Weil du mich wärmst. Elle Brownlee. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elle Brownlee
Издательство: Bookwire
Серия: BELOVED
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958238602
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er auf die Zeitung, ohne die Worte zu verarbeiten, und fragte sich, was Dan verbarg und wofür er wirklich in den Ort gekommen war.

      ***

      Dan zog die Schultern hoch und den Kragen des Kapuzenpullis über die Nase. Er roch angenehm – frisch und würzig, wie das Zimmer, das er bewohnte. Wie Karl.

      Er brummte und stellte sich unter das Dach des nächsten Eckgebäudes. Die Mitfahrgelegenheit hierher und zur Station zurück gab ihm viel mehr Zeit. Er war dankbar dafür und auch für den Pulli und die trockenen Socken. Er beobachtete, wie Karl ins Postamt schlüpfte, und hasste es, wie sehr er ihn mögen könnte, wenn er Gelegenheit dazu hätte.

      Dan prüfte den Kompass auf seiner Uhr, um sich zu orientieren, und begann, in westlicher Richtung aus dem Ort hinauszujoggen.

      Eider war nicht mehr als eine kleine Ansammlung von Wohngebäuden an einer Kreuzung. Bald hatte er den Ort hinter sich gelassen und rannte an größeren, weiter auseinanderliegenden und überwucherten Grundstücken mit alten Wohnmobilen, Anhängern, Blockhütten und einigen Ferienhäusern vorbei. Am Fuß eines Hügels fand er das beschriebene Kühlhaus neben der Straße, wandte sich nach Norden und erklomm eine Steigung.

      Er übersah die Hütte und rannte eine Viertelmeile weiter in eine Sackgasse, bevor er etwas merkte. Er bremste ab, rannte zurück und suchte nach der Einfahrt. Schließlich fiel ihm das verzogene Sperrholz, das aus dem Unkraut am Straßenrand herausragte, auf und dahinter versteckte sich etwas unter dem Dornengestrüpp und Efeu, das wie ein Haus aussah.

      Die Sperrholzplatte führte über einen Metallabzugskanal auf einen schmalen Pfad. Dan arbeitete sich durch eine dornige Stelle, testete das freiliegende Holz der Veranda mit einem Fuß, um sicherzugehen, dass es ihn trug, und versuchte, den Schlüssel in das Vorhängeschloss an der Tür zu stecken. Er passte nicht. Der Schock erschütterte ihn körperlich und er trat zurück. Er musterte die Hütte, kehrte zur Straße zurück, um sie von oben bis unten zu betrachten, und prüfte seine Koordinaten.

      Es war die richtige Hütte. Sie musste es sein.

      Dan dachte über seine Optionen nach, schob sich erneut durch die Dornen und stieg wieder auf die Veranda. Er nahm Anlauf und trat die Tür ein. Das Vorhängeschloss hielt, aber der klapprige Türrahmen gab nach. Stickige, faulige Luft wehte ihm entgegen – Tiergeruch, moderndes Holz und irgendetwas Chemisches – und er würgte. Er blieb auf der Veranda stehen, um wieder zu Atem zu kommen, dann zog er den Pulli über die Nase hoch und trat ein.

      Ich habe eine Hütte im Wald. Du würdest es hier lieben.

      Mit Axes Stimme im Ohr ging Dan einmal durch den Innenraum. Nachdem Axe von zu Hause ausgezogen war, hatten sie nicht mehr viel geredet und noch weniger, als Axe nach Alaska versetzt worden war, aber die Hütte war eine so große Sache für ihn gewesen, dass er sie früh erwähnt hatte. Er hatte Dan die Koordinaten geschickt und gesagt, er sollte sie sich über Satellit ansehen, hatte mit der Aussicht und dem nahen Fluss geprahlt und damit, dass er von der Veranda aus Bären und Wölfe beobachten konnte. Dieser schäbige und armselige Ort war nicht gerade das, was Dan erwartet hatte.

      Hatte Axe sie in diesem Zustand gekauft, aber nie Gelegenheit gehabt, sie zu renovieren? Konnte sie in den wenigen Wochen seit Axes Tod verfallen sein? Hatte Axe ein solches Leben gewählt? Dan wusste es nicht. Hier in der Wildnis schien alles möglich.

      Er aktivierte die Taschenlampe seines Handys und leuchtete durch den Raum, ignorierte jedoch das leise Rascheln. Abgesehen davon, wie verfallen es war, sprang ihm nichts ins Auge. Er ging die ganze Hütte ab, wippte hier und dort auf den Dielen, fand jedoch keine Verstecke darunter. Die Rundholzwände waren robust und der einzelne Schrank war leer und hatte keine falschen Böden oder Geheimfächer, soweit er erkennen konnte.

      Dan öffnete die Hintertür und schloss sie wieder. Etwa drei Meter hinter der Hütte fiel der Hang abrupt ab und davor war lediglich noch mehr dichtes, böses Dornengestrüpp.

      Er suchte unter der Veranda, fand nichts und gab dann sein Bestes, die Seitenwände der Hütte zu überprüfen. Eine Seite war fast komplett von einer hässlichen, giftig aussehenden Pflanze mit glänzenden, rotbraunen Blättern verdeckt. Auf der anderen Seite gab es einen Schornstein, den er von innen nicht gesehen hatte. Er hatte sich von der Wand gelöst und neigte sich gefährlich auf eine Seite. Das Loch, das davon zurückgeblieben war, war mit Brettern vernagelt und das Dach mit Wellblech geflickt.

      Keiner der Steine wackelte oder ließ sich herausziehen, aber der Schornstein selbst wirkte nicht gerade stabil, also tastete er das Fundament ab und bekam doch nichts außer schlammiger Knie und dreckiger Hände.

      Dan seufzte frustriert und kramte den Zettel aus seiner Tasche.

      Wenn du je hier heraufkommst, um deinen dummen großen Bruder zu sehen, wirst du das brauchen.

      Die kryptischen Worte und der Schlüssel, um die sie gewickelt gewesen waren, waren alles, was er hatte – das und ihre Gespräche über die Hütte. Dan war sich sicher, dass beides zusammengehörte.

      Als Kind hatte Dan Axe verehrt. Er war zehn Jahre älter und immer so stark und schnell und cool gewesen. Axe hatte einen anderen Vater, aber keiner ihrer Väter war bei ihnen geblieben. Da ihre Mutter sich kaum für sie interessierte, war Axe Dans ganze Welt gewesen. Er hatte ihm Schwimmen und Surfen beigebracht und wie man zu einem Mann heranwuchs, zumindest versuchte er es so gut, wie ein Teenager das konnte. Aber zehn Jahre Altersunterschied waren zu einer Kluft zwischen ihnen geworden, als sie zehn und zwanzig gewesen waren und Axe der Küstenwache beigetreten war. Danach war er aus Dans Leben verschwunden.

      Dan war ihm wieder gefolgt und am Tag seines Schulabschlusses zur Küstenwache gegangen. Aber er hatte es ebenso für sich selbst gewollt, wie er seinem älteren Bruder hatte nachfolgen wollen. Er liebte das Wasser und das Schwimmen, den Rausch der Rettung. Eine Karriere und seine Zukunft darauf aufzubauen, ergab einfach Sinn. Er hatte geschuftet, um in allem die besten Noten und Zeugnisse zu bekommen, hatte seine erste Dienstperiode in Kalifornien absolviert und sich Hawaii zum Ziel gesetzt.

      Das hatte er aufgegeben, als Axe für tot erklärt worden war. Es war leicht gewesen, nach Alaska versetzt zu werden, da es nicht gerade eine gefragte Station war. Alles andere hingegen war weniger leicht. Mehr Fragen zu finden als Antworten, verlangsamte seine Nachforschungen nur, aber es würde ihn nicht davon abbringen.

      Dan musste herausfinden, was passiert war. Er konnte nicht akzeptieren, dass ein so guter und erfahrener Schwimmer wie Axe ohne jede Spur verschwunden war. Entweder war Axe gar nicht auf See verschollen oder es war komplizierter als das. Sie hatten sich im Laufe der Jahre vielleicht auseinandergelebt, aber manche Dinge wussten Brüder einfach voneinander.

      Es war eine dumme Idee, in den Spalt zwischen Schornstein und Wand zu klettern, trotzdem stieg er natürlich sofort hoch.

      Auch nichts. Nichts unter dem schleimigen Plastikdach, nichts in den Löchern, die die Spechte in dichten Linienmustern in die Holzwand gebohrt hatten. Er änderte seinen Griff, um sich umzudrehen und wieder herunterzuklettern, und musste sich schwer gegen die Wand lehnen. Er ahnte den Fall, bevor er tatsächlich geschah.

      Holz ächzte und splitterte und Dan ruderte mit den Armen. Er landete hart auf dem Rücken, der Atem wurde aus seinen Lungen gepresst und Dunkelheit waberte in seinem Sichtfeld auf. Er sog Luft ein und versuchte, die Wand wegzuschieben, die ihn gefangenhielt. Aber es war zu schwer, zu eng.

      Die Dunkelheit kam näher und schwächte ihn. Er schloss die Augen, nur eine Minute lang, um neue Kraft zu sammeln, kam allerdings wieder zu sich, als etwas anderes neben ihm krachte.

      Er stellte sich vor, was passieren würde, wenn der Schornstein nachgab und der Wand folgte. Dann malte er sich aus, wie er durch den morschen Boden stürzte, Tetanus bekam oder sich ein Bein brach und zusammen mit allem anderen dalag und verrottete.

      Er kam zu Atem und schaffte es, ein Bein unter den Trümmern der Wand hervorzuziehen. Er zog das Knie an, stellte den Fuß auf die Bretter und schob. Dann kroch er rückwärts, so schnell er konnte. Die Bretter hoben sich weit genug, dass er sich befreien konnte, und krachten wenige Zentimeter neben ihm wieder herab. Helle Punkte blinkten in seinem Sichtfeld