Deutsches Leben der Gegenwart. Paul Bekker. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Paul Bekker
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066118716
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Strophen. Aber an der Vermessenheit des Einsam-Überheblichen zerbricht diese Welt. Aus dem Abseits und der Vereinzelung spätrömischen Herrschertums fliehen die "Hirtengedichte" in die mythisch geläuterten Urformen naturhaft schönen und reinen Menschentums, wie sie die Griechen zuerst gewahrt und gebildet haben. Hier beginnt die tiefe Wesensverwandtschaft Georges mit der Antike deutlich zu wurden. Das Christentum hatte in seiner Weltflüchtigkeit, seiner metaphysischen Sehnsucht und Wertung formsprengende Elemente in sich aufgenommen; nur im südlichen und rheinischen Katholizismus waren Himmel und Erde in Lebensfreude und Bildhaftigkeit eins geblieben. Georges reinem Formenwillen konnte nur eine antikische Weltanschauung genugtun, in der Gott und Welt, Seele und Leib sich restlos durchdrangen, und in der Schönheit der Gestalt zur vollkommenen Form gelangen. "Den Leib vergotten und den Gott verleiben", das war ihm der Sinn alles Weltgeschehens, darin Natur und Kunst sich trafen. Für diese religiöse Aufgabe bedurfte die Dichtung einer vollen Erneuerung ihrer Formsubstanz: der Sprache. Und von Anfang an hatte George sich darum gemüht, die epigonenhaft verbrauchten Elemente der deutschen Sprache neu zu schaffen. Er war in den Geist und Klang von sieben fremden Sprachen eingedrungen. In unermüdlichen Übersetzungen hatte er die deutsche Sprache bereichert, durchglüht und gehämmert. Im "Algabal" war ihm die Sprache ganz zu eigen geworden; es waren keine übernommenen und verbrauchten Elemente mehr in ihr, sie war wieder ursprünglich, war imstande, seinen neuen reinen. Wesens- und Lebensformen in reiner Sprachform Gehalt zu geben.

      Nun war George stark genug, von seiner Flucht in die Welt der Geschichte zurückzukehren, nicht mehr Urbilder vergangener Zeiten zu erneuern, sondern Urkräfte zu bannen. Im "Jahr der Seele" (1897) offenbart er Urformen der Natur.

      Die Natur ist ihm kein Gegensatz zum Geist oder zur Seele, ist ihm die Lebenseinheit beider, ursprünglich und ewig wie die Antike, die keine entgötterte und entseelte Natur kannte. So erschienen im "Jahr der Seele" die Urformen der Natur, die Jahreszeiten, in Bildern von räumlicher Gegenständlichkeit und Farbigkeit und zugleich tiefster Seelenhaftigkeit. Die Seele sucht hier nicht — wie bei Goethe — die Natur, um an ihr sich zu finden und auszusprechen; beide sprechen sich in ursprünglicher, kosmischer Einheit aus. Urformen der Natur offenbaren sich als Urformen der Seele, Urformen der Seele als Urformen der Landschaft. So sind es keine Stimmungs-, sondern Schicksalsbilder, die diese Gedichte schaffen. Die Fülle des Herbsttags hebt an, die reife Ernteruhe und -klarheit, der Friede der Erfüllung, den doch der Vers Hebbels schon ahnend durchschauert: "So weit im Leben ist zu nah am Tod." Wie sind Seele und Landschaft eins in solchem Gedicht:

      Wir schreiten auf und ab im reichen Flitter

      Des Buchenganges beinah bis zum Tore

      Und sehen außen in dem Feld von Gitter

      Den Mandelbaum zum zweitenmal im Flore.

      Wir suchen nach den schattenfreien Bänken,

      Dort, wo uns niemals fremde Stimmen scheuchten,

      In Träumen unsre Arme sich verschränken,

      Wir laben uns am langen, milden Leuchten.

      Wir fühlen dankbar, wie zu leisem Brausen

      Von Wipfeln Strahlenspuren aus uns tropfen,

      Und blicken nur und horchen, wenn in Pausen

      Die reifen Früchte an den Boden klopfen.

      Erst nachdem George die Urformen der Geschichte und der Natur erlebt, erneuert und gebannt, ist er geläutert und gestählt zur Weihe der Berufung. Jetzt erscheint ihm der Engel des "Vorspiels": "Das schöne Leben sendet mich an Dich — Als Boten." Der Geist des Lebens erscheint ihm jetzt, des "schönen Lebens", dem alles Dasein reine Einheit ist und klare Form. Der hebt ihn zu sich auf die heilige Höhe der Sendung. Die reinen Formen, die er bisher nur erfahren und erneuert — jetzt darf er sie am Urquell mit schauen und -schaffen; ein Leben der Weihe wartet seiner, in dem jede Stunde sich sinnvoll einordnen, schöpferisch rechtfertigen will. Aber die Gnade der Berufung fordert das Opfer, die Hingabe, den ausschließlichen Dienst des Berufenen. Aus irdischem Glück und menschlicher Wärme schreitet er zur Gipfelhöhe, Gipfeleinsamkeit, Gipfeleisigkeit.

      "Georges Vorspiel ist nur Gedicht, gehorsam demselben strengsten Geheiß, das den Zarathustra erzwang: dem Ich Gesetz und Heil des Lebens zu schaffen in gottblinder und weltwirrer Zeit, doch nicht für alle und keinen, sondern aus dem einen. Ist ein Dichter mehr als bloß ein Ich, dann gilt es dadurch den anderen; und was ihn ruft, weckt auf die Ohren, die ihn vernehmen. Soll er den Kreis füllen, so muß er die Mitte und die Strahlen halten, nicht dem Umfang nachlaufen. S i c h gestalten, sich erfüllen, sich vollenden war Georges erstes Gebot, und das empfing er nicht vom Fernen, sondern vom Nächsten, seinem eigenen Herzen. Doch eben dies Gebot war die Antwort auf die Frage des Lebens... und indem er sich erfüllte, als Dichter, indem er seine Form fand, seinen Streit ausfocht, sein Wort sagte, tat er, was an der Zeit war. Dantes Gesetz hieß: Schaue i Gott... Goethes: Werde Welt... Georges: Gestalte Leben. Die Gefahren, Leiden, Wonnen und Pflichten dieses Gesetzes hat er im Vorspiel verkündet, von der Einweihung bis zur Vollendung." (Gundolf.)

      Erst der also Geweihte vermag aus dem Geist des Lebens den "Teppich des Lebens" (1900) zu zeichnen: die geistigen Urbilder des Menschentums in Natur und Geschichte, "das Kräftereich europäisch-deutscher Menschenbildung in einzelnen Schöpfungsformen, von den erdgebundenen Anfängen bis zum geistigen Tun und Wirken der Genius". (Gundolf.) Wie "ein Epos des Erdgeistes" beginnt die Reihe mit dem mütterlichen Grunde alles Menschentums, der "Urlandschaft", in der Mensch, Tier und Erde noch unbewußt und einig sind: "Erzvater grub, Erzmutter molk, — Das Schicksal nährend für ein ganzes Volk."

      Zum erstenmal in dieser epischen Bilderfolge taucht in Georges Werk das Volk als Urform des Menschentums auf und als Urform seines Menschentums das deutsche Volk. Im Vorspiel hatte der Geist des Lebens ihn aus den magischen Landschaften des Südens zu "den einfachen Gefilden", der "strengen Linienkunst" der heimischen, rheinischen Landschaft geführt:

      Schon lockt nicht mehr das Wunder der Lagunen,

      Das allumworbene, trümmergroße Rom,

      Wie herber Eichen Duft und Rebenblüten,

      Wie sie, die deines Volkes Hort behüten —

      Wie deine Wogen — lebensgrüner Strom!

      Jetzt ist ihm das Volk als Urform deutlich geworden, die ihn selber umfaßt, die Wesens- und Geschichtskräfte des deutschen Volkes. Seine Sendung ist zur deutschen Sendung geworden: Indem er die reinen Kräfte des deutschen Volkes in sich zur Gestalt bildet, wird er auch der Bildner seines Volkes sein. — —

      "Den Leib vergotten und den Gott verleiben": die Einheit von Welt und Gott, Natur und Geist, Leib und Seele war Georges Weltanschauung und -aufgabe. Sie sollte und mußte er erleben, erschauen, erschaffen. Das höchste Symbol dieser Einheit ist der Gott-Mensch. Und wenn je die Menschheit dieses Symbols bedurfte zu ihrer Vollendung — George konnte sich nicht begnügen, seine Weltanschauung in zerstreuten Bildern zu schauen und zu schaffen; sie mußte sich ihm in einer Gestalt verdichten. Das war die höchste Möglichkeit seiner Weltanschauung. Und seinem Formsehnen und -willen war die höchste Möglichkeit auch die höchste Notwendigkeit. So schaute und schuf er in Maximin, der geliebten Gestalt eines schönen, früh gestorbenen Jünglings und Jüngers, das Bild des Gott-Menschen, darin die Welt vollkommen ward.

      "Wir gingen", heißt es in Georges Maximin-Rede, "einer entstellten und erkalteten Menschheit entgegen, die sich mit ihren vielspältigen Eingenschaften und verästelten Empfindungen brüstete, indessen die große Tat und die große Liebe am Entschwinden war. Massen schufen Gebot und Regel und erstickten mit dem Lug flacher Auslegung die Zungen der Rufer, die ehemals der Mord gelinder beseitigte: unreine Hände wühlten in eincm Haufen von Flitterstücken, worein die wahren Edelsteine wahllos geworten wurden. Zerlegender Dünkel verdeckte ratlose Ohnmacht, und dreistes Lachen verkündete den Untergang des Heiligtums." Da erschien in Maximin der göttlich einfsch schöne Mensch, "Einer, der von den einfachen Geschehnissen ergriffen wurde und uns die Dinge zeigte, wie die Augen der Götter sie sehen." In ihm ward der erstarrten Zeit der Erlöser:

      Die starre Erde pocht,

      Neu durch ein heilig