Booklove. Daphne Mahr. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Daphne Mahr
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783764192754
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sagt Ihr nicht! Ich meine Euch.«

      »Äh … du meinst …«

      »Nur Euch. Die junge Dame mit den feuerroten Haaren.«

      Sollte das ein Kompliment sein? Dafür kapierte ich jetzt, dass der Typ nicht nur ein bisschen daneben war, sondern schlicht und ergreifend komplett crazy sein musste. Warum sonst quatschte er mich mit einer so steinzeitlichen Höflichkeitsfloskel an? Da qualmte einem ja Staub aus den Ohren.

      »Du darfst ruhig Du zu mir sagen«, presste ich hervor und schluckte. »Mal davon abgesehen, dass du eigentlich ein mieser Einbrecher bist. Und was ist mit deinen Augen passiert?«, wich ich mit weichen Knien der Frage nach dem Lesen aus. Was ging es ihn an, ob ich vorher aus diesem verfluchten Buch gelesen hatte?

      »Meine Augen?« Verwundert strich er sich mit dem Zeigefinger über den schwarzen Rand und musterte ihn. »Ach. Kohlestift. Wisst Ihr, meine Maske hatte große Löcher, deshalb musste ich nachhelfen. Sah anders nicht sonderlich gut aus. Es ist mir leider nicht möglich, Euch das zu zeigen, weil ich die Maske im Buch gelassen habe.«

      Bei diesem Satz griff Leona mich plötzlich beim Arm. »Ach du heilige Scheiße … Vi… Vin…!«

      »Hä?« Ich drehte mich mit verwirrtem Blick zu ihr.

      Leona schnappte nach Luft. »Das ist Vinzenz!«

      »Was? Wer?«, entfuhr es mir.

      »Vinzenz Brandfair«, keuchte Leona.

      Mir wurde flau. Großartig! Jetzt drehte Leo völlig durch. Fan einer Fantasytrilogie zu sein, das war die eine Sache. Zu glauben, der Fiesling – der offenbar am Anfang des drittens Bandes gleich mal die weibliche Protagonistin mit Lachshäppchen fütterte und anschließend abknutschte (Hallo? Fischmundgeruch?) – wäre schlagartig zum Leben erwacht, war eine ganz andere. Natürlich, vorher war es unheimlich zugegangen. Die Existenz von Geistern konnte ich mir durchaus vorstellen … eine real gewordene Romanfigur hingegen nicht. Geister ließen sich immerhin mithilfe einiger okkulter Ansichten erklären. Die Seele eines toten Menschen wechselt nicht ins Jenseits, oder so ähnlich. Aber ein Typ aus einem Buch? Wie sollte das funktionieren? Das waren doch nur schwarze Buchstaben auf weißem Papier, die zuvor irgendjemand in einen Computer getippt oder meinetwegen auch mit Tinte irgendwo draufgekritzelt hatte. So oder so, es gab absolut nichts daran, das zum Menschen werden konnte.

      »Lord Vinzenz Richard Oswine George Brandfair, wenn Ihr es genau wissen wollt«, meinte der Fremde mit einem müden Lächeln in Leonas Richtung, während er immer noch damit beschäftigt war, sich das Gesicht abzureiben. Jetzt war es eine Mischung aus schwarzem Kohlestift und Glitzer. »Richard nach meinem Urgroßvater, Oswine nach meinem Großvater und das George steht für meinen Vater. Doch Ihr dürft mich Vinz nennen. Vinzenz mutet so ernst an. Und überhaupt, diese Variante mit den vielen Z, geradezu abscheulich. Wieso hat mich die alte Schabracke nicht englisch Vincent genannt? Oder Vince? Ich bin doch Brite! Aber was soll’s. Natürlich könnt Ihr auch Master Vinz sagen, falls Ihr Euch mit einer standesgemäßen Ansprache wohler fühlt. Es liegt bei Euch. Wer ist denn nun meine Leserin?« Aus einem unerfindlichen Grund glotzte er gezielt mich an, als wüsste er sowieso, dass ich vorgelesen hatte. Mir fiel vor Schreck das Buch, mit dem ich ihm eins über die Rübe gezogen hatte, aus den Händen.

      »Ah. Ich dachte mir, dass ich Eure Stimme gehört hatte. Wie war doch gleich Euer werter Name?«

      »Emma. Der werte Name ist Emma.« Verdammt. Wieso verriet ich ihm das überhaupt?

      Ächzend schmierte er sich Glitzer in die Hose. »Nun, Miss Emma, begrüßt Ihr Eure Gäste immer auf diese schmerzhafte Weise? Vielleicht ist es Euch ja nicht bewusst, Ihr habt meiner Wenigkeit durch Euer Vorlesen zu einem Textsprung verholfen. Also bin ich jetzt Euer Gast. Genau genommen bin ich für die Dauer meines Aufenthaltes sogar an Euch gekettet. Seid jedoch völlig unbesorgt, ich bin ein angenehmer Gast. Wenn meine Mutter ansonsten auch wenig Wert auf mich legt, so doch auf meine gute Erziehung. Ich hatte von klein an die beste Gouvernante der britischen Insel, die gute Miss Marple.«

      Ja, klar. Und Sherlock Holmes war sein Reitlehrer.

      Ich stand im Türrahmen, der in den Kassenbereich führte, und sprach kein Wort. Ganz sicher wollte ich nicht, dass dieser Oberspinner »an mich gekettet« war. Wenn es hoch kam, dann kannte ich den Typen gerade einmal zehn Minuten. Und das reichte mir auch schon. Außerdem ließ sich leider nicht so ganz abstreiten, dass er wirklich zur Beschreibung des bösen Vinzenz passte. Man konnte sich durchaus vorstellen, dass er direkt von einem Maskenball kam. Und zuvor hatte schließlich ausgerechnet das letzte signierte Buch verrücktgespielt. Vielleicht war es tatsächlich kein Zufall, dass kurz darauf dieser Junge aufgetaucht war?

      Zwanzig Minuten vor Mitternacht.

      Doch das hätte auch bedeutet … Mir war schon wieder ganz schwindelig. Vinzenz war nun mal nicht gerade der Held seiner Geschichte, sondern derjenige, der …

       … versuchte, hinter seinem charmanten Grinsen die Dunkelheit seines Charakters zu verbergen. Der es schaffte, den perfekten Gentleman zu spielen, um von seinen wahren Absichten abzulenken …

      … der so hart im Nehmen war, dass ihn beim Knutschen nicht einmal Fischmundgeruch störte … und der es nun auf mich abgesehen hatte. Auf mich! Emma Grünwald, die mit diesen Romanen absolut nichts anfangen konnte. Nein, nein, nein. Ganz ruhig bleiben. So ein Schwachsinn. Vielleicht hatte ich mir bei dem Treppensturz heute Morgen einfach nur eine ganz heftige Gehirnerschütterung zugezogen? Ja, das musste es sein! Vinzenz war eine Halluzination. Leider wirkte er dafür aber erschreckend real. Er hatte sogar richtig menschliche Bedürfnisse.

      »Habt Ihr ein Wasserklosett?«, riss er mich aus den Gedanken. »Dummerweise vergisst diese abgetakelte Fregatte immer, eine Pinkelpause in die Handlung einzubauen. Ein schreckliches Verhängnis. Vor allem habe ich auf diesem Ball überaus viel Champagner getrunken, ich wollte Esma bezirzen. Ein kleiner Schwips schadet nie, nicht wahr?« Er lachte und schien auf eine Antwort zu warten, doch als diese nicht kam, spitzte er überrascht die Lippen. »Oho. Das Wasserklosett?«

      Leona schubste mich leicht an. »Ich glaub, der meint das Klo.«

      »D… dort«, stammelte ich heiser, deutete in den Raum hinter der Kasse und beleuchtete mit dem Strahl meiner Handylampe die Bürotür. »Aber das Licht geht nicht.«

      »Seid unbesorgt, ich stamme zwar aus dem 19. Jahrhundert, doch wie Ihr wisst, bin ich Zeitreisender und entsprechend im Besitz dieser höchst praktischen neuen Erfindung namens Taschenlampe.« Er atmete erleichtert auf und eilte davon.

      Kaum dass er weg war, starrte ich Leona entgeistert an, die mit offenem Mund hinter ihm hersah.

      »Leo, was machen wir jetzt?«

      »Ich habe nicht den leisesten Schimmer.«

      »Wir müssen ihn wieder loswerden, bevor er … er … etwas anstellen kann.«

      »Ja.« Leona nickte. »Das ist Vinzenz. Er hat auf jede erdenkliche Weise versucht, Phil den Garaus zu machen. Zum Beispiel mit Gift, Feuer und …«

      »Ich will das lieber nicht wissen«, entgegnete ich schnell und hoffte insgeheim immer noch, dass das in Wahrheit ein verdammt langer, abgefahrener Albtraum war, aus dem ich jede Sekunde in meinem Bett liegend aufwachen würde.

      Nur irgendwie geschah das nicht und es fühlte sich leider auch nicht wie ein Traum an.

      »Möglicherweise löst er sich in Luft auf, wenn es draußen hell wird«, überlegte Leona. »Wie eine Geistererscheinung.«

      Zaghaft warf ich einen Blick auf die Uhr. Es war halb eins in der Nacht. Bis zum Sonnenaufgang konnten wir also noch lange warten.

      »Emma …« Leona schluckte so laut, dass man es hören konnte. »Was ist, wenn das einer von Vinzenz’ bösen Plänen ist? Er versucht doch, auch andere Jahrhunderte zu bereisen, um der mächtigste Zeitreisende der Welt zu werden. Wer weiß, vielleicht hat er es jetzt mit der Realität versucht …«

      Ich sah sie verzweifelt an. »Leo, das ist doch nur eine Geschichte und der Kerl existiert