Wenige Sekunden später merkte er, dass er sich geirrt hatte. Ein neuer Anflug begann, diesmal von vorn, wo er mit seiner Kanone überhaupt nichts ausrichten konnte.
„Volle Deckung!“, brüllte er, bevor die 30-mm-Kanonen an Bord der MIGs loshämmerten. Er sah wie gebannt auf die zahllosen kleinen Fontänen, die sich in gerader Linie auf sein Boot zubewegten.
Dann zerhackte ein Geschossregen die Aufbauten und das Deck. Ein schriller Schmerzensschrei ertönte und brach abrupt ab. Der Leutnant blieb wie durch ein Wunder unverletzt, obwohl er die ganze Zeit aufrecht gestanden hatte.
Er warf einen raschen Blick in die Runde. Der Richtschütze an der Bofors war in seinem Sitz zusammengesunken und regte sich nicht. Ein weiterer Mann lag als blutendes Bündel mit ausgebreiteten Armen auf dem Achterdeck. Der Rudergänger war von Splittern nahezu durchsiebt worden, das Ruder drehte sich von selbst hin und her.
Dann war auch schon die zweite Maschine heran. Erneut brach die Hölle los, und als das Flugzeug hochstieg, war das Deck ein einziger Trümmerhaufen. Der Leutnant hatte sich unter ein Torpedorohr gezwängt, das wenigstens gegen den direkten Beschuss Schutz bot.
Trotzdem hatten ihn Splitter erwischt, und er blutete aus mehreren Wunden. Er stemmte sich hoch und versuchte auf die Beine zu kommen, stöhnte aber bei jedem Schritt und schleppte sich über die blutverschmierten Planken. Er hatte keine Ahnung, wie es unter Deck aussah, aber da niemand heraufkam, lebte vermutlich von seiner Mannschaft niemand mehr.
In diesem Augenblick setzte auch der Motor aus, und das Boot wurde manövrierunfähig. Alles war zu Ende. Den nächsten Angriff würde die Vosper nicht überstehen.
Der Leutnant hatte das Funkgerät erreicht – aber seine Anstrengung war umsonst. Das Gerät war nur noch ein wirrer Haufen aus Metall und Glas. Das reichte noch nicht mal für einen SOS Ruf. Er ließ die ausgestreckte Hand verzweifelt sinken und starrte mit blinzelnden Augen in den Himmel.
Das hämmernde Stakkato der automatischen Bordwaffen setzte wieder ein, als die beiden MIGs ihren letzten Angriff flogen. Das kleine Boot wurde von den auftreffenden Geschossen fast zerrissen. Dann erschütterte eine schwere Explosion das Heck. Der Munitionsvorrat war hochgegangen.
Das Patrouillenboot bekam sofort Schlagseite und begann zu sinken. Ein Torpedo löste sich aus seiner Halterung und rutschte aus dem Rohr in die Tiefe. Das Boot bekam dadurch noch mehr Schlagseite und sank langsam über den Bug.
Der Leutnant spürte davon nichts mehr. Die letzte Garbe hatte auch ihn erwischt. Niemand würde mehr erzählen können, was hier geschehen war. Nur noch ein paar Trümmerstücke verrieten, welche Tragödie sich abgespielt hatte …
9.
Die Fahrt von Damaskus in die Nähe von Latakia in dem gemieteten Wagen war lang gewesen. Steve McCoy hatte nur wenige Pausen gemacht und musste in der Nähe des Sperrgebietes an der Küste sein.
Er hatte die Absicht, heute Nacht einzudringen und das Mädchen herauszuholen, wenn es sich noch dort befand.
Steve bewegte sich nahezu lautlos und mit großer Vorsicht. Nach einer Stunde wusste er, dass er sich schon innerhalb des Sperrgebietes befand. Bis zu dem Stützpunkt an der Küste konnte es nicht mehr weit sein. Jeden Augenblick musste er damit rechnen, auf eine Patrouille zu stoßen.
Inzwischen war es dunkel geworden, aber der Mond schien hell genug, um Einzelheiten zu erkennen.
Wenig später befand er sich fast an derselben Stelle, an der man Leila Khalef erwischt hatte. Das wusste er allerdings nicht.
Von hier aus hatte er einen guten Überblick über die ganze Anlage. Auch jetzt herrschte dort noch Betrieb. Was auch immer hier geschah – man hatte es offenbar eilig. Steve McCoy hatte Zeit, die ganze Nacht lag noch vor ihm. Er musste sich alles genau einprägen, denn wenn er erst unten an der Küste war, musste er wissen, wo er sich gerade befand.
Seine geschärften Sinne hörten das Knirschen der Steine unter den schweren Stiefelsohlen schon sehr früh. Ein leiser arabischer Fluch erklang, dann schepperte Metall. Eine Patrouille!
Lautlos sank Steve zu Boden. Er verschmolz mit der Umgebung, und man hätte ihn wahrscheinlich erst dann bemerkt, wenn man über ihn gestolpert wäre. Seine Hand glitt unter die Achsel und spannte sich um den Kolben der Beretta.
Gegen den helleren Himmel erkannte er plötzlich die schattenhaften Umrisse von zwei Soldaten. Sie trugen ihre Gewehre über der Schulter und schienen nichts Böses zu ahnen. Steve McCoy hatte auch nicht die Absicht, ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Der Schein einer Taschenlampe blitzte auf und huschte über den Weg auf dem Hügelkamm. Einige arabische Wortfetzen drangen herüber, dann verlöschte die Lampe wieder. Die Soldaten gingen weiter, ohne nach rechts oder links zu sehen. Sie bemerkten McCoy nicht, obwohl sie nur wenige Meter an ihm vorbeigingen.
Steve blieb noch einige Minuten regungslos liegen, bis er sicher war, dass die Soldaten weit genug weg waren. Er richtete sich wieder auf und sah zur Küste hinunter. Die Aktivität hatte jetzt doch nachgelassen. Im Lager wurde es ruhiger.
Ein letztes Mal überprüfte er seine Ausrüstung. Gleich darauf machte er sich an den Abstieg, wobei er darauf achtete, dass er keinen Steinschlag auf dem von Geröll übersäten Hang auslöste. So etwas hätte ihn mit Sicherheit verraten, denn die Geräusche waren in der Nacht weit zu hören.
Als er unten war, atmete er tief durch. Der Küstenstreifen lag vor ihm, und fast zum Greifen nahe war der Drahtzaun, der die ganze Anlage einschloss.
Er musterte die Sicherheitseinrichtungen. In gewissen Abständen erhoben sich Wachttürme, die von Posten besetzt waren. Er erkannte die Läufe der Maschinengewehre und das Blitzen von Metall, wenn sich der Posten bewegte. Auf den Türmen waren außerdem Scheinwerfer angebracht, die aber nicht den ganzen Zaun ausleuchteten. Es gab dazwischen einige dunkle Stellen.
Dort lag vermutlich seine einzige Chance, durch den Zaun zu kommen. Doch bevor er sich dazu entschloss, wollte er noch ein größeres Stück untersuchen, um festzustellen, ob es an einer anderen Stelle noch eine bessere Chance gab.
In der Deckung der zahlreichen Bäume und Büsche, die es hier am Beginn des Küstenstreifens gab, schlich er vorwärts.
Gegenüber lag jetzt das Haupttor. Es war verschlossen und von mehreren Posten bewacht. Hier war ein Eindringen aussichtslos. Er musste zur anderen Seite des Strandabschnitts.
Als er an der Ecke war, an der der Zaun in Richtung Meer abbog, hatte er eine Idee. Vielleicht war es leichter, am Strand in die Anlage hineinzukommen, denn es war zu vermuten, dass der Zaun nur bis zum Wasser reichte. Aber dann verwarf er die Idee wieder. So dumm würden die Syrer nicht sein. Es gab dort sicher eine besondere Kontrolle.
Auf der anderen Seite des Zauns lagen Baracken in Reih und Glied. Sie hatten keine Fenster – vermutlich Lagerräume. Die Konstruktion aus Stahl, die im Wasser schwamm, war nur von einigen Lampen beleuchtet, sodass keine Einzelheiten zu erkennen waren. Auch ihm fiel die Ähnlichkeit mit einer Bohrinsel auf, wenngleich diese Konstruktion viel kleiner war und auch nicht so hohe Aufbauten hatte.
Steve sah auf seine Uhr. Langsam wurde es Zeit. Er hatte die Stelle entdeckt, an der er seinen Versuch machen wollte. Sie lag in der Mitte zwischen zwei Wachttürmen und war von jedem der Türme mindestens dreißig Meter entfernt. Ein Scheinwerfer befand sich nur auf dem rechten Turm, aber er war so schlecht ausgerichtet; dass er völlig sinnlos ein leeres Stück Sand beleuchtete.
Trotzdem musste der Agent vorsichtig sein, denn die Scheinwerfer waren drehbar, und wenn es dem Posten einfiel, plötzlich einen Schwenk zu machen, war er geliefert.
In langen Sprüngen hetzte er geduckt über den Strand. Trotz seines schnellen Laufs war kein Geräusch zu hören. Als er beim Zaun angekommen war, warf er sich sofort zu Boden und presste sich eng auf den noch warmen Sand. Bis