Er kam langsam auf Linda zu. "Rühren Sie sich nicht von der Stelle", zischte er.
"Hören Sie", begann Linda, aber Fernandez hob die Hand, so daß sie schwieg.
"Seien Sie still, Linda! So ist doch Ihr Name, nicht wahr?"
Er stand jetzt nahe bei ihr und sie fühlte den Puls bis zum Hals schlagen. Aber im Angesicht des blanken Pistolenlaufs, der auf sie gerichtet war, konnte sie nichts tun. Nichts, als zu hoffen, daß irgend eine Art von Wunder geschah.
"Sie sind ziemlich jung für den Sergeant", knurrte er. "Wie alt sind Sie?"
"Fünfundzwanzig Jahre."
"Und Ihr Mann."
"Zweiundvierzig." Linda sagte das mit fast erstickter Stimme und fragte sich, was das ganze wohl sollte.
"Wie kommt eine junge Frau wie Sie an einen so alten Mann?"
Er verzog das Gesicht.
Linda schluckte.
"Warum quälen Sie mich? Tun Sie, was Sie sich vorgenommen haben oder lassen Sie's! Es ist nur eine Frage der Zeit, wann man Sie kriegt!" rief sie trotzig.
Fernandez blickte etwas irritiert drein. Dann schwenkte er den Pistolenlauf. "Vorwärts, gehen Sie!" Fernandez führte sie ins Haus. Linda fragte sich, was er vorhatte. Sie sah zur Seite, als sie ihren toten Mann auf dem Boden liegen sah. Fernandez sah ihn sich dafür um so intensiver an. Er drehte ihn herum und durchsuchte die Jackentaschen des Toten, bis er die Wagenschlüssel hatte. "Rühren Sie sich nicht vom Fleck!" sagte er düster an Linda gewandt. "Wenn Sie Ihre Nase durch die Tür stecken, erschieße ich Sie!" Dann ging er hinaus.
Einen Augenblick später hörte Linda von draußen, wie der Wagen angelassen wurde und davonbrauste.
*
"ICH KONNTE SIE LEIDER nicht früher rufen", sagte
Linda an Inspektor Graves gewandt, nachdem sie ihm alles erzählt hatte. In dem Ferienhaus wimmelte es von Polizeibeamten. Alle Spuren wurden sorgfältig gesichert und die Fahndung nach Fernandez aufgenommen.
"Er wird nicht weit kommen", versprach der Inspektor. Sie gingen hinaus. Ein hochgewachsener Mann um die dreißig kam mit fliegendem Mantel auf Linda zu. Es war Desmond, Brians Partner. Seit fast fünf Jahren hatten die beiden zusammen in einem Dienstwagen gesessen.
"Linda, ich habe gehört, was passiert ist. Es ist furchtbar!" Seine Stimme verriet, daß er es nicht wirklich furchtbar fand. Er versuchte, ihr den Arm um die Schulter zu legen, aber sie entwand sich ihm.
"Nicht", sagte sie. "Ich will das nicht."
Sie hatten ein Verhältnis gehabt, aber das hatte nicht lange gedauert. Dann hatte Linda Desmond eröffnet, daß sie bei ihrem Mann bleiben würde.
Desmond hatte das nie akzeptieren können und sie immer wieder bedrängt. "Wahrscheinlich muß ich Brian erst umbringen, um dich von ihm loszukriegen!" hatte er mal gesagt. Linda hatte das für einen üblen Scherz gehalten.
Aber jetzt roch sie sein After Shave.
Tabak. Er nahm noch immer viel zu viel davon.
Es fiel Linda jetzt wie Schuppen von den Augen.
"Du hast ihn umgebracht, nicht wahr, Desmond? Und dir dabei gedacht, den Mord diesem Wahnsinnigen in die Schuhe schieben zu können! Aber ich war mit Fernandez da drinnen im Haus und habe seine Reaktion gesehen! Er wollte Brian töten, aber hat es nicht getan! Er kam gar nicht mehr dazu..."
"Das ist doch absurd!" verteidigte sich Desmond, der den fragenden Blick des Inspektors auf sich ruhen fühlte.
"Außer Brian und mir warst du der einzige, der über unseren Aufenthalt informiert war", sagte Linda. "Brian hat kurz bevor wir losfuhren noch mit dir telefoniert... Untersuchen Sie seine Waffe, Inspektor! Ich wette, daraus ist geschossen worden!"
Desmond schluckte. "Linda...", murmelte er, während der Inspektor die Hand ausstreckte.
"Ihre Waffe bitte, Desmond!"
Zögernd reichte Desmond sie Inspektor Graves.
Noch bevor Graves an der Waffenmündung gerochen hatte, flüsterte Desmond: "Es ist wahr."
Über den verrückten Fernandez konnte man am nächsten Tag in der Zeitung lesen, daß er mit einem gestohlen Wagen einen Verkehrsunfall verursacht hatte und verletzt worden war. Der Streifenpolizist, der den Unfall aufnahm, hatte ihn festgenommen.
Alfred Bekker
KALT WIE EIS
"Wo soll ich das Zeug hinbringen?" fragte der Eismann und wollte sich schon an Anderson vorbei ins Haus bewegen, aber dort konnte dieser die Eisstangen nicht gebrauchen. "Die Dinger sollen in den Kofferraum vom Wagen." Phil Anderson ging vor dem Eismann her bis sie den Wagen erreichten, machte dann den Kofferraum auf und ließ sich den länglichen Eisblock hineinlegen. "Die anderen auch in den Kofferraum?" vergewisserte sich der Eismann. "Ja", sagte Anderson kühl. Insgesamt drei dicke, quaderförmige Stangen waren es. "Sie werden sich den Wagen damit verderben!" sagte der Eismann, als Anderson bezahlte. "Das lassen Sie mal meine Sorge sein!" kam die nicht gerade freundliche Erwiderung. Der Eismann hob die Hände. "Ist ja schon gut", maulte er. Anderson sah ihm nach, bis er mit seinem Lieferwagen weggefahren war. Dann griff er zu dem Handy, den er in der Jacketinnentasche stecken hatte und wählte die Nummer von Melinda Harris, seiner Sekretärin. "Melinda? Legen Sie nicht gleich wieder auf! Wir müssen miteinander reden!" "Haben Sie es sich überlegt?" fragte Melinda kühl.
"Ich war heute morgen wohl etwas unbeherrscht, wie mir scheint", sagte Anderson. "Entschuldigen Sie das bitte." "Schon gut. Sie wissen, was ich will. Hunderttausend halte ich für angemessen", sagte Melinda. "Wenn die Sache rauskäme, würden Sie nicht nur Ihren Job in der Firma verlieren, sondern wohl auch ins Gefängnis wandern." Anderson seufzte. "Ich habe begriffen, daß Sie am längeren Hebel sitzen, Melinda. Eine Frage: Haben Sie bislang schon irgendjemandem etwas von der Sache erzählt?" "Nein. Glauben Sie, ich will das Geld mit jemandem teilen?" Anderson nickte. "Ich verstehe... Sie können das Geld haben. Ich habe es hier. In bar." Melinda schien erstaunt. "Gut...", murmelte sie. Mit so viel Entgegenkommen schien sie nicht gerechnet zu haben. "Ich bin dafür, daß wir uns jetzt gleich treffen und die Sache über die Bühne bringen..." "Das ist mir auch am liebsten, Phil!" "Ich bin gerade in meinem Wochenendhaus in den Bergen. Sie waren schon mal dort, erinnern Sie sich?" "Ja." "Auf halbem Weg gibt es einen Parkplatz. Man hat dort eine fantastische Aussicht. Als Sie mich damals besuchten, habe ich Ihnen die Stelle gezeigt. Dort treffen wir uns. Wenn Sie gleich losfahren, sind Sie in zwanzig Minuten dort..." Melinda zögerte. Vielleicht witterte sie eine Falle. Jedenfalls schien es ihr reichlich merkwürdig vorzukommen, daß Anderson nun so bereitwillig auf ihre Erpressung einging... "Ja", hörte Anderson sie dann aber doch sagen und auf seinem Gesicht erschien ein Grinsen.
*