Booklove. Daphne Mahr. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Daphne Mahr
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783764192754
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Es handelte sich dabei mit Sicherheit nicht um Ware, die versehentlich bei den Unterlagen auf dem Schreibtisch gelandet war. Bei Bücher Grünwald gab es nämlich keine antiquarische Abteilung und dieses Werk hatte definitiv schon ein paar Jahrhunderte auf dem Buckel. Der Einband war aus dunkelblauem Stoff. Vorsichtig griff ich danach und las die auf dem Buchdeckel eingeprägte Goldschrift: Das sonderbare Leben des Krötensammlers Korbinian Krötenstaub.

      Was für ein beknackter Titel! Bei Gelegenheit musste ich Pa fragen, was das für ein Roman war. Ich legte ihn zurück.

      Leona stand immer noch dicht bei der Tür, in der Zwischenzeit war aber wieder etwas Farbe in ihr Gesicht zurückgekehrt. »Und, hast du ihn erwischt?«, flüsterte sie.

      Ich schüttelte betreten den Kopf. »Er hat sich aus dem Staub gemacht.«

      »Hm, hier ist niemand vorbeigekommen. Gibt es einen anderen Weg?«

      Bei diesen Worten erstarrte ich vor Schreck. Natürlich, ich war so dumm! Er war über den Hinterausgang in den Hof abgehauen. Mit etwas Glück konnten wir ihn noch abfangen. »Schnell!«, rief ich und rannte los, dieses Mal dicht gefolgt von Leona. Wir stürmten durch das Büro bis zu dem winzigen Übergang, der zu einer Toilette und anschließend weiter in den Hof führte. Vor der verschlossenen Tür hielt ich an und drückte die Klinke herunter. Es war abgeschlossen. Verärgert rüttelte ich noch einmal und trat dann mit dem Fuß gegen das Holz. Das hier war der einzige Eingang, für den ich keinen eigenen Schlüssel besaß, weil Pa es nicht nötig fand, dass ich jederzeit durch den Hintereingang ins Büro konnte. Geschäftsunterlagen blablabla … Jetzt zeigte sich, wie sinnvoll seine Übervorsicht war.

      Leona bückte sich und stützte die Hände auf ihren Knien ab. »Emma, er kann nicht rausgegangen sein. Wie sollte er denn die Tür geöffnet haben?«

      »Aber dann muss er noch da sein, es gibt nur diese beiden Ausgä…« Ich hatte den Satz noch nicht zu Ende gesprochen, als ein lauter Knall ertönte. Die Lichter der Neonröhren gingen schlagartig aus. Von einer Sekunde auf die andere standen wir in völliger Dunkelheit. Auch die Schreibtischlampe leuchtete nicht mehr.

      »Ein Stromausfall?«, wunderte ich mich.

      An einem Tag wie dem heutigen würde Pa eine derartige technische Panne mit Sicherheit völlig aus der Fassung bringen.

      Nachdem wir uns durch die Finsternis getastet hatten und ich endlich die Türklinke zum Verkaufsraum niederdrückte, staunte ich nicht wenig darüber, dass es im Kassenbereich vollkommen still war. Bei über hundert Leuten, die während einer Signierstunde von einem Stromausfall überrascht wurden, war das doch ziemlich merkwürdig. Meine Verwunderung wurde noch ein ganzes Stück größer, als ich den Raum betrat und nicht einmal die dunklen Umrisse anderer Personen sehen konnte. Alles schien perfekt aufgeräumt, so wie es gewöhnlich nur der Fall war, wenn Pa bereits Feierabend gemacht hatte und über die Wendeltreppe nach oben in unsere Wohnung gegangen war.

      »Wo sind die denn alle?«, flüsterte Leona.

      Ich gab keine Antwort, kramte hastig das Handy aus meiner Hosentasche und starrte fassungslos auf den Bildschirm. Es war bereits dreiundzwanzig Uhr. Wie konnte das sein? Bestimmt hatten wir uns nicht länger als eine Viertelstunde im hinteren Bereich des Geschäfts aufgehalten. Wenn die Anzeige aber stimmte, dann waren es in Wahrheit ganze VIER Stunden gewesen. Ratlos schlich ich weiter bis zum gläsernen Eingangsbereich, um das Metallschild zu betrachten, das daran hing. In großen Buchstaben zeigte die Seite mit der Aufschrift »Geschlossen« hinaus auf die Kleegasse. Ich konnte fühlen, wie das gesamte Blut aus meinem Gesicht wich.

      Nervös kramte ich in den Seitentaschen meiner Jeans nach dem Wohnungsschlüssel. Noch während ich suchte, schlich ich vorsichtig die Holzstufen der Wendeltreppe empor.

      Oben stellte ich verärgert fest, dass ich meinen Schlüssel in all der Eile heute Morgen wahrscheinlich irgendwo in meinem Zimmer vergessen hatte. Er befand sich nicht in meiner Hosentasche und natürlich war der Wohnungseingang abgeschlossen. Ich klopfte laut. »Pa, kannst du bitte öffnen?« Eine Minute verstrich, in der nichts geschah, dann hämmerte ich erneut gegen die Tür. »Hallo, du hast uns eingesperrt!« Wieder nichts. Zaghaft presste ich mein Ohr an die Tür und lauschte. Totenstille. Nicht einmal ein Schnarchen war zu hören. Pa legte sich nach der Arbeit meistens aufs Sofa und las. Aber so laut, wie ich geklopft hatte, hätte er mich dabei garantiert gehört, selbst wenn er eingenickt wäre. Solange er nicht schnarchte, hatte er normalerweise einen relativ leichten Schlaf. Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht …

Vier

      Ich ging die Treppe wieder hinunter, knipste das Licht meines Handys an und leuchtete direkt in Leonas verängstigtes Gesicht. Ihr strubbeliger Dutt hatte sich fast aufgelöst, was sie ein wenig aussehen ließ, als stünden ihr die Haare vor Schreck zu Berge. »Die können doch nicht alle einfach verschwinden, eben waren noch fast hundert Leute hier«, keuchte sie. »Ruf deinen Vater an, er muss uns hier rausholen!«

      Ich hielt Leona den Bildschirm des Smartphones vor die Nase, auf dem unübersehbar »Kein Netz« stand. Leonas Augen weiteten sich und wirkten verdächtig wässrig. »O Mist, Emma, was ist hier los? Waren wir in einem Zeitloch?«

      Wir kannten einander seit dem Kindergarten und es war kein großes Geheimnis, dass Leo immer schon Schiss in der Dunkelheit gehabt hatte (außerdem vor Spinnen und den Schwänen im Park).

      Ich legte tröstend einen Arm um ihre Schulter. »Nein, Zeitlöcher gibt es in der Realität nicht. Wir haben einfach nur vor lauter Aufregung übersehen, wie lange wir im Büro waren. Ich bin sicher, Pa merkt bald, dass er uns hier vergessen hat, und dann kommt er uns holen.« Das hoffte ich wirklich.

      »Und was machen wir bis dahin?«, schniefte Leona.

      »Keine Ahnung.« Mein Blick fiel auf das Lesepult, an dem Hannah Ruderer zuvor barfuß gesessen hatte und ihre neusten kitschigen Ergüsse vorgelesen hatte. Dort lag noch eine letzte signierte Ausgabe Zwanzig Minuten vor Mitternacht. Lächelnd löste ich mich von Leona und nahm das Buch in die Hand. »Wir können das Ende lesen, darauf hast du dich doch schon gefreut.«

      »Ich lese doch nicht das Ende zuerst«, antwortete Leona entsetzt und verschränkte die Arme vor der Brust. Sie ließ sich auf einen der Stühle plumpsen. Wenigstens war darüber ihre Angst für einen Moment vergessen. »Dafür muss ich erst einmal wissen, was dazwischen alles passiert. Wie Phil die Sache mit Esma und Vinzenz löst … und so.«

      »Hm.« Ich nahm hinter dem Lesepult Platz und legte den Roman vor mich auf die Tischplatte. Mit der rechten Hand hob ich die Handylampe an, sodass der Buchdeckel gut beleuchtet wurde, mit der anderen blätterte ich fast bis an den Schluss. Dieser Wälzer war beinahe vierhundert Seiten stark, aber die Fans wären vermutlich sogar in Begeisterungsstürme ausgebrochen, hätte er über tausend Seiten gehabt. Jede Kapitelüberschrift wurde von kringeligen Rosenranken umrandet, auf denen die schemenhaften Schattenzeichnungen kleiner Figuren tanzten.

      Ich räusperte mich übertrieben, sah Leona an und sagte in nasalem Tonfall: »Vielen Dank für das zahlreiche Erscheinen, heute lese ICH, gefeierte Bestsellerautorin Emma Grünwald, aus meinem neusten Werk. Wir beginnen mit dem …« Verwundert hielt ich inne. Plötzlich hatte ich das eigenartige Gefühl, jemand hätte dicht an meinem Ohr »Anfang« geflüstert. Mist. Wahrscheinlich spielte die eigene Angst mir einen Streich, denn selbst wenn ich das Leona auf gar keinen Fall zeigen durfte, fand ich die Buchhandlung in der Dunkelheit auch nicht unbedingt wenig spooky. Besonders die düsteren Ecken zwischen den Regalen.

      »… Ende«, fuhr ich fort. »Ein Flüstern in der Nacht.«

      Und in diesem Moment war mir, als würde es bei den Kinderbüchern eigenartig knarzen. Gab es Mäuse im Laden?

      Vielleicht sollte Pa die dicke Perserkatze Kunigunde in Zukunft nicht immer wegjagen, wenn sie sich wieder einmal aus der Nachbarswohnung über den Hof ins Büro geschlichen hatte, um ein Nickerchen auf den Aktenordnern zu