Weil du mich wärmst. Elle Brownlee. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elle Brownlee
Издательство: Bookwire
Серия: BELOVED
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958238602
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von der Tür ab. Es war eine schlechte Entscheidung, herumzuschnüffeln, aber er beschloss, Radins Abwesenheit zu nutzen und den Rest hinter sich zu bringen.

      Drei Poster von Ansel Adams dominierten die Wand auf Radins Seite: schlichte, schwarz weiße Landschaften von Bergen, Eis und Flüssen. Sie gefielen Dan und es gefiel ihm auch, dass Radin den Raum ziemlich spartanisch gehalten hatte. Doch das bedeutete nur, dass sie beide Schnickschnack ablehnten und die Natur mochten. An den hohen, schmalen Fenstern hingen keine Vorhänge, aber die dunkelgraue Wandfarbe war nicht schlecht.

      Regen prasselte gegen die Metallfassade, ließ die Aussicht verschwimmen und der Donner war so mächtig, dass das Gebäude darunter erbebte. Dan schaltete das Deckenlicht ein, als der Sturm den Raum verdüsterte. Was für ein Start für eine ohnehin düstere Aufgabe.

      Er sah die Kommode und dann den Kleiderschrank durch und fand wie erwartet Socken, Thermowäsche und perfekt gebügelte Uniformen. Dann hockte er sich vor das Schließfach. Eine Wolke Zedernduft stieg von den an den Deckel geklebten Säckchen und den großen Holzkugeln in den Ecken auf. Dan klopfte den Inhalt des Schließfachs ab – Wolldecken, ein Parka, ein leerer Rucksack – und genoss den kribbeligen, sauberen Geruch. Aber nichts davon nützte ihm etwas, also schloss er das Fach wieder und lugte unter das Bett. Zwei durchsichtige Plastikboxen und Schuhe. In den Boxen waren Notizbücher und Papiere über verschiedene Vorfälle, die datiert und archiviert waren, aber keine von dem Tag, den Dan suchte.

      Er brummte und kam vorsichtig auf die Füße, um das perfekt gemachte Bett nicht durcheinanderzubringen.

      Bestimmungsbücher und ein Glossar für Signalflaggen füllten das kleine Bücherregal auf dem Schreibtisch. Er fuhr mit einem Finger über die abgenutzten Buchrücken und seufzte. Nicht ein Krimi oder Science-Fiction-Roman war darunter. Die Schubladen im Tisch stellten sich als interessanter heraus. Die untere war voll mit Schokoladenriegel-Familienpackungen, aber Dan hielt sich davon ab, einen Riegel zu nehmen. In der obersten Lade waren neuere Akten und in der mittleren ein überraschendes Chaos aus Bleistiften, Kulis, leeren Riegelverpackungen, einem E-Reader mitsamt verdrehtem Kabel und einem handgroßen, schlichten schwarzen Notizbuch.

      Dan setzte sich, zog das Gummiband vom Notizbuch und blätterte es durch. Radin machte sich knappe Notizen zu jedem Tag sowie den Wetterbedingungen und fügte winzige Illustrationen hinzu wie eine Sonne, die hinter den Wolken hervorlugte, oder ein Blitz mit Regentropfen. Es gab einige andere Symbole, die er nicht deuten konnte. Sie variierten von Tag zu Tag, wiederholten sich aber im Lauf der Wochen.

      Er las mehrere Seiten, ohne nachzudenken, und hielt dann inne. Es war lächerlich, sich zu fühlen, als würde er herumschnüffeln, denn genau das war ja sein Ziel, aber er schloss trotzdem das Buch, zog das Gummiband wieder darum und legte es in die Lade zurück.

      Vielleicht hatte Radin irgendwo einen Lagerraum, aber Dan fand keine Schlüssel oder Rechnungen dafür. Er würde heute ohnehin keine Zeit für einen Ausflug haben.

      Er seufzte und schob die Lade zu, bevor er aufstand. Die Schlagzeile fiel ihm wieder ins Auge und dröhnte in seinem Kopf wie ein Signalhorn oder ein geflüsterter Fluch.

      Rettungsschwimmer auf See verschollen, tot geglaubt.

      Dan legte eine Hand auf die Überschrift, schloss die Augen und schwor sich erneut, herauszufinden, warum.

      Kapitel 2

      Karl erwachte zu dem beruhigenden, stetigen Geräusch des Meeres. Der Sturm war vorbei und das andere Bett war leer. Er rieb sich die Augen und setzte sich auf. Dann schwang er die Füße auf den Boden und lehnte sich vor, bevor er ins Bett zurücksinken konnte. Es war wenige Minuten nach fünf, der Himmel noch kaum hell und seine Gedanken krochen widerwillig dahin.

      Er hasste frühe Morgen.

      Er blinzelte in den Gang, schaltete dort das Licht ein und zog sich in seinem halbdunklen Zimmer an. Wenn nicht die ordentlich ausgepackten Habseligkeiten gewesen wären, wäre er überzeugt gewesen, dass Farnsworth – Dan, dachte er ungebeten, Dan gefiel ihm besser – lediglich seiner Vorstellungskraft entsprungen war.

      Nach seinem hastigen Rückzug in die Dusche hatten sie nicht viel voneinander gesehen. Karl war in ein stilles Zimmer zurückgekehrt. Er hatte sich angezogen, seine restlichen Aufgaben des Tages erledigt und zum Abschluss mit Lang und Scobey zu Abend gegessen. Von Dan hatte jede Spur gefehlt, offenbar hatte er eine umfangreiche Führung durch die Station bekommen. Karl war ins Bett gegangen und eingeschlafen, bevor Dan zurück gewesen war, und danach hatte er nichts mehr gehört, was untypisch für ihn war.

      Sein Blick huschte über den Zeitungsausschnitt, der an der Pinnwand hing, und er runzelte die Stirn. Für ihn war er eine Warnung und er fragte sich, warum Dan ihn gestern so eingehend angestarrt hatte.

      In der Station herrschte rege Betriebsamkeit und er mied Blickkontakt und Begrüßungen, während er durch den Gang zur Messe schlurfte. Er konnte in seinem Zimmer Kaffee kochen, aber wozu sich die Mühe machen? Irgendjemand hatte bestimmt eine Kanne aufgesetzt und er war nicht wählerisch. Er füllte eine Tasse, nahm sich eine Banane, hielt auf den hinteren Tisch zu und fühlte sich allmählich funktionsfähig, während er beides verdrückte.

      Der neue Wochenddienstplan hing an einem riesigen Whiteboard an der Wand gegenüber. Er hatte erst in ein paar Stunden Dienst, genau wie Farnsworth. Jameson hatte es für angemessen erachtet, ihnen diese Woche dieselben Zeiten zu geben. An sich war das eine gute Idee, da sie sich ja kennenlernen mussten, wenn sie zusammenarbeiten sollten. Das bedeutete aber nicht, dass sie Freunde werden mussten.

      Karl wusch seine Kaffeetasse und vermied es sorgfältig, an Dan zu denken.

      »Und? Immer noch Angst vor dem Neuen, hm?«

      Karl stellte die Tasse auf das Abtropfgestell, drehte sich um und lehnte sich an die Theke. »Was?«

      Jenkins grinste breit und besserwisserisch, denn mit seinem spitzen, dunklen Haaransatz und den tiefliegenden Augen sah er ohnehin wie ein Klugscheißer aus. Und er verhielt sich auch wie einer. »Worth.«

      »Worth?«

      »Ja, Farnsworth. Hast du ihn gesehen? Ich nicht.«

      »Ja, und?« Karl beäugte die Tasse, die auf dem Gestell tropfte. Er nahm sie und schenkte sich neuen Kaffee ein.

      »Na, er versteckt sich schon seit einer Stunde. Wir dachten alle, na, du weißt schon.«

      Karl trank den Kaffee halb aus und sagte mit einem entnervten Seufzer: »Nein, weiß ich nicht.« Er starrte Jenkins finster an und machte eine Fahr fort-Handbewegung. »Wohin ist er verschwunden?«

      »Er ist in den Ort gerannt – und das meine ich wörtlich.«

      Heber kam zur Kochnische und bereitete sich Pfefferminztee in seiner allgegenwärtigen Reisetasse zu. Für Karl sah er immer aus wie zwölf – groß, kräftig, blond und blauäugig. Hinter seiner lockeren Ausstrahlung verbarg sich stählerne Entschlossenheit und das Können, alle unter seiner Obhut am Leben zu halten.

      »Gott, Jenks, du bist so ein Klugscheißer. Du weißt, dass Radin um diese Uhrzeit keine zwei funktionierenden Gehirnzellen hat.« Heber nickte Karl zu. »Worth ist vor einer Stunde hergekommen und hat nach dem besten Weg in den Ort gefragt. Ich hab ihn beschrieben und bevor wir uns versehen haben, war er zur Tür raus und am Joggen. Ich hab ihm nachgerufen, dass ich bald dienstfrei hätte, falls er einen Fahrer bräuchte, aber er hat gewunken und ist einfach weitergelaufen.«

      »Ah. Damit habe ich nichts zu tun.« Karls Finger kribbelten durch den inneren Drang, seine Schlüssel zu nehmen und ihm nachzufahren. »Danke.«

      »Ich achte nur auf eure Gesundheit.« Heber sah auf seine Uhr. »Aber in drei Stunden bin ich nicht länger der diensthabende Sanitäter, also komm nicht zu mir, wenn du Hilfe brauchst.«

      Karl schnaubte und trank seinen Kaffee aus.

      »Was hältst du von unserem neuen Superschwimmer?«, fragte Jenkins ernst.

      »Wahrscheinlich ist er besser als du, aber das ist ja nicht schwer. Wir werden sehen.« Karl wusch die Tasse noch