Mein Bruder, Muhammad Ali. Rahaman Ali. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rahaman Ali
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783903183827
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es spiegelte im Endeffekt nur das wider, was in der Welt vor sich ging, und schlussendlich eröffnete es meinem Bruder Ansichten, die er vielleicht niemals bedacht hätte. Nun begann er auch für seine Reden zu üben. Zuerst schrieb Belinda viele seiner Reden auf weiße Kärtchen, so dass er sie davon ablesen konnte, bis er sicher genug war, seine Botschaft ohne Hilfsmittel zu verbreiten.

      Anfangs war es ein langwieriger und schmerzvoller Prozess. Doch mit der Zeit und wachsendem Selbstvertrauen ließ er die Karten weg und sprach frei, was auch leichter und natürlicher für ihn war. Je wohler er sich in seiner Rolle fühlte, umso mehr Humor brachte er mit ein. Er sprach darüber, wie schön Schwarz sei, fragte, warum Engel immer weiß und Dämonen immer schwarz dargestellt würden. So vermittelte er seine Meinung über Diskriminierung aufgrund der Hautfarbe, aber in einer Weise, mit der die Zuhörer etwas anfangen konnten.

      Als dann die schlechten Zeiten beinahe vorüber waren, war er zu einem fesselnden Campusredner geworden, der seinen Ali Shuffle vorführte und Witze erzählte, während er seine eher extremeren Ansichten stark zurücknahm oder sogar ganz darauf verzichtete. Er war immer ein Entertainer, doch glaube ich, dass seine Vorträge am College eine gute Schule für seine Rhetorik waren, was ihm schlussendlich bei Pressekonferenzen und Publicitytouren in den folgenden Jahren helfen sollte.

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      Ein weiterer Aspekt der Vorträge meines Bruders, der sich schon bald bezahlt machte, war, dass er die Gelegenheit bekam, seine Reime zu perfektionieren. Er verwendete oft Reime, wenn er zu Studenten sprach, die er niederschrieb, während er von College zu College fuhr. Einmal wurde er sogar von der Oxford University eingeladen, um dort Lyrik zu lehren – doch irgendwie kam das Ganze dann doch nicht zustande. Er hielt jedoch einen Vortrag an der Harvard University, wo er mit stehenden Ovationen bedacht wurde. Und obwohl Belinda ihm mit seinen Reimen am Anfang immer geholfen hatte, lernte er über die Jahre eine andere Dichterin besser kennen – die Fernsehpersönlichkeit und Aktivistin Nikki Giovanni.

      Als mein Bruder Giovanni zum ersten Mal begegnete, stand sie am Anfang ihrer Karriere und reiste viel herum. Sie nahm immer das Flugzeug, was einfach praktischer war für die langen Distanzen, die sie zurücklegen musste. Belinda, die sich sehr wohl über Muhammads Neigung für außereheliche Aktivitäten im Klaren war, wusste, dass sie dieser speziellen Freundin Muhammads trauen konnte, und sie war dankbar dafür. Es war schon etwas eigenartig, wenn Belinda Giovanni fragte: „Wie war die Reise?“ Und Giovanni antwortete: „Wunderbar.“

      Nicht dass Muhammad und Giovanni oft in Versuchung kommen hätten können, weil sie beide ja unterschiedliche Transportmittel benutzten. Muhammad fuhr allein mit seinem Bus, den er besaß, und er hatte seinen eigenen Fahrer, während seine Freundin das Flugzeug nahm. Muhammad hasste es, zu fliegen, auch noch zu dieser Zeit. Es stimmt übrigens, dass mein Bruder in einem Armeeladen einen Fallschirm kaufte und ihn trug, als er das erste Mal über den großen Teich zu den Olympischen Spielen in Rom flog. Schon nach den Auswahlkämpfen für die Olympischen Spiele hätte mein Bruder von San Francisco zurück nach Louisville fliegen sollen, doch er weigerte sich, ins Flugzeug zu steigen. Stattdessen bat er seinen Trainer Joe Martin, ihm etwas Geld zu leihen, damit er mit dem Zug heimfahren könnte. Muhammad wurde gesagt, er solle entweder fliegen oder er müsse den Weg zurücklaufen. Dickköpfig wie mein Bruder nun einmal war, ging er seinen eigenen Weg. Das Flugzeug flog ohne ihn ab. Glücklicherweise besaß er eine Armbanduhr, die er versetzen konnte, um das Geld für ein Zugticket zusammenzubekommen. Ich bin froh, dass er es nach Hause geschafft hat.

      Giovanni hatte ihrerseits auch kein Interesse, einen Keil zwischen Muhammad und seine Ehefrau zu treiben, auch wenn das Eheleben von meinem Bruder und Belinda bereits große Risse zeigte. Giovanni war der Meinung, dass sie das nichts angehe und sie sich nicht einmischen sollte. Muhammad war vielleicht etwas vom Weg abgekommen, wenn es um Treue ging, doch wann auch immer mein Bruder die Dichterin sah, war er sehr zuvorkommend zu ihr, aber nicht mehr. Andererseits war ihre Freundschaft auch gut für ihn. Da mein Bruder ein Muslim war und Giovanni Christin, brachte er oft Frauenthemen zur Sprache. Muhammad war der Auffassung, dass Frauen bestimmte Prinzipien und Richtlinien zu befolgen hätten, doch Giovanni war eine brennende Verfechterin der weiblichen Unabhängigkeit. Es war sinnlos, eine tiefgründige Diskussion mit meinem Bruder darüber zu führen, und so meinte sie meist, dass sie keine besondere Meinung dazu habe. Sie glaubte, dass jeder es so halten solle, wie es am angenehmsten für die Leute sei.

      „Ich glaube nicht, dass ich eine Meinung zu jedermanns Religion haben muss“, sagte sie zu meinem Bruder. „Ich denke, dass deine Religion für dich passt, und ich bin froh, dass meine Religion für mich passt. Also mache ich mir darüber keine Gedanken.“

      Muhammad hatte natürlich seine eigenen, ziemlich polarisierenden Ansichten dazu und forderte andere Leute gerne heraus, doch mit Nikki arteten die Debatten nie wirklich aus.

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      In der Zeit, als sich Muhammad mit der US-Regierung herumschlagen musste, speziell im Jahr 1968, plante die Zeitschrift Esquire eine gewagte Coverstory über ihn. Das Magazin wollte ein symbolträchtiges Cover kreieren, und so luden sie ihn in ihr Studio zu einem ganz speziellen Fotoshooting ein. Muhammad sagte zu und kam allein ins Studio in New York. Normalerweise war ich überall mit dabei, doch es gab auch Zeiten, in denen ich nicht an seiner Seite stand. Er dachte damals, er ginge nur zu einem weiteren typischen Fototermin, so wie schon so oft zuvor. Als er das Büro betrat, war er ganz entspannt, solange, bis der Fotograf, ein Mann namens Carl Fischer, ihm erklärte, wie das Ganze ablaufen sollte und was die Idee dahinter war, die sie verfolgten.

      Anscheinend hatten sie den Plan, meinen Bruder als Märtyrer darzustellen – als einen Mann, der vom Establishment gekreuzigt wird. Der Fotograf sagte Muhammad, dass sie ihn für das Cover gekreuzigt wie den hl. Sebastian – der christliche Heilige und Märtyrer, der von den Römern 288 n. Chr. hingerichtet worden war – ablichten wollten.

      Es war, milde gesagt, eine brisante Idee, und das erste Hindernis war der spirituelle Führer meines Bruders. Denn mein Bruder wollte erst das Okay von Elijah Muhammad einholen, vor allem da der hl. Sebastian ja das Christentum verkörperte. Also rief mein Bruder Elijah Muhammad an und ließ ihn mit dem Fotografen und dem Art Director des Magazins, George Lewis, sprechen. Sie erklärten, was sie damit bezwecken wollten und warum es in Muhammads Interesse sei, mitzumachen, nämlich um mehr öffentliches Interesse an seinen Anliegen und der Art und Weise, wie man ihn behandelte, zu erwecken. Anfangs hatte Muhammad Elijah Bedenken, da er sehr um Muhammads Image besorgt war. Es war unheimlich wichtig für ihn, nicht in etwas verwickelt zu werden, das einen negativen Schatten auf die Muslime werfen könnte. Als er dann aber verstand, dass dies auf das Cover eines Mainstream-Magazins kommen sollte, was nicht nur eine gute Publicity für Muhammad wäre, sondern auch für das, wofür er stand, änderte er seine Meinung. Mit einem Mal war die Religion nicht mehr so wichtig. Plötzlich war Religion nicht mehr unverzichtbar. Die Nation of Islam lechzte nach öffentlicher Aufmerksamkeit und benutzte meinen Bruder, der ihre stärkste Verbindung zu den Massen da draußen war, um ihre Ideologie zu verbreiten.

      Das Team des Magazins beabsichtigte, Muhammad an ein Kreuz zu binden, wobei die in seinem Körper steckenden Pfeile symbolisieren sollten, wie er von der US-Regierung dafür gekreuzigt wurde, dass er sich geweigert hatte, in einem für ihn absolut ungerechtfertigten Krieg zu dienen. Das größte Problem stellten die Pfeile dar. Fischer hatte sie bereits vor Muhammads Ankunft ausprobiert, doch als er sie an Muhammads Körper befestigen wollte, fielen sie immer wieder hinunter, da sie zu schwer waren, um kleben zu bleiben. Nach einiger Zeit hatte der Fotograf dann die Idee, die Pfeile mit einer transparenten Nylonschnur, wie sie beim Angeln üblich ist, an einer Stange zu befestigen und herunterhängen zu lassen. Es dauerte ziemlich lange – Muhammad musste weitaus länger als geplant in dieser unbequemen Position am Kreuz verharren. Doch Profi, der er war, hielt er tapfer durch. Heute wäre das alles natürlich kein Problem mehr, denn die Pfeile würde man einfach nachträglich am Computer ins Bild einfügen.

      Während der Session war Muhammad sein heiteres Selbst und hatte seinen Spaß mit Fischer. Immer wenn er mit Leuten zusammen war, von denen er meinte, sie würden seinen Ideen und Worten zuhören, war er