Auf der Flucht - mein Leben als Hells Angel. Jørn Nielsen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jørn Nielsen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Философия
Год издания: 0
isbn: 9788711524268
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um. In eine Wohnung in Nørrebro, nicht weit vom Club entfernt. Sie war kein großartiger Aufenthaltsort, aber sie war einigermaßen sicher. In meiner Situation war es klüger, immer weiterzuziehen. Wieder kam Helle zu Besuch. Sie hatte es satt, zur Vernehmung geholt zu werden und sich anhören zu müssen, wie die Bullerei mich durch den Dreck zog. Aber sie hatte alles im Griff. Die Mordkommission war verrückt nach ihr und sie wurde beschattet. Aber doch nicht so sehr, daß sie nicht mit Hilfe meiner Brüder entwischen konnte. Wir machten es uns mit Kerzen und Rotwein in der kleinen Wohnung gemütlich, während Gert und Helge Markt und Straßen absuchten. Es gab inzwischen kaum noch einen Ort, an dem ich nicht gesehen worden war.

      Meine Eltern bekamen Besuch von der Polizei. Mein Vater, der Prototyp des autoritätshörigen Bürgers, ließ sich vernehmen, hatte aber nichts zu erzählen. Der erste Besuch kam eines Abends kurz nach dem Mord. Mein Vater hatte mit seinem Abendkaffee vor dem Fernseher gesessen, als plötzlich zwei Kripobeamte auf der Veranda standen und ins Zimmer glotzten. Er hatte mit dem Anwalt gedroht, was sein gutes Recht war. Niemand ist gezwungen, mit der Polizei zu sprechen, und Eltern sind nicht aussagepflichtig, wenn es um ihre Kinder geht.

      Bei meiner Mutter lief es ganz anders. Ihr Mann empfing die ersten Polizisten auf der Garagenauffahrt. Hier erzählt er kurz und bündig, daß meine Mutter mir natürlich nicht schaden wolle und sich deshalb nicht vernehmen lassen werde. Die Polizei versuchte wie üblich, sich einen Weg ins Haus zu erzwingen, aber das gelang ihnen nicht. Nun fingen sie an, meine Eltern, die damals etliche Firmen betrieben, zu schikanieren. Nachbarn, Freunde, Geschäftspartner und Angestellte stellten Fragen, nachdem die Polizei sie aufgesucht hatte. Stimmte es wirklich, daß Jönke ihr Sohn war und daß er Makrele ermordet hatte? Erst, als der Mann meiner Mutter sich bei der Mordkommission beschwerte, war Schluß mit den Schikanen. Aber wer hatte damit angefangen?

      Ich hatte meinen ersten Nahkontakt zu den Behörden. Es passierte, als ich zwei Tage in der neuen Wohnung lebte. Ich wollte für meinen Geburtstag einkaufen. Gert und Helge hielten zehn Meter weiter die Straße hinunter, wo eine Bande Betrunkener herumhing. Und als ich im Laden stand und Bier und Wasser in Tüten stopfte, tauchten sie hinter mir auf. Abgesehen von einem leichten Lufthauch im Nacken bemerkte ich ihre Anwesenheit nicht und ließ mir auch nichts anmerken. Wenn sie mich hier verhaften wollten, könnte ich auch nichts daran ändern, und deshalb gab es keinen Grund zur Nervosität. Die Polizisten teilten dem Ladenbesitzer mit, daß die Suffköppe die Öffentlichkeit störten, danach zogen sie wieder ab. Ich bezahlte und trottete zurück in meine Wohnung.

      Mein vierundzwanzigster Geburtstag wurde im besten Gangsterstil gefeiert. Die Gäste kamen einer nach dem anderen über die Hintertreppe. Mehrere von ihnen hatten die Polizei abschütteln müssen, und die Vorhänge waren dicht geschlossen. Alle schleppten Essen und Wein an. Obwohl wir nur zu zehnt waren, ging es volle Kanne ab. Middelboe und Jens waren nicht dabei, sie waren zum jährlichen Run in die USA gefahren. Gaukler rauchte sich die Birne voll und lachte sich über die ganze Situation schimmelig. »Hinter jeder Laterne steht ein Bulle, und du sitzt einfach nur hier und holst dir einen runter.« Ich bekam nicht viele Geschenke, denn was soll man schon einem Mann geben, der aus dem Koffer lebt? Die meisten brachten Jahrgangsweine, und mir war das nur recht.

      Vier Tage darauf fand in der Kirche von Tårnby die Trauerfeier für Makrele statt. Die letzten Kuhfladen und ihre Freunde folgten dem Leichenwagen. Im ersten Auto des Korteges saß die Witwe. Was in unseren Kreisen einfach lächerlich war. Aber okay, sie gehörten ja nicht zu unseren Kreisen und würden das auch niemals tun. Soviel Geschrei um einen toten Hering, sagte eine Frau, die dem Leichenzug zusah. Es heißt ja, daß man über Tote nicht schlecht sprechen soll. Andererseits gab es bei mir keine Sympathie zu holen. Er hatte es ja eigentlich nicht anders gewollt.

      Die Sonne knallte und in Kopenhagen war Karneval. Ich saß schwitzend in meiner kleinen Wohnung und mopste mich zu Tode. Helle war in Ungarn, um irgendwelche Verwandten zu besuchen, und ich erwartete sie erst in einer Woche zurück. Ach! Während dieser Tage war es der absolute Gipfel der Langeweile, ein gesuchter Mörder zu sein. Ich hatte die Wohnung aufgeräumt und sie kreuz und quer gewienert. Ich hatte einige Bücher zum Lesen, aber gegen die Hitze half das auch nicht weiter. Der Wohnungsbesitzer tauchte auf, sein Gesicht war mit Theaterschminke knallgrün gemalt. Ich spielte mit dem Gedanken, mit ihm in die Stadt zu gehen und einen wilden Samba zu tanzen, aber es blieb dann bei diesem Gedanken. Obwohl er bald wieder verschwand, hatte er doch registriert, daß ich mich fühlte wie ein Löwe im Käfig. Am nächsten Tag erschien er in Sommeranzug und Tropenhelm. Und wir dampften nach Dronningmølle ab.

      Am 12. Juni rief einer meiner Brüder an. »Du kommst heute abend im Fernsehen. Von jetzt ab wird offiziell nach dir gefahndet.« Am selben Tag rief Volmer Pedersen von der Mordkommission meinen Vater an und fragte, ob er mich nicht überreden könnte, mich zu stellen. Sonst würde ich nämlich in allen trauten Heimen Dänemarks zu sehen sein. Mein Vater wußte nicht, wo ich mich aufhielt, und ich hatte durchaus vor, mich erst dann zu stellen, wenn mir das paßte. Also machte ich es mir vor der Glotze gemütlich.

      Der Sommer mußte genossen werden, und in einer kleinen Wohnung in Nørrebro war das nicht möglich. Da ich nun steckbrieflich gesucht wurde, brauchte ich Luftveränderung dringender denn je. Wir mieteten für zehn Wochen ein Ferienhaus. Alles wurde telefonisch abgesprochen, und das Ehepaar, dem das Haus gehörte, bekam uns nicht zu sehen. Mein Versteck lag in einer großen Ferienhauskolonie, wo es von fremden Gästen wimmelte, vor allem von Deutschen. Das erhöhte meine Sicherheit und kam mir wie gerufen. Die ersten beiden Tage im neuen Schlupfwinkel verbrachte ich zusammen mit einem Bruder. Zusammen erkundeten wir die Gegend. Fanden den Strand, die lokalen Läden und die Fluchtwege, die ich kennen sollte, für den Fall, daß mein Film riß.

      Als mein Bruder das Ferienhaus verließ, kehrten Langeweile und Einsamkeit, die ich aus der letzten Wohnung kannte, zurück. Aber ich konnte hier draußen in der Natur besser damit umgehen. Es war schwer zu beschreiben. Es kam mir fast vor wie ein leeres Gefühl im Bauch, und ich schien ein Stück neben mir zu gehen. Es hatte nichts mit dem Mord an sich zu tun, denn schon zu diesem Zeitpunkt dachte ich nur noch selten daran. Das Gefühl verschwand, wenn ich Gesellschaft hatte, stellte sich dann aber wieder ein, sowie ich allein war. Entweder mußte ich damit leben oder ich mußte etwas dagegen unternehmen. Ich fing an, lange Spaziergänge durch die Umgebung zu machen, was mir sehr gut ins Programm paßte. Der Strand war ein ziemliches Stück vom Haus entfernt, und es war Badewetter. Die Einkaufstouren in den lokalen Supermarkt erforderten ebenfalls ihre Zeit, und bald bemerkte ich eine leichte Verbesserung. Ich hatte Fernsehen, und – glücklicherweise – der dänische Fußball hatte einen Höhepunkt erreicht; es war ein Genuß, der Mannschaft bei der EM in Frankreich zuzusehen. Und noch besser: Auf dem Bildschirm tauchte George Christie von den Hells Angels Ventura auf. Barfuß, mit der Fackel in der Hand und unterwegs zu den Olympischen Spielen nach Los Angeles. Die Brüder in Kalifornien hatten die Spiele gesponsert und durften deshalb einen Kilometer das olympische Feuer tragen.

      Im Haus fand ich ein Tonbandgerät und eine Woche darauf wurde mir ein Stapel meiner Lieblingsbänder zugeschickt. Ich arbeitete nun auch an meiner Form. Zuerst wuselte ich nur aufs Geratewohl durch die Gegend, aber bald lief ich jeden Tag am Strand. Carlo brachte eine Gewichtstange und einige Bleiplatten. Das führte zu einem allmorgendlichen Work-out. In der Garage gab es ein Rad und einen Rasenmäher, und mit ersterem machte ich mich auf den Weg, um im Ort einen Kanister Benzin zu erstehen.

      Jedes Wochenende kam Helle zu Besuch. Das war der Höhepunkt der Woche, und die Zeit verflog nur so, wenn sie da war. Anfangs machte es sie nervös, einfach so mit mir durch die Gegend zu laufen, aber nach dem zweiten Besuch ging sie alles gelassener an. Wir lernten einander besser kennen und genossen die Ferienhausidylle. Wir waren zu dieser Zeit viel am Strand und hatte einige feine Senken gefunden, wo wir uns sonnen und in aller Ruhe allerlei Schabernack treiben konnten. Wenn wir uns am eigentlichen Strand aufhielten, zwischen anderen Menschen, versteckte ich meine Tattoos unter einem Hemd. Das Leben wurde so normal, daß Helle mich eines Tages rief. Wir hatten uns am Strand ein wenig gerauft. Helle lief heulend am Wasser entlang, dicht verfolgt von mir, und ich hielt eine dicke Qualle in der Hand. »Das ist eine Feuerqualle«, rief ich, und gerade, als sie eine Gruppe von Badenden erreichte, die uns lachend beobachtet hatten, rief sie: »Neeeihein, Jönke!« Und klatsch, die Qualle hatte sie getroffen. Das brachte alle zum Lachen, und niemand hatte mitbekommen,