Auf der Flucht - mein Leben als Hells Angel. Jørn Nielsen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jørn Nielsen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Философия
Год издания: 0
isbn: 9788711524268
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Aber sie konnten ja nicht wissen, daß dort ein Mann mit einer Maschinenpistole in einem harmlosen Lieferwagen wartete. Ich behielt sie aufmerksam im Auge, bis sie abbogen und verschwanden. Wieder allein.

      Und jetzt passierte etwas. Zuerst tauchte im Garten ein Hund auf, dann folgten Herr und Frau Makrele. Sie stritten sich. Ich trug die Maske. Ich hob die Stengun vom Boden. Sie war schußbereit. Der Hund wurde hinten ins Auto gesetzt. Gut! Damit war er aus dem Weg. Makreles Frau stieg ins Auto, und gleich darauf glitt Makrele hinter das Lenkrad. Ich wartete, bis er die Tür zugeschlagen hatte. Schaute nach hinten den Agerlandsvej entlang. Ich hatte keine Lust, vor einem Auto auf die Straße zu springen. Aber ich hatte freie Bahn, abgesehen von einem Radfahrer Ich riß die Schiebetür auf und sprang hinaus. Makreles Frau entdeckte mich als erste. Sie schrie und öffnete die Tür, um wegzulaufen. Makrele und ich schauten einander in die Augen. Er war wie gelähmt und bewegte sich nicht. Ich spürte, daß er mich erkannt hatte. Dann schrie er und versuchte, hinter seiner Frau herzulaufen. Das war die verkehrte Richtung, aber für einen unter Schock stehenden Mann die logischste – die Tür stand doch offen.

      Ich ging in die Knie und gab eine kurze Salve auf die Mitte und die rechte Seite des Führerhauses ab, um sie zu trennen. Das gelang mir. Makreles Frau stand zu diesem Zeitpunkt neben dem Auto und Makrele saß noch immer darin. Ich konnte ihn nicht sehen, während ich auf den VW zurannte. Mit einer kurzen Bewegung des Abzugshahns jagte ich noch eine Ladung Blei durch Scheinwerfer und Kotflügel. Sicherheitshalber. Er konnte unter dem Sitz doch eine Kanone liegen haben. Ich lief um die offene Tür herum. Er lag halb auf dem Sitz und halb auf dem Boden und streckte den Kopf aus der Türöffnung. Ich leerte die Maschinenpistole in ihn aus. Er bebte und war auf jeden Fall tot.

      Ein kurzer Blick über die Straße zeigte, daß die Witwe gerade in einen kleinen Wagen stieg. Ich lief zu meinem Lieferwagen zurück und warf die Stengun auf die Ladefläche. Wenn sie im Zweiten Weltkrieg ihre Wehrpflicht nicht abgedient hatte, dann doch auf jeden Fall jetzt. Her jetzt mit dem Rad und weg von hier!

      Am nächsten Tag ergingen die Zeitungen sich in den ungeheuerlichsten Schilderungen. »Von eiskaltem Mörder niedergemetzelt«, schrieb Ekstra Bladet – und das konnte man ihr wohl auch nicht übelnehmen. Auch wenn ich mich selber nicht so sah, dann traf das doch wohl in gewisser Weise zu. Die Zeitungen brachten Bilder der Autos im Agerlandsvej aus allen möglichen Winkeln. Und der Chef der Mordkommission hatte den Tatort höchstpersönlich aufgesucht: Das ist eine von einem überaus kaltblütigen und überaus geübten Maschinenpistolenschützen ausgeführte Liquidierung. Worauf die Zeitungen sich vor Begeisterung überschlugen. »Professioneller Schütze« und »sorgfältig geplante Liquidierung«. Wenn die gewußt hätten, wie wenig diese Liquidierung geplant gewesen war, dann hätten sie sich wegen dieses Textes die Haare gerauft. Ich las voller Zufriedenheit, daß Makreles Hund überlebt hatte. Die Perlen mußten ihm doch um die Ohren gepfiffen sein. In einem Punkt hatten die Zeitungen allerdings recht. Die Witwe war verschont worden. Es war zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt gewesen, sie ebenfalls zu töten. Sie war ein mieses Stück, und niemand in unseren Kreisen konnte sie ausstehen, aber es gab eben doch Grenzen. Und man bringt Leute nicht um, bloß weil man sie nicht leiden kann.

      Meine Beschreibung war überraschend zutreffend. Was Größe und Alter anging. Fünfundzwanzig Jahre. Tja, es waren nur noch zehn Tage bis zu meinem vierundzwanzigsten Geburtstag. Haare und Bart: Ich sah aus wie ein Wollknäuel, und allein das alles unter die Maske zu stopfen war ein Problem an sich gewesen. Den Zeitungen zufolge waren einzelne Haarsträhnen nicht dort geblieben, wo ich sie verstaut hatte. Also war eine neue Frisur angesagt.

      Helle stürzte sich mit Leib und Seele in dieses Projekt. Sie hatte schon lange wissen wollen, wie ihr Bekannter wirklich aussah. Mein Kumpel stand in der Badezimmertür und lächelte ebenfalls erwartungsvoll. Zuerst wurden die goldenen Lokken geopfert, dann mein wilder roter Bart. »Ach, was siehst du gut aus«, rief Helle. Ich schaute in den Spiegel. Immerhin hatte ich mich verändert.

      Ich blieb den ganzen Tag im Haus, und abends gingen wir dann los. Ich hatte von meinem Kumpel einige Klamotten geliehen und trug einen kleineren Koffer in der Hand. »Na, dann los, Jönke«, rief er hinter mir her.

      Helle und ich sahen aus wie jedes andere Paar. So, wie ich jetzt aussah, würden sie früh aufstehen müssen, um mich einbuchten zu können. Ich beschloß, für den Sommer zu bleiben. Das gute Wetter war der eine Grund, Helle der andere. Ich war einfach bis über sämtliche Ohren verliebt. Ihr gegenüber behauptete ich, mich bedeckt halten zu müssen, aber wirklich nicht derjenige zu sein, der Fischfresse umgelegt hatte. Trotzdem war sie leicht vergrätzt. Wir waren bis zum Mord so gut wie jeden Tag zusammengewesen. Und als sie dann endlich eines Tages nach Hause ging, um sich etwas Frisches zum Anziehen zu holen, passierte gleich alles Mögliche. Das mit dem Bedeckthalten fand sie auch nicht so toll. Jetzt sah ich endlich brauchbar aus, und da durfte sie mich nicht vorzeigen.

      Wir verbrachten einen netten Abend und eine nette Nacht bei einem mir bekannten Ehepaar. An Aufenthaltsorten fehlte es mir wirklich nicht. Wohin ich auch kam, überall wurde ich freundlich aufgenommen.

      Am folgenden Tag nahmen Helle und ich Abschied voneinander. Durch allerlei Kanäle hatten wir erfahren, daß die Polizei mit ihr reden wollte. Natürlich wünschten sie sich auch ein nettes Plauderstündchen mit mir, aber bis auf weiteres gaben sie das alles als pure Routine aus.

      Die Zeitungen schwelgten noch immer in phantastischen Geschichten. Offenbar vermißten die dänischen Kriminalredaktionen schmerzlich schwerere Kriminalität. Irgend etwas mit Mafia oder so. Meine Aktion mußte ihnen erscheinen wie ein Geschenk des Pressehimmels. Schakal angeheuert, um Makrele umzunieten konnte man lesen – und gleich nach der Untat sei der Killer ins Ausland geflohen. Wo er es sich vermutlich gutgehen ließ. Egal. Ich war kein bezahlter Killer, und im Ausland war ich auch nicht, aber ich ließ es mir gutgehen. Nachmittags ging ich mit meinem neuen Gastgeber zum Fußballspielen in einen in der Nähe gelegenen Park. Ich kannte mehrere von unseren Mitspielern, aber nur ein einziger bemerkte, daß hier wohl jemand beim Friseur gewesen war.

      Abends kam Middelboe zu Besuch. Er erzählte von den Aktivitäten der vergangenen Tage. Die Polizei hatte eine weitere Razzia im Club veranstaltet und Helle zur Vernehmung geholt. Sie war so grob in die Mangel genommen worden, wie das unseren Frauen immer passierte. Middelboe hatte zwei Brüdern von meiner Tat erzählt. Das war schon in Ordnung, sollte für sie später aber noch entscheidende Folgen haben. Die Polizei hatte in aller Heimlichkeit den Club verwanzt. Und die von Middelboe und den anderen aufgezeichneten Bemerkungen sollten interpretiert werden als Teilnahme an der Planung des Mordes.

      Seit dem Mord war jetzt eine Woche vergangen. Nach mir wurde immer energischer gefahndet, auch wenn die Polizei sich offiziell alle Mühe gab, um meine »Beliebtheit« zu unterdrücken. Ich hatte abermals meine Zelte abgebrochen und hauste jetzt im Herzen Kopenhagens bei einer kinderreichen Familie. Nur dem Mann war meine wirkliche Identität bekannt, und ich sollte auch nur kurz dort bleiben. Wir hatten mir Kleidung und eine Sonnenbrille gekauft, die wie eine normale Brille aussah. Nicht einmal meine eigene Mutter hätte mich jetzt erkannt.

      Jeden Tag genoß ich an den Seen das gute Wetter. Oft sah ich Streifenwagen, aber keiner kam in meine Nähe. Den Zeitungen zufolge fahndete die Polizei energisch nach meinem Kastenwagen. Der war wirklich überall gesehen worden. Ob das ein Rauchteppich sein sollte oder ob wirklich so viele Leute glaubten, ihn gesehen zu haben, wußte ich nicht. Aber ich wußte, daß der Wagen seit meinem Einsatz nicht mehr benutzt worden war.

      Middelboe und Carlo kamen zu Besuch. Sie hatten alle möglichen Haken schlagen müssen, um der Bullerei zu entwischen. Die wiederum amüsierte sich rund um die Uhr mit Razzien und Beschattungen. Helle war abermals vernommen worden, und abermals hatten sie sie unmöglich behandelt. Es war nur gut, daß sie meinen neuen Aufenthaltsort nicht kannte. Ich hatte zwar Vertrauen zu ihr, wußte aber auch, daß die Mordkommission keine Hemmungen kannte. Mein Rennrad war gefunden worden, nachdem ein Fahrraddieb darauf herumgegurkt war. »Da ist es ja nur gut, daß ich es nicht geholt habe«, fand Middelboe. Am Mordtag hatte ich ihn darum gebeten. Aber er wollte nicht, er wollte nicht wegen eines blöden Fahrrads in die Sache hineingezogen werden. Da hatte er recht gehabt. Die Polizei, die zu diesem Zeitpunkt emsig die Gespräche in der Titangade abhorchte, teilte diese Auffassung allerdings nicht. Sie hatten den Fahrraddiebstahl