Booklove. Daphne Mahr. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Daphne Mahr
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783764192754
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wenn nicht Vinzenz, wer dann? – kehrte schon zurück. Er schien sein Gesicht gewaschen zu haben, kein Fleck Farbe war mehr darin zu erkennen. In der einen Hand hielt er eine Taschenlampe, in der anderen ein dickes Buch. O Mann! Das musste er irgendwo im Büro mitgehen lassen haben! »Gib das sofort zurück. Du darfst hier nichts anfassen«, rief ich entgeistert.

      Vinzenz betrachtete es nachdenklich. »Ein Lexikon. Hättet Ihr die Güte, es mir zu leihen? Ich muss diese Welt näher verstehen.«

      »Dann fang mal mit dem Sprechen an. Kein Teenager redet so schwülstig daher wie du.« Ich riss ihm das Lexikon aus der Hand. Bestimmt würde ich ihm nicht erlauben, einfach die Ware meines Vaters einzustecken.

      »Nun, Ihr vergesst, meine Wenigkeit stammt aus dem Jahre 1880. Das lässt sich nicht ändern, meine Autorin wollte es so«, antwortete Vinzenz.

      »Du meinst Hannah Ruderer?«, fragte ich. Wenn das wirklich kein Traum war, dann hatte dieser Typ ganz gewaltig einen an der Klatsche. Oder ich. Aber selbst wenn es ein Traum war, hatte ich anscheinend nicht mehr alle Tassen im Schrank. Sonst würde sich mein Unterbewusstsein kaum so einen Unsinn ausdenken.

      »Genau die.« Vinzenz verschränkte die Arme vor der Brust und wippte mit dem linken Fuß. »Ist Euch die Gute näher bekannt, werte Miss Emma?«

      Die Sache mit der normalen Sprache schien er jedenfalls schon mal nicht hinzukriegen.

      »Wir haben sie heute gesehen«, sagte ich. »Sie ist berühmt.«

      »Ach?« Vinzenz wirkte ernsthaft überrascht.

      »Na ja … sie hat schon Preise bekommen.«

      »Tatsächlich? Wieso? Hat sie das Epsom-Derby gewonnen? Wohl kaum. Bei diesem fragwürdigen Verständnis für Pferde, wäre sie lange vor dem Startschuss aus dem Sattel gekippt. Sie hat mich in Band eins rücklings auf einem Shetlandpony reiten lassen. Wieso beim Popel der Queen sollte ich etwas derart Dummes tun? Nun, mit welcher Leistung hat sich diese Person also einen Preis verdient?«

      »Ähm … sie hat euch gemacht?«, meinte ich irritiert.

      Vinzenz hob perplex eine seiner dichten, schwarzen Brauen. »Ein Preis für meine Wenigkeit? Oho.«

      »Eher für euch alle. Esmeralda, Phil und …«

      »Phil«, knurrte Vinzenz. »Herzlichen Dank, ich habe genug gehört.« Unvermittelt drehte er sich um und verschwand im anderen Raum. Es klang, als würde er sich auf den Drehstuhl hinter der Kasse plumpsen lassen. Auch nach einigen Minuten kehrte er nicht mehr zurück.

      »Was hat er denn jetzt?«, raunte ich Leona zu.

      »Er kann Phil nicht leiden«, erklärte sie. »Sonst hätte er nicht ständig versucht, ihn abzumurksen. Obwohl ich ein bisschen komisch finde, dass Vinzenz so … na ja, ich hätte ihn mir noch viel wütender vorgestellt.«

      »Ist bestimmt besser so. Lassen wir ihn einfach in Ruhe schmollen und warten hier, bis mein Vater den Laden öffnet. Morgen ist der Spuk ja hoffentlich vorbei und Vinzenz wieder in seinem Roman. Wir dürfen nur nicht einschlafen, damit er uns nichts antun kann. Eine von uns beiden muss immer Wache halten.«

      Leona lachte nervös auf. »Ich schlafe sicher nicht ein, solange dieser Typ nebenan sitzt.«

Sechs

      Draußen auf der Straße konnte man Stöckelschuhe über den Asphalt klappern hören und kurz darauf das Schrillen einer Fahrradklingel. Die Kleegasse erwachte langsam zum Leben. Behäbig öffnete ich meine Augen. Mein Rücken schmerzte und mein Kopf brummte ganz gewaltig. Blinzelnd sah ich mich um. Wieso war ich nicht in meinem Bett? Ich lag in der Buchhandlung, inmitten der Stühle, die von der gestrigen Lesung stehen geblieben waren. Doch dann fiel mir alles wieder ein.

      Mist.

      Neben mir schlummerte Leona vor sich hin. Ihre Haare waren komplett zerzaust, sie hielt die Brille in der Hand und hatte die schwarze Farbe ihres Lidstriches quer über ihre Wange verwischt.

      Schlaftrunken rappelte ich mich in den Schneidersitz und rieb mir ächzend das Gesicht. Zumindest konnte ich den Jungen nirgendwo sehen, was mich doch wieder ein wenig hoffen ließ, dass der schlimmste Teil der letzten Nacht ein Albtraum gewesen war. Wie sollte es auch anders sein. Eine Romanfigur aus Fleisch und Blut? Was hatte ich gestern gegessen? Fliegenpilze? Ich musste unwillkürlich kichern. Dann gähnte ich einmal herzhaft, reckte meine Arme in die Luft und … erstarrte in dieser Position. Ein greller Schrei war aus dem Kassenraum gedrungen. Derartig laut, dass nun auch Leona mit nur einem Wimpernschlag wach war. »Was war das? Hast du das gehört?«, rief sie alarmiert.

      O nein. O nein. O nein. Bitte nicht. Das durfte nicht wahr sein. Das konnte nicht wahr sein!

      Ich sprang auf die Beine und eilte dorthin, woher der Schrei gekommen war. Im Türrahmen blieb ich stehen.

      Mist.

      Wir hatten zwei Probleme. Genauer gesagt: Riesenprobleme.

      Problem Nummer eins: Philippa war von ihrer eintägigen Schweinegrippe genesen und hier, um den Laden zu öffnen. Wie eine Statue mit weit aufgerissenem Mund stand sie zwischen Kasse und dem Bestsellertisch. Nicht einmal ihr blonder Pferdeschwanz wippte. Ihre Arme baumelten schlaff an ihrer Seite hinunter. Der Griff ihrer schwarzen Handtasche hing an ihrem Zeigefinger, kurz vor dem Absturz.

      Noch hatte Philippa zum Glück nicht bemerkt, dass ich hier war. Sie würde mir bestimmt kein Wort über die vergangene Nacht glauben und Pa lauter Unsinn erzählen, sodass ich für den Rest der Woche Hausarrest aussitzen müsste.

      Ganz sicher sogar.

      Da war nämlich auch noch Problem Nummer zwei: Vinzenz.

      Der wahr gewordene Albtraum, der es sich zum Schlafen auf dem Kassentisch gemütlich gemacht hatte. Okay. Vielleicht war ER das Problem Nummer eins. Wenn nicht sogar das einzige Problem.

      Mit den Reiterstiefeln an seinen Füßen hatte er zu allem Überfluss auch noch den Drehständer mit den kunterbunten Postkarten umgestoßen, die sich nun großflächig über den Boden verteilten. Kurzum: Es sah aus, als wäre heute Nacht ein Tornado Windstärke hundert durch den Laden gefegt.

      Und direkt vor den Spitzen von Philippas blauen Pumps lag die Ausgabe der Mitternachts-Trilogie, aus der ich gestern vorgelesen hatte. Schwarz wie ein Stück Kohle. Das schien Philippa nun ebenfalls zu bemerken, denn sie senkte den Blick. Keine Sekunde später presste sie die Hand mit den Plastikfingernägeln vor den Mund und ließ ihre Handtasche endgültig fallen. Ihrer Mimik nach hätte man locker annehmen können, eine tote Ratte – oder Schlimmeres – läge vor ihr. Ein verbranntes Buch war allem Anschein nach zu viel für ihre Nerven. Verständlich. Warum zum Geier sah das aus, als hätte man es an einem Grillspieß über dem Feuer geschmort? Es – beziehungsweise das, was davon übrig war – hatte sogar ein Loch. Ja. Ein Loch.

      »Was ist passiert?« Leona kam angestürmt und packte mich von hinten an den Schultern. »Ups.« Als sie merkte, was los war, wurde sie augenblicklich still. Auch meine beste Freundin wusste, mit wem wir es bei Philippa zu tun hatten. Sie war quasi die Reinkarnation von Lord Voldemort. Ganz besonders, wenn ihr etwas zusätzliche Arbeit verursachte. Leider ließ sich nun einmal nicht abstreiten, dass das der Fall war. Wer sonst sollte die verstreuten Karten wieder einsortieren? Oder diesen Glitter vom Boden putzen?

      Ich kniff gequält die Brauen zusammen. Jetzt war es sowieso zu spät, Philippa hatte uns entdeckt und funkelte mich mit ihren froschgrünen Hexenaugen an. »Seid ihr das gewesen?« Die Farbe ihres Gesichts konnte locker mit einer feurigen Chilischote konkurrieren.

      Sicherheitshalber gab ich erst mal keine Antwort. Das war wie im »Tatort«, wenn Verdächtige festgenommen wurden. Alles, was man sagte, konnte gegen einen verwendet werden. Also besser still sein. Pa wusste zwar, dass Philippa lieber krank am Badesee lag, als zu arbeiten, aber leider kannte er mich noch besser. Es war nicht das erste Mal, dass ich in