Wenn für Schnitzler die Bedeutungslosigkeit der überkommenen Formen noch Lebensschicksal ist, für Hugo von Hoffmannsthal (geb. 1874) ist sie nur mehr literarisches Schicksal. Allein in den ersten Dramen "Der Tor und der Tod", "Der Abenteurer und die Sängerin" schwingt noch ihr Erlebnis: Schwermut und Sehnsucht. Das erste eine Dichtung des Neunzehnjährigen: ein junger Mensch, der das Leben zum erstenmal ahnt, da er es lassen muß:
Was weiß ich denn vom Menschenleben?
Bin freiliche scheinbar drin gestanden,
Aber ich habe es höchstens verstanden,
Konnte mich nie darein verweben...
Stets schleppt ich den rätselhaften Fluch,
Nie ganz bewußt, nie völlig unbewußt,
Mit kleinem Leid und schaler Lust
Mein Leben zu erleben wie ein Buch.
Aber, da er dem Tode, der ihn zu rufen kommt, entgegenhält: "Ich habe nicht gelebt!" zeigt der ihm, was an Leben und Liebe sein gewesen: unter den Geigenklängen des Todes schweben die Schatten der Mutter, des jungen Mädchens, des Freundes vorüber, die einst in Sorge und Liebe sich um ihn mühten, ohne daß er ihrer geachtet. Er war der "Ewigspielende", "der keinem etwas war und keiner ihm". Erst der Tod lehrt ihn das Leben sehen — die süße Schwermut eines Frühlingsabends webt um diese jungen, goethisierenden Verse; aus weich-verhangener Ferne träumt Musik. Im "Abenteurer und die Sängerin" schimmern die Farben und Wunder Venedigs auf. Auch hier eine ausgelebte Welt. Auch hier ein Ewigspielender: Casanova. Fünfzehn Jahre nach einem seiner vielen Liebesabenteuer kreuzt dieser flüchtige Faltermensch die Lagunenstadt und sieht die einst Geliebte, die er zum Leben erweckt, die ihm glücklichste Stunden geschenkt, als Gattin eines anderen wieder und neben ihr seinen Sohn. Wenige festliche Stunden, wenige in Traum, Süße, Wehmut und Erinnerung aufschimmernde Worte. Und darüber die Schatten des Alters und der Vergänglichkeit.
Je mehr in den späteren Dramen Hoffmannsthals der Lebensgehalt versickert, desto üppiger wuchert ihre Form. Die leere Lebensform des ausgehenden Wien wird zur leeren literarischen Form, einer üppigen barocken Form, die Leben aus zweiter Hand, aus Sophokles, Otway, Molière überrankt. Der sittliche Gehalt der Sophokleischen Elektra, das tragische Rächeramt der Kinder an der eigenen Mutter, des Vaters Mörderin, wird — jenseits aller Weltanschauung — zu einer dekorativen, schwelgerischen, brandroten Orgie in Haß, Blut und Rache. Bedeutsam bleiben — wie bei d'Annunzio, dem er nahekommt — die artistischen Werte Hofmannsthals: sein Anteil an der Entwicklung deutscher Sprachkunst.
Klingt bei Hofmannsthal Wortmusik, bei Richard Beer-Hofmann (geb. 1866), dem dritten und tiefsten der Wiener, klingt Seelenmusik. In hinreißendem Adagio entquillt sie seinem ersten Drama, dem "Grafen von Charolais" (1904), obgleich es einer alten englischen Vorlage Massingers und Fields unglücklich verbunden ist, obgleich es daher in zwei Teile zerbricht, obgleich die Requisiten des alten Stücks, Leichen, Pfändung, Ehebruch, Mord, Selbstmord, sich peinlich häufen. Da ist nicht mehr die Melancholie des Ästheten, da ist eine wehe Weisheit, eine milde Güte, eine dunkel-goldene Traurigkeit, aus Tiefen, die seit Gerhart Hauptmann keiner mehr durchmessen hat. Nur das Vorspiel zu einem Dramenzyklus, zur "Historie von König David", ist seitdem erschienen: "Jaákobs Traum" (1918), eine symphonische Dichtung von einer seelischen und religiösen Gewalt, die sie hoch über die Zeit emporträgt. Die Würde und Tragik der Berufung ist ihr Thema, Jaákobs Ringen mit Gott auf dem Berge Beth-El ihr biblischer Stoff. Wenn der musikalischen und metaphysischen Gewalt dieses Vorspiels die Kraft der Menschengestaltung in der Trilogie entspricht, so wird Beer-Hofmann in schöpferischer Erneuerung alttestamentlicher Symbole der deutschen Dichtung das religiöse Drama erobern helfen.
Hauptmann und in minderem Grade auch Wedekind, Schnitzler, Beer-Hofmann erleben die Welt unmittelbar in weltanschaulichen Gegensätzen und in Gestalten, die sie verkörpern und ausfechten. Fast allen jüngeren Dramatikern ist dieses überpersönliche, weltgroße Erlebnis fremd; sie erleben einseitig, subjektiv, nur vom Gefühl oder vom Intellekt aus, und so kommt es nur zu lyrisch-balladesken oder dialektischen Spannungen.
Herbert Eulenberg (geb. 1876) bleibt ganz in dumpfen Gefühl befangen. Seine Helden sind immer die gleichen Typen und leben nur im Schwellen und Ausschwingen ihrer Gefühlsdurchbrüche. Er erlebt nur in einer Richtung und nur in einem Menschen; die anderen Menschen sind ohne eigene Lebens- und Gegenkraft für Eulenberg wie für seine Helden. Einsam steht der Eulenbergsche Mensch im All; fremde Mächte werden in ihm wach und jagen ihn in die dunkle Hölle seines Blutes und seiner Träume; sie verfolgen und erfüllen ihn, wachsen, rasen und toben in ihm, bis sie seine Form zersprengen oder in vernichtenden Taten den Ausweg suchen. Von außen her dringt nichts in diesen Vorgang ein. "Ich höre nichts außer mir", sagt einer der Helden; "ich brenne in mir ab", ein anderer. Die Gegenspieler sind keine ursprünglichen Gestalten, sind nur Blutbilder des eigenen Innern. So wird kein Drama, so kommt es nur zu monologischen, lyrisch-balladesken Wirkungen, zu Farben und Stimmungen.
Der Gegenpol Eulenbergs ist Karl Sternheim (geb. 1881). Er geht ganz vom Intellekt aus. Er erlebt nicht, er erkennt nur. Sein literarischer Ehrgeiz will stilisieren, zu Typen vordringen. Aber einen Typus gewinnt er nicht durch Fülle und Verdichtung des Persönlichen, sondern durch Konstruktion und Illustration eines Begriffs. Kurze Zeit weiß seine Beobachtung, seine literarische Erinnerung die Stilisierung durchzuführen, dann entgleiten und brechen die Linien, die Personen werden zu Karikaturen. Eine Komödie wie "Der Snob" ist in ihrer inneren Unwahrheit, ihrer Literaten- und Theaterkunst, gar nicht so weit von Blumenthal und Kadelburg; sie ist nur geistreicher und boshafter. Seiner Menschen-wie seiner Weltanschauung fehlt der organische Anteil, das Ethos, die Liebe. Es genügt nicht, die Welt lächerlich zu machen. Humor, nicht Witz ist das Zeichen des Schöpfers. Jede Anschauung will im Zusammenhang einer Weltanschauung, jede Eigenschaft im Zusammenhang einer Seele, jede Verzerrung im Zusammenhang eines Ideals gedeutet und gestaltet werden. Auch der Satiriker lacht und spottet nicht aus dem Gefühl billiger Überlegenheit, sondern aus dem Gefühl der Verantwortung und der Liebe.
Über Wedekind und Sternheim führt der Weg Georg Kaisers, (geb. 1878). Auch er ist ein Intellektueller, ein ehrgeiziger Literat, ein Formenkünstler. Ohne ein ursprüngliches Wesenszentrum überläßt er sich den wechselnden Strömungen der Zeit. Von der Verherrlichung des Fleisches à la Wedekind ("Rektor Kleist", 1905) gelangt er zum ideal platonisierten Denkdrama "Die Rettung des Alkibiades" (1919). "König Hahnrei" und die "Jüdische Witwe" stellen die tragischen Konflikte Tristans oder Judiths in frecher Jongleurkunst auf den Kopf. "Die Bürger von Calais" wissen klug errechnete tragische Situationen rhetorisch auszukosten. "Die Koralle" und "Gas" diskutieren die sozialen Probleme der Gegenwart. An artistischem Können ist Kaiser Sternheim bald voraus; er ist reicher, beweglicher, energischer. Aber es ist die Hast der Nerven, die Psychologie des Intellekts, die Technik des Films. In den sozialen Dramen — der Sphäre der Massen und Maschinen — werden der Bau mathematisch, die Menschen mechanisch, die Sprache zum Telegramm. Ein Druck auf die Feder — und das Werk läuft ab: Rede und Gegenrede, Bewegung und Gegenbewegung. Mit virtuoser Technik wird die ganze soziale Stoffmasse in diesem Rädertreiben zermahlen. — Und schließlich fallen in der "Rettung des Alkibiades" auch die Schemen dieser Gestalten; in Anlehnung an den platonischen