Als er herausfand, dass er als tauglich eingestuft worden war – ich denke, wir befanden uns damals gerade in dem Bungalow, den er in Miami gemietet hatte, als er den Anruf bekam –, war die erste Reaktion meines Bruders: Warum ich? Ich bin doch Weltmeister im Schwergewicht. Mit meinen Steuern finanziere ich so viele Gewehre, Panzer und Soldaten. Warum holen die nicht andere, die keine Steuern zahlen? Seine erste Antwort hatte also rein gar nichts mit seinen Prinzipien zu tun, doch es steckte trotzdem etwas mehr dahinter. So wie ich es sah, war Muhammad anfangs nicht klar, dass man ihn nicht an die Front schicken würde, um dort Menschen zu töten. Schon zuvor war es meist gang und gäbe gewesen, dass bekannte Sportler, die zur Armee gingen, im Normalfall mit ungefährlichen Aufgaben betraut wurden, wie etwa mit Vorführungen, um die Truppen bei Laune zu halten, und ich denke, man konnte davon ausgehen, dass, wenn er sich verpflichtet hätte, er ebenso wenig an die Front gekommen wäre. Zu Beginn schien er dies allerdings nicht zu begreifen, und er begann, sich so in seine Wut hineinzusteigern, dass er sich in der Öffentlichkeit so vehement gegen den Krieg aussprach, bis ihn die meisten Amerikaner als einen Ausgestoßenen betrachteten. Als er realisierte, dass ihm persönlich keine Gefahr drohte, war er dann nicht mehr bereit, seine Prinzipien zu opfern.
„Warum soll ein schwarzer Mann von weißen Männern geschickt werden, um braune Menschen umzubringen?“, sagte er. „Ich bin ein Muslim, und wir ziehen nicht in den Krieg, solange er nicht von Allah selbst ausgerufen wurde. Ich persönlich habe keinen Streit mit dem Vietkong.“
Natürlich machten sich auch unsere Eltern Sorgen. Ich erinnere mich, wie mein Bruder zu ihnen sagte: „Ich folge dem ehrenwerten Elijah Muhammad. Ich bin ein Muslim. Elijah Muhammad sagt, ich kann nicht für dieses Land kämpfen. Ich kann nicht einfach unschuldige Menschen töten, die mir nichts antun. Diese Menschen nennen mich nicht ‚Nigger‘. Ich kann dort nicht hinfahren und kämpfen. Ich werde es nicht tun.“
Darauf sagten unsere Eltern: „Wenn das deine Überzeugung ist, dann tu das, was du für richtig hältst. Geh und stehe deinen Mann. Wir stehen zu 100 Prozent hinter dir.“
Selbst heute noch übersehen viele Leute die Tatsache, dass unverhältnismäßig viele Afroamerikaner eingezogen wurden, um in Vietnam zu kämpfen. Das sorgte wiederum für einen anderen Konflikt: Da waren nun Menschen, die mit ihrem Gewissen kämpften, unsicher darüber, aus welchem Grund in Vietnam Krieg geführt wurde, doch viele von ihnen hatten Söhne, Onkel, Brüder und Väter, die zum Militär gingen, um gegen den Kommunismus zu kämpfen. Also gab es einige, die die Entscheidung meines Bruders unterstützten und sich gleichzeitig fragten, warum ihre Verwandten dienen mussten, und andere, die der Meinung waren, dass mein Bruder über dem Gesetz stehen solle.
Vor allem Mainstream-Amerika betrachtete Muhammad als einen Dummkopf, aber auch als einen vorlauten schwarzen Mann, der nicht wusste, wo sein Platz war. Er war gelegentlich der „Kentucky Clown“ genannt worden, oder die „Louisville Lippe“, doch nachdem er der Nation of Islam beigetreten war und seinen Namen auf Muhammad Ali geändert hatte, bekam die Kritik an ihm einen immer aggressiver werdenden Unterton. Nun, als er sich weigerte, mit gutem Beispiel voranzugehen und sich zum Militärdienst zu melden, wurde er zu einem öffentlich gehassten Sportler, vor dessen Tür die Kommentatoren und Zeitungsschreiber Schlange standen, um ihr Gift auf ihn zu spritzen.
HARTE ZEITEN
In der Zwischenzeit protestierte Muhammad weiter öffentlich, nachdem ihm die amerikanische Regierung seine Boxlizenz zwei Monate
nach seiner Weigerung, in den Vietnamkrieg einzurücken, entzogen hatte. Als Konsequenz daraus verschlechterte sich seine finanzielle Lage rapid, und schon bald steckte er in Geldnöten.
Niemand in den Vereinigten Staaten stellte ihm eine Boxlizenz aus. Und da die Behörden auch seinen Pass beschlagnahmt hatten, war es ihm auch nicht möglich, im Ausland zu boxen. Obwohl ihn die Nation of Islam in dieser düsteren Zeit finanziell unterstützte, war mein Bruder fest entschlossen, von selbst wieder auf die Beine zu kommen.
Ein Grund, warum ihn das zu diesem Zeitpunkt so hart traf, war, dass Muhammad gerade zum zweiten Mal geheiratet hatte. 1964 hatte er Sonji Roi, eine Cocktailkellnerin, die Herbert ihm nach unserer Reise nach Afrika vorgestellt hatte, geheiratet. Wir tourten damals durch Ghana und Ägypten, wo wir sogar von Präsident Nasser empfangen wurden. In Ghana wurden wir von Hunderten stürmischen Fans umringt, die alle so nahe wie möglich an Muhammad ran wollten, und Herbert rannte sogar davon, da er um sein Leben fürchtete. Anfangs war Sonji gar nicht so angetan von meinem Bruder. Sie konnte seine Angeberei einfach nicht ausstehen, ja, es törnte sie sogar eher ab. Doch Muhammad blieb hartnäckig und war ganz auf dieses junge hübsche Mädchen fixiert. Nach einer stürmischen Romanze von fünf Wochen traten sie am 14. August 1964 vor den Altar, und ein paar Tage später besuchten sie uns in Louisville, um unsere Eltern zu kennenzulernen.
Doch die Schwierigkeiten waren bereits vorprogrammiert. Eines der größten Probleme, das Muhammad mit seiner ersten Frau hatte, war, dass sie die Lehren des Islam in Bezug auf Moral strikt ablehnte. Ich erinnere mich, wie mein Bruder ihr immer wieder lautstark sagte, sie solle sich sittsam kleiden. Er sagte: „Du kannst nicht in diesen kurzen Kleidern herumlaufen.“
Mein Bruder hatte große Schwierigkeiten damit, dass seine Frau Miniröcke trug und viel Haut zeigte – es entsprach nicht unserer Religion. Er glaubte, er müsse ein Vorbild sein, und wenn seine Frau nicht mit gutem Beispiel voranginge, welche Botschaft würde das denn aussenden? Immer wieder gerieten Muhammad und Sonji deswegen aneinander, und sie sagte zu ihm, dass sie nicht dazu bereit sei, sich seinen Regeln unterzuordnen. Sie warf meinem Bruder vor, dass er denke, dass der Mann der „Herr im Haus sei“ und immer recht habe, und Muhammad konnte dem kaum widersprechen. Sonji stritt immer wieder mit meinem Bruder über das, was sie tat und wie sie sich anziehen sollte, aber ebenso, weil sie Elijah Muhammads Lehren permanent infrage stellte. Zwei Jahre nach ihrer Heirat ließen sie sich wieder scheiden, und mein Bruder nahm sich vor, dass seine nächste Ehefrau einen positiveren Einfluss auf sein Leben haben sollte.
Schließlich heiratete er im August 1967 die damals erst 17-jährige Belinda Boyd. Es war mehr oder weniger eine arrangierte Ehe. Muhammad musste die Zustimmung ihrer Eltern einholen, und die spielten eine wichtige Rolle. Mein Bruder lebte zu dieser Zeit im Süden Chicagos, in einem bescheidenen Haus, das Herbert ihm und seiner neuen Frau zur Verfügung gestellt hatte, während ich mir ein eigenes Quartier einige Blocks entfernt vom Heim meines Bruders mietete. Muhammad und Belinda hatten sich zum ersten Mal gesehen, als er 18 war und sie zehn. Zu dieser Zeit stattete er gerade der Muhammad University of Islam Number Two einen Besuch ab, einer muslimischen Schule in Chicago, die Belinda während seiner Tour nach dem Gewinn der Goldmedaille abschließen sollte.
„Ich werde noch vor meinem 21. Geburtstag Weltmeister im Schwergewicht sein“, erzählte er einer Gruppe von Schülern, zu denen auch sie gehörte. „Holt euch also eure Autogramme jetzt schon! Ich werde bald berühmt sein.“
Muhammad ging zu Belinda und sagte: „Hier, Kleine. Hier ist mein Autogramm. Eines Tages werde ich berühmt sein. Mein Name wird etwas wert sein.“