Der Tod der blauen Wale. Joachim H. Peters. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Joachim H. Peters
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783954752294
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ohne Partner. Manchmal fragte er sich, wann sie sich für einen Mann und möglicherweise auch für Kinder entscheiden würde, denn mit fast dreißig begann auch ihre biologische Uhr langsam zu ticken. Er hatte sie ins Herz geschlossen und er liebte sie, war sich aber darüber klar, dass diese Liebe rein platonisch bleiben würde. Außerdem würde momentan nicht einmal er selbst mit sich ins Bett gehen wollen.

      »Was willst du? Bist du nur gekommen, um mich anzupöbeln?«, schnauzte er sie an, um nicht zu verraten, wie nah ihm ihr Besuch ging.

      »Ich wollte nur mal sehen, wie es dir geht. Du lässt ja nichts mehr von dir hören.«

      Kleekamp schlurfte zu einem der Küchenstühle, um sich darauf ächzend niederzulassen, schob einen Stapel Zeitungen, der darauf lag, achtlos zur Seite, sodass er zu Boden fiel. »Wie soll es mir schon gehen? Blendend, siehst du doch!« Er machte mit dem Arm eine raumgreifende Bewegung durch die Küche. »Ich bin suspendiert und lebe hier in meinem kleinen Paradies, alles bisschen runtergekommen und dreckig, aber immerhin bezahlt.«

      Natalie sog deutlich hörbar ein. »Wenn du jetzt auf die Eigentumswohnung anspielen willst, die ich vor drei Wochen gekauft habe, dann …«

      Kleekamp stoppte sie, indem er müde abwinkte. »Sorry, war nicht so gemeint.« Er blickte zu Boden und versuchte, das Thema zu wechseln. »Und? Was gibt es Neues auf der Wache? Hat die Alte euch schon alle eingenordet?« Mit der Alten meinte er Katharina Vogt, ihre neue Direktionsleiterin, die seinen ehemaligen Erzfeind Polizeioberrat Hartmann abgelöst hatte.

      »Im Großen und Ganzen lässt sie uns in Ruhe, aber momentan ist es auch sehr still in der Stadt, nur ab und zu die üblichen Sondereinsätze im Stadion vom SC.«

      Kleekamp lachte bitter auf. »In welcher Liga spielen die momentan überhaupt? Erste, zweite, oder dritte?« Er war kein Fußballfan und interessierte sich daher auch nicht für die heimische Bundesligamannschaft.

      Natalie lachte ebenfalls. »Wenn die gegen die Bayern spielen, muss es ja wohl die erste Liga sein.« Dann wurde sie ganz plötzlich ernst. »Vor ein paar Tagen habe ich etwas Schlimmes erlebt.«

      Ihre Stimme klang plötzlich so betrübt, dass Kleekamp sie erschrocken anblickte.

      »Wir hatten einen Unfall. Ein dreizehnjähriger Junge ist von einem rechtsabbiegenden Laster erfasst und getötet worden.« Sie schlang die Arme um ihren Oberkörper und schüttelte sich, als ihr die Erinnerung kalte Scheuer über den Rücken laufen ließ. »Fürchterlich«, hauchte sie.

      Kleekamp hatte in seinen Dienstjahren bei der Polizei schon so viel erlebt, dass ihn so etwas kaum noch schocken konnte. Was ihn jedoch berührte, war die Tatsache, wie emotional Natalie darauf reagierte. Wenn man nicht so zynisch und misanthropisch eingestellt war wie er, dann ging einem der Tod eines jungen Menschen immer noch nahe. »Tja, die Problematik mit dem toten Winkel kennen wir ja schon lange«, versuchte er das Gespräch auf eine sachliche Ebene zu lenken.

      Natalie schien noch nicht dazu bereit zu sein. »Thomas hat den Unfall aufgenommen. Ich musste nur die Unfallstelle absichern und zum Glück die Todesnachricht nicht überbringen. Auch das hat er gemacht.«

      Kleekamp blickte zu Boden und nickte dabei. Thomas Golzig war ihr Dienstgruppenleiter. Bei dem Fall hatte er also gleich zweimal ins Klo gegriffen. Erst die Unfallaufnahme, dann das Überbringen der Todesnachricht. Das war eine der undankbarsten Aufgaben bei der Polizei.

      »Willst du einen Kaffee?«, fragte er, um von diesem beschissenen Thema wegzukommen.

      Natalie seufzte noch einmal, drückte dann die Schultern durch und sah sich in der Küche um. »Wenn du in diesem Chaos noch Kaffee findest, gerne. Ansonsten lade ich dich zum Bäcker an der Ecke ein. Aber nur unter einer Voraussetzung.«

      »Und die wäre?«

      Natalie sah ihn und fing dann an zu lachen. »Dass du dir vorher was anderes anziehst!«

      »Wieso, was gefällt dir denn an meinem Outfit nicht?« Er sah grinsend an sich hinunter. »In so einem Unterhemd hat Bruce Willis doch mal Karriere gemacht.«

      »Wäre es nicht so dreckig, fände ich es ja auch ganz okay, denn du bist ja so gekleidet wie immer: einfach, aber geschmacklos.«

      Kleekamp sah sie mit gespielt empörten Gesichtsausdruck an. »Na, hör mal, was fällt dir denn ein? Das ist …«

      »Ich weiß, das ist dein Spruch«, fiel ihm Natalie ins Wort. »Aber nun komm endlich auf die Hufe, ich habe nämlich Durst auf Kaffee.« Sie schüttelte den Kopf, ging hinüber zum Fenster und schloss es wieder.

      Kapitel 4

      »Hey, Alda! Noch ’nen Hörnertee?« Sven Bohmert hielt die Flasche mit dem Hirschkopf auf dem Etikett hoch und stierte seinen Kumpel Markus Winter dabei aus geröteten Augen an.

      Der rülpste vernehmlich und schüttelte dann den Kopf. »Nee, danke. Ich muss morgen früh raus. Um sechs Uhr geht der Wecker.« Als er auf seine Armbanduhr schaute, erschrak er und schnaufte erschöpft. Viertel nach zwei. Wenn er es jetzt schaffte, hier zügig die Kurve zu kratzen, bekäme er mit viel Glück vielleicht noch drei Stunden Schlaf.

      »Melanie will morgen Nachmittag nach Bielefeld ins LOOM zum Shoppen, und ich habe ihr versprochen, dass ich sie hinfahre.« Mit taumelndem Kopf grinste er seinen Kumpel an. »Und Frauen soll man ja nichts versprechen, was man nicht halten kann.«

      Sven schnaufte missbilligend. »Frauen ja, aber doch nicht der Schlampe!«

      »Moment mal!« Markus glaubte, sich verhört zu haben. »Was hast du gerade gesagt? Melanie ist eine Schlampe?«

      Sven kippte den nächsten Schnaps runter. »Hast richtig gehört. Das weiß doch jeder, nur du anscheinend nicht.«

      Markus sprang so abrupt auf, dass der kleine Gartentisch ins Schwanken geriet und Bierflaschen und Gläser umstürzten. »Sag das noch mal und ich hau dir eine rein, du Arschloch!«, fauchte er seinen Kumpel an. Er nahm eine drohende Haltung ein und sein Gesicht wurde zornesrot.

      Sven blieb gelassen. Ihn schien dieser Ausbruch entweder nicht zu beeindrucken oder aber er konnte die aufkommende Gefahr aufgrund seines Alkoholkonsums nicht richtig einschätzen. »Mensch, Alter, reg dich doch nicht so auf. Die Kuh vögelt doch mit jedem rum, der nicht bei drei auf dem Baum ist.« Unter alkoholschweren Lidern schaute er zu seinem Freund hoch.

      Statt einer Antwort stürzte der sich auf ihn und die beiden kippten mitsamt Svens Stuhl nach hinten. »Komm mit raus! Dann schlage ich dir deine dumme Fresse ein«, schrie Markus mit Schaum vor dem Mund. »Los, du feige Sau, steh auf und wiederhol dann noch mal, was du gerade gesagt hast.«

      Markus hatte sich aufgerappelt und ein paar Schritte zur Tür neben dem Rolltor gemacht. Hier in der ehemaligen Lkw-Werkstatt trafen sich die beiden Freunde regelmäßig, um nun an klapprigen Autos zu schrauben. Meist endeten diese Schraubertreffen allerdings erst in den frühen Morgenstunden und selten nüchtern, also genau wie heute.

      Eigentlich waren die beiden wirkliche Freunde, aber seit Markus sich in Melanie verguckt hatte, war er bei diesem Thema sehr dünnhäutig. Dabei hatte er früher über jede lockere und freizügigere Frau heftig hergezogen. Obwohl seine Melanie sehr locker und sehr freizügig war, so stand sie für ihn doch plötzlich über allen anderen und jede Kritik an ihr war so etwas wie eine Gotteslästerung. Wäre er nüchtern gewesen und hätte ein paar Minuten nachgedacht, dann hätte er sich eingestehen müssen, dass sein Kumpel nicht ganz Unrecht hatte. Melanie legte in Bezug auf Sex tatsächlich mehr Wert auf Quantität, als auf Qualität. Doch voll mit Bier und hochprozentigem Kräuterschnaps war er weder in der Lage, das alles sachlich zu sehen, noch sich zu beherrschen.

      »Was ist nun, du Spacke?« Er öffnete die Tür und wankte in die Einfahrt. Seine Wut steigerte sich noch, als er sah, dass er sich bei dem Sturz die Hose aufgerissen hatte.

      Sein Kumpel Sven, ebenfalls auf die Beine gekommen, torkelte soeben hinter ihm aus der Werkstatt. »Mensch, hör doch mal zu …«, setzte er an, kam aber nicht weiter, weil Markus ihm mit dem Edelstahlrohr in den Magen schlug, mit dem sie normalerweise das große Tor offen hielten.