Lage verschärft. Der alte Fuchs würde sofort alle normalen Fluchtwege sperren lassen.
Der Seeweg schied von vornherein aus, blieb also nur die Flucht über Land. Eine Flucht in Richtung Irak oder Jordanien kam aus verschiedenen Gründen nicht infrage, denn dort verbesserten sich seine Chancen keinesfalls.
Der Weg über die libanesische Grenze war schon besser. Von dort war es leichter, wegzukommen. Am besten war natürlich die Türkei, aber dieser Weg war zugleich auch der längste.
Steve musste mit der Botschaft Kontakt aufnehmen. Vielleicht gab es noch einen anderen Weg. Schließlich konnte ihn ein Hubschrauber abholen und auf ein Schiff bringen.
Ein Anruf in der Botschaft kam nicht infrage, denn wenn der syrische Nachrichtendienst einigermaßen funktionierte, wurden die Leitungen abgehört.
Steve ließ sich in einen Sessel sinken, legte den Kopf in die Hände und dachte nach. Er musste eine Lösung finden, die das Risiko so weit wie möglich verminderte.
Er schreckte hoch, als Leila ihm die Hand an die Wange legte. Sie sah ihn ernst an. „Wir werden es schaffen.“
Er lächelte schwach. „Wir müssen es schaffen!“
14.
Steve McCoy saß im Speisesaal an einem kleinen Tisch unmittelbar neben der Ecke, in der die Delegation mit seiner Zielperson immer Platz nahm. Sie mussten gleich kommen, denn sie aßen immer zur gleichen Zeit. Der Speisesaal war heute Abend gut besucht. Stimmfetzen in verschiedenen Sprachen schwirrten durch den Raum.
Für einen Moment kreuzte sich sein Blick mit dem des dicken Mannes mit dem roten Gesicht, der den Blick sofort senkte. Der Mann saß heute weiter entfernt, aber so, dass er sowohl Steve McCoy wie auch alle anderen Gäste im Auge behielt.
Der Mann, den Steve für einen Ostdeutschen hielt, obwohl er westdeutsche Zigaretten rauchte, hatte nur ein Bier vor sich stehen.
In diesem Augenblick betrat eine größere Gruppe den Speisesaal. Es ging also los. McCoy hoffte nur, dass Kamarow und seine Leute noch nicht dabei waren, um die Lage noch komplizierter zu machen.
Aber Steve McCoy hatte Glück.
Er musterte die Delegation genau. Nur einige sahen desinteressiert zu ihm herüber. Die Zeitschrift, die einen Teil des Erkennungszeichens bildete, lag mit der Titelseite nach oben vor ihm auf dem Tisch.
Plötzlich blieb einer aus der Gruppe stehen, holte ein Taschentuch aus der Tasche und schnäuzte sich kräftig.
Steve starrte ihn an. Ein kleiner schmächtiger Mann, schon älter, mit schütterem Haar. Er trug einen schlecht sitzenden Anzug, der vor zehn Jahren modern war.
Steve schlug die Zeitschrift auf und blätterte genau fünf Seiten um. Der kleine Mann schnäuzte sich ein zweites Mal, dann setzte er sich an seinen Platz.
Steve drehte seinen Stuhl ein Stück herum, sodass er seinen Mann aus den Augenwinkeln heraus beobachten konnte. Der Wissenschaftler unterschied sich in nichts von seinen Kollegen, und niemand hätte ihm angesehen, dass er für irgendjemand wichtig sein könnte.
Aber das war nicht McCoys Problem. Seine Aufgabe war, den Mann herauszuholen und sicher aus dem Land zu bringen. Wenn ihm das nicht gelang – er erinnerte sich an die Alternative, und ihm war sehr unbehaglich dabei.
Das also war Oleg Alexandrowitsch Petrow, Fachmann für Schallortungen unter Wasser, ein Wissenschaftler, der aus irgendwelchen Gründen überlaufen wollte …
Steve nahm einen Schluck von dem scheußlichen Bier. Die Gründe, die der Wissenschaftler hatte, gingen ihn nichts an, trotzdem interessierten sie ihn. Er nahm sich vor, ihn später danach zu fragen.
Petrow verriet mit keiner Miene, dass er sich für den Mann am Nachbartisch interessierte.