Auf der Flucht - mein Leben als Hells Angel. Jørn Nielsen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jørn Nielsen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Философия
Год издания: 0
isbn: 9788711524268
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lief ich im lokalen Supermarkt Mogens Kløvedal und seiner Freundin in die Arme. Obwohl wir uns fast gegenüber standen und uns erst zwei Wochen vor dem Mord begegnet waren, erkannte er mich nicht. Und zwei Tage darauf stieß ich auf meinen alten Schulkameraden Ole Jacobsen. Es wurde fast zum Sport, und ich umkreiste ihn, um mein Schicksal herauszufordern. Ich nahm allerdings keinen Blickkontakt auf. Auch er erkannte mich nicht – nicht einmal, als ich ihn anstieß und »Verzeihung« sagte. Ich hätte mich eigentlich gern zu erkennen gegeben. Ole war ein lustiger Bursche und wir hätten sicher in unseren Ferien viel Spaß zusammen haben können.

      Langsam gewöhnte ich mich an die Vorstellung von sechzehn Jahren im Gefängnis. Es war keine lustige Aussicht, aber andererseits war mir der Tarif ja bekannt gewesen, als ich geschossen hatte. Die Brüder kamen zu Besuch und alles, was sie erzählen konnten, stellte klar, daß ein Freispruch die pure Utopie wäre. Sie erzählten, daß Ellis, ein früheres Mitglied, tot war. Er war ein erfahrener Fallschirmspringer gewesen und hatte in Paris an irgendeinem Schauspringen im Zusammenhang mit der Fußball-EM teilgenommen. Bei einem Gruppenspringen hatte er sich im Schirm eines anderen Springers verfangen. Er hatte seinen eigenen Schirm gekappt, und der Kollege hatte überlebt. Aber Ellis’ Reserveschirm hatte sich nicht geöffnet, und Ellis war auf dem Boden zerschellt.

      Der Krieg mit den Kuhfladen wurde zu diesem Zeitpunkt nur in der Presse ausgefochten. Seltsamerweise verdammten die Medien uns als zynische Mörder und abgestumpfte Gewaltverbrecher, zugleich aber geilten sie sich an uns auf. Jetzt muß Bullshit bald zuschlagen und In diesen Kreisen ist Rache eine Notwendigkeit, sonst macht man sich zum Spott und kann sein Patch auch gleich wegwerfen, schrieben sie.

      Obwohl ich mein Leben im Griff hatte, kamen noch immer diese Phasen der Langeweile. Damit jedoch war dann abrupt Schluß, als ein guter Freund zu Besuch kam. »Warum schreibst du kein Buch?« fragte er. Tja, warum eigentlich nicht? Wir diskutierten darüber, dann wechselten wir auf andere Themen über. Mein Freund begriff nicht, daß die Polizei sich keine größere Mühe gab, mich zu fangen. Man konnte zwar jeden Tag über Polizeieinsätze in Kinos und auf Fähren lesen, aber ihm kam das alles vor wie ein Schauspiel. Und einige meiner Brüder staunten auch darüber, wie halbherzig sie inzwischen beschattet wurden. Wenn die Polizei sich wirklich energisch darauf konzentriert hätte, Helle zu überwachen, dann hätten sie mich erwischt. Aber das wollten sie offenbar nicht. Wie mein Freund es ausdrückte: Wenn irgendein Streifenpolizist über mich gestolpert wäre, dann wäre er in den Norden Grönlands versetzt worden.

      Am nächsten Tag, als ich dann wieder allein war, fing ich an zu schreiben. Zuerst vorsichtig und ein wenig zögerlich. Es ging schließlich um mein Leben, und ich mußte mich zuerst an den Gedanken gewöhnen, daß eine Menge fremder Menschen mich kennenlernen würden. In der ersten Zeit machte ich nur Notizen. Ich schrieb alles auf, woran ich mich bei den verschiedenen Situationen erinnern konnte. Es war eine ganz neue Erfahrung, der letzte Rest Langeweile verdunstete wie Tau unter der Sonne. Und ich fuhr zum Supermarkt, um neues Papier zu kaufen.

      Vier Brüder wurden festgenommen und der Mithilfe zum Mord an Makrele bezichtigt. Ich wurde ebenfalls unter Anklage gestellt und in Abwesenheit zu Untersuchungshaft verurteilt. Die Festnahmen fanden im Flughafen von Kopenhagen statt, als Jens und Middelboe aus den USA zurückkehrten. Obwohl sie jedes Jahr in die USA fuhren, wurde diese Reise von Polizei und Presse gegen sie verwandt. Es hieß ganz offen, daß sie sich dort versteckt gehalten hätten. Die Festnahmen gehörten zur Geiseltaktik der Mordkommission, das stand für uns fest. Aber was wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wußten, war, daß sie einen Teil einer größeren Komplott-Theorie ausmachten, die die Polizei mit Hilfe ihrer Wanzen gerade zusammenschusterte. Auch Carlo und Gaukler wurden in den Knast gesteckt.

      Am selben Abend kam Helle mit zwei von meinen Brüdern. Wir gönnten uns ein Festmahl und amüsierten uns ein wenig über die Großkotzigkeit von Polizei und Presse. Die Polizei hatte, mit Hilfe der immer willigen Zeitungen, behauptet, einen vernichtenden Schlag gegen die Hells Angels ausgeführt zu haben. Was für eine Sesselfurzerei! Nicht zum ersten Mal versuchten sie, unseren Club mit Worten auszuradieren.

      Nach dem Essen fuhren die Brüder nach Hause, und Helle und ich waren uns selbst überlassen. Sie freute sich darüber, daß ich jetzt schrieb. Sie merkte, daß es mir gutging. Ich las ihr einen Abschnitt vor und mußte mir meine erste Kritik anhören.

      Ich wanderte los, um mir Brot zum Frühstück zu kaufen. Die Schlagzeilen leuchteten mir entgegen. Juden-David war verhaftet worden, weil er den Kastenwagen gekauft hatte. Wie Jens und Middelboe hatte er nichts mit dem Mord zu tun gehabt, aber der Autokauf ließ sich ja nicht leugnen. Middelboe hatte erzählt, wie David während einer Kartenpartie plötzlich das Auto im Fernsehen gesehen hatte. Vor Verblüffung wäre er fast zu Boden gegangen. Das hier war wirklich eine verdammte Scheiße!

      Wir kringelten uns vor Lachen. Wir lagen hinter dem Strand auf einem Erdwall und hatten eben erst ein Erdpfeifchen geraucht. Hinter uns lagen zwischen den Bäumen die Ferienhäuser, vor uns hatten wir Moor und Schilf. Weit draußen funkelte das Meer mit der Sonne um die Wette. Einer meiner Brüder wollte eine Woche bei mir verbringen und das genossen wir nun wirklich. Grund unserer Erheiterung waren Volmer Pedersens wiederholte Appelle in den Zeitungen: Ich sollte mich stellen. Melde dich, Jönke. Wir finden dich ja doch, du kannst dich nirgendwo verstecken. Schon möglich. Aber hier und jetzt war ich vierundzwanzig Jahre alt, und das wollte ich nun auskosten. Und zwar auf der richtigen Seite der Mauern. Es war ja auch keine Kleinigkeit, sich einfach zu stellen. Bei dem alten Vollnarr hörte es sich fast an, als ob ich nur eine Gardinenpredigt zu erwarten hätte. Pfui, schäm dich, Jönkelein, man darf doch die Leute nicht einfach mit Blei vollpumpen. Und dann vielleicht noch eine Ohrfeige.

      Am selben Tag, am späteren Nachmittag, tauchten die Besitzer des Sommerhauses auf. Ich saß am Eßtisch und machte Notizen für mein Buch, während mein Bruder ein Horn drehte. Er sah sie als erster. Plötzlich latschten sie über den Rasen vor der Terrasse. In aller Eile konnte Bruderherz die Wasserpfeife verstauen. Wir warfen die immer bereitliegenden Hemden über. Rannten aus dem Haus und sagten guten Tag. Das Paar auf dem Rasen, Leute mittleren Alters, stellte sich vor, und ich lud sie auf ein Glas Limonade ins Haus. Sie waren eben aus Island zurückgekehrt und wollten nur vorbeischauen, ob alles in Ordnung sei. Ich konnte merken, daß sie zufrieden waren. Das Haus war sauber und ordentlich und der Garten gepflegt. Ehe sie aufbrachen, verlängerte ich den Mietvertrag um zwei Wochen. Auf diese Weise hatte ich mehr Zeit, um den weiteren Verlauf meines Lebens zu planen.

      Helle hatte Urlaub. Sie traf ein mit Liebe, Koffern und einem Kanarienvogel. Jetzt wollten wir das Leben genießen. Sie hatte auch ihren kleinen Hund mitgebracht. Einen Cockerspaniel, den ich ihr geschenkt hatte. Nuggi war erst wenige Wochen alt und es machte uns viel Spaß, ihm zuzusehen. Das einzige Minus war, daß er überall Aufsehen erregte. Die Leute starrten ihn an und wollten ihm gleich den Kopf kraulen. Als wir eines Tages einkaufen waren, machte die Töle dann wirklich eine Szene. Nuggi saß in einem Einkaufswagen, während wir uns die Regale ansahen, und dann klemmte er sich zwischen den Gitterstäben die Schnauze ein. Meine Fresse, was hat er geheult. Der halbe Supermarkt kam angestürzt, die andere Hälfte begnügte sich damit, uns vorwurfsvoll anzusehen.

      Wir fuhren nach Asnæs, dem nächstgelegenen Ort. Zur Feier des Tages trug ich einen weißen Sommeranzug. Ich sah so ungefähr aus wie eine dänische Ausgabe von Don Johnson. Meine Frau war ebenfalls passend gekleidet, aber das war sie zum Glück ja immer. Nuggi war auch dabei und sorgte für Leben. Er genoß die viele Aufmerksamkeit, auf die wir lieber verzichtet hätten.

      Asnæs hatte ein kleines Einkaufszentrum. Wir kauften ein und aßen dann in einem kleinen Restaurant zu Mittag. Während wir spachtelten, wurde ich von einem alten Schulkameraden meines großen Bruders erkannt. Er sagte nichts, aber ich hörte einige Zeit später davon. Eine Woche zuvor war ich ebenfalls erkannt worden – bei einer Partie Minigolf. Von einem Barmann aus Gladsaxe. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich keine Angst vor einer Denunziation. Ich hatte nur wenige Feinde und viele Freunde. Trotzdem kam es ein wenig zu häufig vor. Dänemark war für mich zu klein. Meine Pläne, bis zum Ende des Sommers dort zu bleiben, konnte ich mir abschminken, meine Brüder forderten mich zum Aufbruch auf. Sie konnten die Vorstellung, mich so viele Jahre in einer Gefängniszelle sitzen zu sehen, nicht ertragen. Alle fanden, ich sollte verschwinden. Sie wollten der Geiseltaktik der Mordkommission nicht