In seinem Rücken war ein dunkler blutiger Fleck.
Wyatt Earp wandte sich ab. Auf einer Stuhllehne hing eine Jacke, an deren linker Seite er einen großen sechszackigen Stern entdeckte.
Das Zündholz verlosch.
Holliday hatte in der Tür gestanden. Er kam jetzt näher und kniete neben dem Mann am Boden nieder.
Das Licht, das durch die Fenster fiel, war noch zu schwach, als daß er genaues hätte erkennen können. Deshalb riß der Marshal für ihn noch ein viertes Zündholz an.
Doc Holliday schüttelte sofort den Kopf.
»Er ist tot.« Er stand auf.
Die beiden verließen das Haus. Noch ahnten sie nicht, daß im Nebenhaus der Tod ein zweites Opfer geholt hatte.
Die Stadt erwachte.
Aus den Kaminen stieg lotrecht der Rauch von Holzfeuern in den unschuldigen Dezemberhimmel.
Wyatt Earp und Doc Holliday brachten ihre Pferde in einen kleinen Mietstall, der schräg gegenüber vom Office lag, und gingen auf ein Boardinghouse zu.
Ein Neger kam ihnen auf dem Vorbau entgegen.
»Sie suchen Quartier?« fragte er.
»Ja«, entgegnete der Marshal.
»Das Boardinghouse ist geschlossen. Sie müssen drüben ins Hotel gehen. Da ist es zwar teuer, aber sonst bekommen Sie nirgends Quartier.«
Das Grand Hotel von Fairbanks hatte unten zwei Fenster und oben zwei Fenster. Die oberen Fenster allerdings waren nur auf das Holz aufgemalt.
Eine alte Frau kam schlurfend an die Tür und öffnete mit mürrischem Gesicht.
»Was wollen Sie?« krächzte sie.
Unwillig knurrte der Georgier: »Wir wollen Ihnen Knöpfe verkaufen, Madam.«
»Was wollen Sie?« wiederholte die Alte.
»Zwei Zimmer«, entgegnete der Marshal.
»Zwei Zimmer? Ja, kommen Sie rein. Wir haben gerade noch zwei Zimmer frei.«
Das ganze Hotel hatte insgesamt drei Zimmer. Und in dem einen war ein Bekannter der Familie Miller, der das Hotel gehörte, untergebracht.
Die beiden Dodger legten sich zur Ruhe.
Als sie erwachten, fiel das trübe Mittagslicht durch die Fenster.
Wyatt Earp stand auf, wusch sich und rasierte sich. Als er auf den Korridor hinaustrat, kam ihm der Georgier schon entgegen.
»Scheußlicher Laden. Der Brandy schmeckt wie Brackwasser. Den Kaffee hier will ich gar nicht erst probieren.«
»Vielleicht können wir irgendwo anders frühstücken.«
Da trat ihnen die Alte aus der Küche entgegen.
»Zweimal Frühstück?« krächzte sie.
Der Georgier schüttelte den Kopf. »Nein, wir sind Vegetarier.«
Die Alte kniff das linke Auge ein und zog den linken Mundwinkel hoch, so daß man keinen Finger mehr dazwischen gebracht hätte.
»Was sind Sie?«
»Vege… Ach«, der Georgier winkte ab, »wir haben keinen Hunger, Madam.«
»Ach so. Egal, bezahlen müssen Sie es trotzdem.«
Holliday blieb vor ihr stehen. »Wo wohnt der Mayor?«
»Der Mayor? Mein Sohn ist der Mayor.«
»Wo wohnt er?«
»Hier, er schläft noch. Sie können jetzt nicht mit ihm sprechen.«
»Wecken Sie ihn«, sagte der Marshal.
»Das geht nicht«, keifte die Alte. »Was bilden Sie sich ein? Mein Sohn hat keine Zeit, mit Ihnen zu sprechen. Er ruht sich aus. Schließlich ist er der Bürgermeister.«
»Ja, das ist bestimmt ein Grund, sich auszuruhen«, spöttelte der Georgier.
Die Frau warf den Kopf herum und riß ihn hoch, um den Spieler anzugiften: »Ich habe Ihnen gesagt, daß mein Sohn keine Zeit hat. Er schläft.«
»Ja, ja, das haben Sie gesagt. Trotzdem werden Sie ihn jetzt wecken. Dieser Mann da ist Wyatt Earp, Marshal Earp, haben Sie verstanden! Er hat mit Ihrem Sohn zu sprechen. Wecken Sie ihn, sonst wecke ich ihn.«
»Wyatt Earp?« Wieder flog der graue Kopf der Alten herum. Musternd huschten ihre Rattenaugen über die Gestalt des Marshals. »Sie sind Wyatt Earp?«
»Ja, bitte, wecken Sie jetzt den Mayor.«
Die Frau nickte und schlurfte die Treppe hinauf, wobei sie unablässig vor sich hin murmelte.
»Wyatt Earp, um Himmels willen, Wyatt Earp ist in der Stadt!«
Dann hörte man sie oben im Flur laut rufen:
»Greg! Greg, steh auf, Wyatt Earp ist hier, Greg, du mußt aufstehen. Wyatt Earp ist in der Stadt. Ja, ja, Wyatt Earp! Steh auf, gleich mußt du aufstehen. Er ist mit noch einem Mann hier. Sie sind ungeduldig. Steh auf, Wyatt Earp ist da!«
Doc Holliday sog geräuschvoll die Luft ein und nahm eine zweite Zigarette aus seiner Reservetasche, die ebenso feucht und zerdrückt war wie die erste.
Wyatt Earp sah ihn an.
»Ist Ihr Etui leer?«
»Ja, leider habe ich die beiden hier oben in der Tasche stecken gehabt. Sie sind hinüber.«
»Vielleicht könnte man sie drinnen am Ofen trocknen.«
Holliday warf einen Blick durch die halboffenstehende Küchentür. »Nein, wenn ich an den Brandy denke, dann verzichte ich darauf, die Küche zu betreten.«
Die Alte kam die Treppe heruntergestampft und rief ihnen schon vom letzten Podest entgegen: »Mein Sohn kommt sofort! Der Mayor kommt!«
»Ja, ja, schon gut.«
Sie öffnete die Tür zum Speiseraum und ließ die beiden eintreten. Der Raum war kalt, und den beiden schlug ein muffiger Geruch von Essen und Bier entgegen.
Sie blieben neben der Theke stehen.
Schlurfend folgte ihnen die Alte, nahm hinter der Theke Aufstellung und blickte sie auffordernd an.
»Noch einen Brandy?« meinte sie.
Doc Holliday hob den Zeigefinger der rechten Hand und bewegte ihn hin und her. »Ää.«
»Vielleicht einen Whisky? Er ist noch besser.«
»Noch besser?« wiederholte der Spieler. »Nein, dann ist er zu gut für uns.«
Ungerührt kehrte er der Alten den Rücken zu und lehnte sich gegen die Theke.
Wyatt Earp warf einen Blick auf das Zifferblatt der großen Wanduhr.
Da endlich wurden im Treppenhaus schlurfende Schritte laut.
Und als die Tür geöffnet wurde, sahen sie einen kleinen dicklichen Mann in den fünfziger Jahren auftauchen, der seine Jacke gerade anzog und keuchend näher kam. Aus seinem kragenlosen Hemd blickte ein faltiger Hals, der mit silbergrauen Bartstoppeln bedeckt war wie ein Kaktusfeld.
Der Mann hatte ein schwammiges, müdes Gesicht und kleine Augen, unter denen dicke Tränensäcke hingen.
Ein unangenehmer Geruch machte sich bemerkbar, als er vor den beiden Männern stand.
»Ich bin Mayor Howley. Ich hörte, Sie sind Wyatt Earp?«
»Ja.«
»Sie haben mich gesucht?«
»Ja. Wir sind im Morgengrauen in die Stadt gekommen