Löwenfisch. Rudolf Trink. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rudolf Trink
Издательство: Bookwire
Серия: Löwenfisch - Eine Rumpler Rosamunde Krimi
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783960743781
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mir fällt schon einer ein, der was wissen sollt, aber ich weiß nicht, ob das geht.“

      „Wer sollt das sein?“

      „Der Yeti.“

      Moser fuhr kerzengerade in die Höhe und starrte Rumpler fassungslos an. „Der Yeti? Den kannst doch nicht fragen!“

      Der Yeti war in Polizeikreisen, aber nur unter den älteren Kollegen, eine Legende. Er war bereits seit etwa zehn Jahren in Pension. Zu seiner Zeit hatte er über ein unglaublich dichtes Netzwerk an wichtigen Kontakten verfügt und war neben gut zwanzig Jahren im Polizeidienst für mehrere Jahre als Sicherheitsberater diverser Staaten, vor allem im arabischen Raum, tätig gewesen. Der Yeti war schwerreich, auch durch seine Heirat. Seine Frau stammte aus einer der großen Weinproduzentenfamilien Frankreichs, die im Burgund ein prachtvolles Château besaß. Seine natürliche Autorität hatte meist automatisch eine Hemmschwelle errichtet, die verhindert hatte, mit ihm direkt in Kontakt zu treten. Seinen Spitznamen verdankte der Yeti übrigens nicht so sehr seiner riesenhaften Gestalt, sondern der Tatsache, dass er in Angelegenheiten seines Gartens keinen Spaß verstand und ihn mit einer beispiellosen Akribie pflegte und jätete. Die überaus gepflegten öffentlichen Gärten waren schlampig im Vergleich zum Garten des Yeti, der wegen dieser seiner Leidenschaft von den Kollegen eigentlich Jäti genannt worden war. Obwohl er auch ein wenig wie ein Yeti aussah. Und diesen legendären, geheimnisumwitterten alten Mann wollte Rumpler kontaktieren.

      „Unmöglich“, beharrte Moser. „Mit dem Yeti kann keiner einfach so reden.“

      „Ich glaub, ich könnts. Er hat mich vor fast zwanzig Jahren nach einem wichtigen Fall zu sich eingeladen, hat mir gratuliert und gesagt, wenn ich einmal wo nicht weiter kann und Hilfe von ihm brauch, dann soll ich zu ihm kommen.“

      „Wer weiß, gibt’s ihn überhaupt noch? Er hat ja auch nicht das ewige Leben.“

      Rumpler war sich da nicht so sicher. „Schau ma mal.“

      „Und wenn er noch lebt, wer weiß, ob er sich noch erinnert, was er dir versprochen hat.“

      „Der Yeti vergisst nichts. Niemals.“

      Moser grunzte etwas Unverständliches. „Probieren kannst es ja. Erzähl mir, was rauskommt.“

      „Mach ich.“

      *

      9.

      Nachdem die Herren sich voneinander verabschiedet hatten, war ihre Stimmung diametral entgegengesetzt. Während Moser noch immer heftig mit der Tatsache haderte, dass er als Kriminalist trotz eines gewissen Verdachts keine offizielle Untersuchung vornehmen konnte, fühlte sich Rumpler wie in alten Zeiten vom Jagdfieber gepackt, geradezu beflügelt. Er hatte wieder einen Fall.

      Als er bei Rosamunde eintraf, glücklicherweise mit etwas faschiertem Kalbfleisch versehen, übertrug sich seine angenehm aufgeregte Stimmung augenblicklich auch auf sie. Rosamunde erkletterte in der Küche ihren Beobachtungsplatz, überwachte Rumplers Vorbereitungen und genoss dann ihre vorzügliche Mahlzeit.

      Rumpler ging ins Wohnzimmer und machte sich auf die Suche nach dem Kistchen mit den von ihm über Jahrzehnte gesammelten Visitenkarten, in dem er auch eine Karte des Yeti vermutete. Er rechnete zwar damit, dass sich dessen Telefonnummer mittlerweile geändert haben würde, aber mit etwas Glück konnte die Adresse noch aktuell sein. Schließlich entdeckte er unter einem Stapel von Papieren das sorgfältig gearbeitete dunkelbraune Holzkistchen mit seiner alphabetischen Registereinteilung, sah aber nicht unter dem Buchstaben S nach, wo die Karte des Yeti, der eigentlich Bernhard Schaffer hieß, zu vermuten war, sondern blätterte kurze Zeit wahllos darin. Erinnerungen tauchten auf, auch der eine oder andere schon längst verstorbene Kollege wurde durch seine Karte für Rumpler wieder lebendig. Schon nach kurzer Zeit rief er sich aber zur Ordnung und blätterte die unter S abgelegten Karten durch. Tatsächlich, da war die Karte, zwar schon etwas vergilbt, aber noch immer sehr edel, aus vorzüglichem Karton hergestellt, mit erhabener Schrift, wie sie nur durch den Einsatz einer eigens gravierten Metallplatte möglich war. In der Zeit des Digitaldrucks ein wunderbares Relikt, wie Rumpler dachte. Die Karte wies eine Adresse im 19. Bezirk auf, mit einem Gassennamen, der ihm nichts sagte. Jetzt, wo er die Möglichkeit für die Kontaktnahme zum Yeti in Händen hielt, wehten ihn plötzlich doch leise Zweifel an, ob es wirklich richtig war, ihn aufzusuchen. Vielleicht war er ein schwerkranker Mann, der sich durch die Rumplersche Anfrage belästigt fühlen würde, oder, schlimmer noch, das früher untrügliche Gedächtnis des Yeti war altersbedingt geschwunden und jenem nebelhaften Durcheinander gewichen, das so oft als deprimierende Begleiterscheinung des Alterns auftritt.

      Egal. Rumpler wollte die Möglichkeit, den legendären Yeti um Hilfe zu bitten, nicht außer acht lassen. Er beschloss, ihm ein kurzes Schreiben in den Briefkasten zu werfen, in welchem er ihn um Kontaktnahme bat. Rumpler brauchte ziemlich lange, bis er ein ihm geeignet erscheinendes Kuvert samt passender Karte gefunden hatte. Auch den Text schrieb er, ganz gegen seine sonstigen Gewohnheiten, zunächst nur probeweise auf einen Block – aus Respekt vor dem Yeti. Vor allem bei der Anrede zögerte er länger. Der Yeti hatte ihm seinerzeit bei seinem überraschenden Hilfsangebot das Du-Wort angetragen, das zu verwenden Rumpler aber durch etwa zwanzig kontaktlose Jahre fast wie eine Anmaßung vorkam. Schließlich gab er sich einen Ruck, schrieb trotz seiner Bedenken einfach Lieber Bernhard, ersuchte ihn um Kontaktnahme, ohne in irgendeiner Weise auf das Thema selbst einzugehen, und fügte seine Kontaktdaten hinzu. Er steckte die fertige Karte ins Kuvert, ohne es zuzukleben, stärkte sich noch rasch mit einem kleinen Espresso und machte sich auf den Weg in den 19. Wiener Bezirk – Döbling.

      Das Navigationssystem seines Autos führte ihn in einen ihm kaum bekannten Teil von Döbling, in dem die Straßen immer schmaler und die Villen samt den sie umgebenden parkartigen Gärten immer größer wurden. Als er schließlich bei der auf der Karte angegebenen Hausnummer war, sah er, dass dort wie bei den meisten Häusern dieser Gegend kein Namensschild angebracht war. Rumpler beschloss, trotzdem den Versuch der Kontaktnahme zu wagen. Er hob die massive Klappe des in die Einfriedungsmauer eingelassenen Messingbriefkastens, registrierte die ebenso unauffälligen wie umfassenden Sicherheitseinrichtungen, sah durch das schmiedeeiserne Gartentor zwei belgische Schäferhunde, die ihn zwar nicht verbellten, aber umso genauer beäugten, und warf sein Kuvert ein. Eine Kamera bewegte sich unter leisem Surren. Man hatte ihn offensichtlich registriert. Eben als er sich umdrehte, um zu gehen, knackte die Gegensprechanlage. Er verharrte kurz und lauschte gebannt, fassungslos.

      „Komm doch herein, Hans.“

      Nahezu zeitgleich erschien ein junger, vermutlich arabischstämmiger Mann, der Rumpler entgegenging und ihn höflich begrüßte, nachdem er den Hunden signalisiert hatte, dass dieser ein willkommener Gast war. „Herr Schaffer erwartet Sie im Pavillon. Würden Sie mir bitte folgen?“ Seine gepflegte Sprache war praktisch akzentfrei.

      Rumpler folgte seinem Führer über einen Kiesweg, der zunächst zwischen unglaublich präzise geschnittenen Hecken verlief und erst nach etwa zwanzig Metern den Blick auf den riesigen parkartigen Garten freigab. Auf der rechten Seite Rumplers lag eine Villa, die wohl im frühen 20. Jahrhundert erbaut worden war, mit großen, durch kunstvoll geschwungene Holzstege aufgelockerten Fensterflächen, während halb links ein stark mit wildem Wein bewachsener Pavillon stand, auf den sein Führer jetzt zusteuerte. Der Pavillon stand am Ufer eines kleinen Teichs, über den eine aufgewölbte Holzbrücke führte. Sie erinnerte Rumpler in ihrer schlichten perfekten Schönheit an japanische Gärten, die er einmal in Kyoto gesehen hatte, vor etwa zwanzig Jahren, als sein Chef plötzlich erkrankt war und er ihn auf einem internationalen Polizeikongress in Japan hatte vertreten dürfen.

      An dem großen runden Marmortisch im Pavillon saß ein riesenhafter Mann, leicht vornübergebeugt, unbeweglich wie ein Berg. Der Yeti. Die beiden Hunde, die den Männern zunächst im Abstand von einigen Metern gefolgt waren, liefen ihnen voraus, schlank und beweglich, mit schwingenden Rücken. Hätte Rumpler nicht aus seiner Zeit bei der Kriminalpolizei die Wachsamkeit und unglaubliche Leistungsfähigkeit dieser Tiere kennengelernt, er hätte sie sicher unterschätzt. Der Yeti blickte auf, während er die Hunde zärtlich