Auf getrennten Wegen machten sich Milo und ich zu Josys gegenwärtigem Standort auf. Milo marschierte mitten durch das Buena Vista hindurch und hatte so Gelegenheit, den Auftritt des großen Kokainkönigs Benny Duarte mitzubekommen.
Ich hingegen war gezwungen, einen ganzen Block zu umrunden. Da ich nicht zuviel Zeit verlieren und noch rechtzeitig helfen wollte, nahm ich einen Teil der Strecke in gemäßigtem Jogging-Tempo.
Schließlich erreichte ich die Einfahrt zum Hinterhof. Inzwischen war es ziemlich dämmrig geworden. „Bleib am Beginn der Zufahrt stehen!“, riet mir unsere irischstämmige Kollegin Josy über Funk. „Da läuft so ein Typ mit einer Uzi unter dem Arm herum...“
Ich blieb an der Ecke, so wie Josy es mir geraten hatte. Aus der Deckung heraus konnte ich alles beobachten. Jay meldete, dass Gutierrez kurz mit Duarte sprach, der offenbar als privilegierter Gast im Buena Vista behandelt wurde.
Eine halbe Stunde lang harrten wir auf unseren Posten aus, ohne dass sich etwas tat.
Josy ging inzwischen auf die Limousine zu und tat dabei so, als wäre sie etwas beschwipst und hätte Schwierigkeiten, sicher zu gehen. Der Bodyguard drückte eine Zigarette aus und warf sie auf den Boden. Etwas, wofür man im Rest des Big Apple schon eine saftige Strafe zahlen muss, weil sich unsere Stadtregierung das Ziel gesetzt hat, aus New York ein sauberes Pflaster zu machen.
Der Chauffeur, der am Steuer saß und bis dahin nervös mit den Fingern auf dem Lenkrad herumgetickt hatte, drehte sich auch zu ihr um.
„Was machen Sie hier?“, fragte der Bodyguard grob. Seine rechte Hand ging augenblicklich zum Griff der Uzi, die er an einem Riemen über der Schulter trug. „Los, verschwinden Sie!“
Josy simulierte einen Schluckauf.
„Kein Problem, ich habe mich hier wohl ein bisschen verlaufen...“
„Kommt davon, wenn man den Hinterausgang benutzt.“
Josy machte einen ungeschickten Schritt, tat so, als würde sie stolpern und landete direkt neben dem Hinterreifen links auf dem Asphalt. Blitzschnell klebte sie den Sender unter den Wagen.
Der Uzi-Träger trat an sie heran, packe sie grob am Arm und stellte sie wieder auf die Füße. „Hauen Sie ab! Am besten gehen Sie einfach den Weg zurück, woher Sie gekommen sind!“
„Aber – dann lande ich ja wieder im Buena Vista!“
„Claro! Es verdad! Und dann lassen Sie sich vom Barkeeper ein Taxi bestellen.“
Josy ließ sich das nicht zweimal sagen. Sie ging zurück zum Hinterausgang, durch den sie gekommen war.
Ich stellte unterdessen fest, dass der Uzi-Träger nun schon zum dritten Mal auf die Uhr schaute.
Endlich meldete Jay, dass Bewegung in die Sache kam. Gutierrez brach auf. „Er hat einen Anruf auf sein Handy gekriegt“, stellte Jay fest.
Wenig später meldete Milo, dass Gutierrez den Korridor passiert hatte, der zur Hintertür führte. Josy hatte sich inzwischen längst wieder unter die Gäste des Buena Vista gemischt, um nicht weiter aufzufallen.
Ich beobachtete, wie Gutierrez ins Freie trat. Er schritt auf die Limousine zu, nahm dabei sein Handy in die Hand und wählte eine Nummer. Das Gespräch war sehr kurz. Er sagte höchstens einen Satz, dann steckte er das Gerät weg.
Hinter ihm folgte ein breitschultriger Kerl mit weißblond gefärbten Haaren. Er war breitschultrig, muskulös und gut einen Meter neunzig groß.
Auch er trug eine Uzi im Anschlag.
Sein Kollege öffnete die Hintertür der Limousine.
Plötzlich ging ein Ruck durch den Körper des Bodyguards.
Er sackte in sich zusammen und blieb reglos am Boden liegen. Auf seiner Stirn hatte sich ein kleiner, roter Punkt gebildet.
Ein Einschussloch.
Aber es war kein Schussgeräusch zu hören gewesen.
Ein zweiter Schluss peitschte lautlos durch die Luft und zerschmetterte den linken Außenspiegel der Limousine.
Gutierrez hechtete sich in seinen Wagen und riss die Tür hinter sich zu. Schüsse krachten jetzt laut durch den Innenhof. Der zweite Leibwächter schaffte es gerade noch seine Uzi empor zu reißen und feuerte eine ziemlich ungezielte Salve auf die Fensterfronten der oberen Stockwerke.
Ich rannte die Einfahrt zum Hinterhof entlang, riss die SIG aus dem Holster. An der Ecke blieb ich stehen.
Gutierrez hatte sich inzwischen im Wagen verkrochen. Der Chauffeur startete. Die Reifen der Limousine drehten durch.
Ich machte einen Sprung nach vorne, während mindestens ein Dutzend Kugeln in den gepanzerten Seitenscheiben hängen blieben. Schüsse fetzten auch in den Reifen hinten links hinein. Die Limousine brach aus, anstatt schnurgerade durch die Ausfahrt des Hinterhofs hinauszuschießen, krachte sie gegen eine Wand.
Der Fahrer war nach vorn gegen das Lenkrad geprallt. Dabei hatte sich der Airbag entfaltet.
Am Hintereingang des Buena Vista sah ich Milo und Josy auftauchen.
Sie wurden sofort von einem der Fenster auf der gegenüberliegenden Seite des Hinterhofs aus beschossen.
Eine MPi ratterte los.
Die Kugeln rissen kleine Stücke aus der Wand.
Dieser geballten Feuerkraft hatten Milo und Josy nichts entgegenzusetzen.
Ich lief zu Gutierrez’ Limousine, riss die hintere Tür auf.
Gutierrez war benommen.
Beim Aufprall des Wagens war er nach vorn geschleudert worden und mit dem Kopf gegen die Trennscheibe zur Fahrerkabine geprallt. Zumindest war dort sein verschmiertes Blut zu sehen, während an Gutierrez’ Kopf eine Platzwunde blutete. Es sah allerdings schlimmer aus, als es tatsächlich war.
Der Fahrer kämpfte sich unter seinem Airbag hervor. „Trevellian, FBI“, rief ich. „Bleiben Sie hier und rühren Sie sich nicht. Unsere Leute sind in der Nähe!"
„Hey, Sie...."
„Rühren Sie sich nicht vom Fleck!“, wies ich ihn noch einmal unmissverständlich an.
Auf der gegenüberliegenden Seite der Hinterhofeinfahrt gab es eine Tür, die sich plötzlich einen Spalt breit öffnete. Das Mündungsfeuer einer MPi blitzte auf. Ich warf mich zu Boden. Der Kugelhagel pfiff über mich hinweg. Rechts und links schlugen die Projektile gegen die Limousine, blieben in den Scheiben hängen und bildeten dabei jeweils das Zentrum von feinen Rissen, die sich wie Spinnenbeine verzweigten oder prallten von der gepanzerten Karosserie ab. Gefährliche Querschläger entstanden auf diese Weise. Noch im Fallen hatte ich die SIG Sauer P226 hochgerissen und mehrfach gefeuert.
Am Boden feuerte ich noch einmal, diesmal mit einem genau gezielten Schuss. Mein Gegner schrie auf. Im selben Moment verebbte der MPi-Kugelhagel.
Ich schnellte hoch, rannte auf die Tür zu. Mit der SIG in der Faust riss ich sie auf. Den Lauf meiner Dienstwaffe hielt ich in Augenhöhe. Der MPi-Schütze lehnte an der Wand. Er trug eine Sturmhaube. Blut rann ihm zwischen den Händen hindurch. Ich hatte ihn offenbar am Arm erwischt. Er versuchte, ein frisches Magazin in seine Waffe zu schieben. Sein Arm zitterte dabei.
„Keine Bewegung!“, rief ich. „FBI! Sie sind verhaftet!“
Über das Kragenmikro meldete ich die Verhaftung, entwaffnete ihn und nahm ihm die Sturmhaube vom Gesicht. Ich schätzte ihn auf ungefähr dreißig Jahre. Er hatte dunkle Haare, die leicht gelockt waren und eine kraterartige Narbe am Kinn, die wohl von einem