Die Mitglieder des FC Bayern waren hauptsächlich Studenten, Künstler, Kaufleute und andere Selbstständige. Elisabeth Angermair entdeckte in Archiven, dass um die Jahrhundertwende in der 1. Mannschaft des Bayern-Vorläufers MTV 1879 ein angehender Notar, ein Apotheker, ein Filmregisseur, ein Opernsänger und der spätere Direktor des Nationalmuseums, Dr. Buchheit, kickten.8 Die frühen Bayern werden in der Literatur häufig als »Studentenclub« tituliert. Unter den 17 Unterzeichnern der Gründungsurkunde befanden sich allerdings de facto nur zwei Studenten.
Von München nach Berlin und in die »Neue Welt«
Die Bayern-Pioniere John, Pollack und Manning sahen bald ihre Mission erfüllt. Franz John verließ den FC Bayern bereits 1903 wieder. John kehrte nach Pankow zurück, wo er 1904 das Fotolabor eines gewissen Bernhard Westphal übernahm und Präsident seines Stammvereins VfB Pankow wurde. Nach seinem Tod wurde der Hobbypoet in Fürstenwalde (Spreewald) beerdigt. Heiner Gillmeister beschrieb das Grab des ersten Bayern-Präsidenten als »total vernachlässigt«. Es sei nicht einmal mit einem bescheidenen Grabstein versehen.9
Josef Pollack, den Gus Manning 1902 auch in die Führung des Verbands Süddeutscher Fußballvereine holte, emigrierte 1903 in die USA, wo er Verwandtschaft besaß. Der erste »Sturmführer« in der Geschichte des FC Bayern, ein Goalgetter im Stile von Gerd Müller, fand in New York Anstellung bei der Firma »Max Pollack and Company«. Die Firma produzierte Fäden. Später war Pollack an der Gründung der US Thread Association beteiligt (Verband der Fädenhersteller) und wurde deren Präsident. 1934 wurde er auch Präses von deren Nachfolgeorganisation Thread Institute und nach Beendigung seiner beruflichen Karriere deren Ehrenpräsident. Pollack saß im Beirat der Chase Manhattan Bank. In seiner Freizeit widmete er sich u.a. dem jüdischen Gemeindezentrum von White Plains im Bundesstaat New York, wo Pollack sich in den 1920ern niedergelassen hatte. Pollack diente dem Gemeindezentrum als Vize-Präsident und Schatzmeister. Vom Fußball hielt sich der Mitbegründer des FC Bayern in der »Neuen Welt« fern und schwang stattdessen den Golfschläger. Josef Pollack starb 1958 79-jährig und fand seine letzte Ruhe auf dem Union Field Cemetery in Brooklyn. Er hinterließ seine Ehefrau Leona Baum Pollack und einen Sohn Edward. Heiner Gillmeister berichtete, dass Letzterer Ende der 1990er in einem Altersheim im Bundesstaat Florida lebte. Doch verweigerte Edward Pollack jegliche Kommunikation mit einem Deutschen. Die Nazis hatten seine gesamte Familie ermordet.10
1905 emigrierte auch Gustav Rudolf Manning in die USA, wo er – im Gegensatz zu Pollack – dem Fußball aufs Engste verbunden blieb. In New York wurde aus Gustav Rudolf Manning Gus Randolph Manning. Der anerkannte Internist avancierte zu einer der bedeutendsten Figuren im US-Soccer. 1911 wurde Dr. Gus Manning erster Präsident der American Amateur Football Association (AAFA), 1913 erster Präsident der United States Football Association (USFA, heute: United States Soccer Federation/USSF). Mannings Ziel lautete, Soccer in den USA als nationalen Wintersport zu etablieren, was ihm jedoch nicht gelang. 1914 nahm Manning am Olympischen Kongress in Berlin teil und kündigte für das Olympische Fußballturnier 1916 ein US-Soccer-Team an. Der Erste Weltkrieg, in dem Manning als Commanding Officer des 339. Feldlazaretts im Camp Custer, Michigan diente, verhinderte dies. 1948 wurde Manning als erster US-Amerikaner in das FIFA-Exekutivkomitee gewählt, wo er sich für die Wiederaufnahme des DFB in die FIFA stark machte.11
Landauer, die Erste
Das Mitwirken von jüdischen Bürgern fand mit der Emigration der Pioniere Pollack und Manning kein Ende. 1913 wählte der FC Bayern Kurt Landauer (28.7.1884-21.12.1961) zu seinem Präsidenten. Kurt Landauer, der in den folgenden 20 Jahren die Geschichte des FC Bayern wie kein anderer prägen sollte, wurde in Planegg als Sohn der jüdischen Kaufmannsleute Otto und Hulda Landauer geboren. Kommerzienrat Otto Landauer verfügte über Eigentum in Münchens Kaufingerstraße, wo es eine Reihe jüdischer Kaufleute und Hauseigentümer gab. Als Schüler besuchte Landauer sechs Klassen des Humanistischen Gymnasiums in München und nahm anschließend – im Juni 1901 – eine Banklehre in Lausanne auf. Im gleichen Jahr war Landauer den Bayern beigetreten, denen er zunächst als aktiver Fußballer, später als Mitarbeiter der Klub-Administration wirkte. Nach Beendigung seiner Lehrzeit als Bankangestellter in Florenz kehrte Landauer im Frühjahr 1905 nach München zurück und trat ins elterliche Geschäft in der Kaufingerstraße ein.
Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs setzte der ersten Amtszeit des Präsidenten Landauer ein frühes Ende. Nach seiner Rückkehr aus dem Krieg übernahm Landauer erneut die Führung des Klubs. Seine zweite Amtszeit währte vom Frühjahr 1919 bis März 1933, mit einer einjährigen Unterbrechung. 1922 verzichtete Landauer vorübergehend auf das Amt, nachdem die Landauer-Brüder das Eigentum in der Kaufingerstraße geerbt hatten, das sie in den folgenden Monaten stark beschäftigen sollte.
Unter dem ideenreichen und energischen Landauer erwarb der FC Bayern in den 1920ern und frühen 1930ern hohes Ansehen im In- und Ausland. Hierzu trugen auch die zahlreichen internationalen Begegnungen bei, die der FC Bayern in diesen Jahren bestritt und in denen sich der weltoffene, moderne und ambitionierte Charakter des Klubs manifestierte. Gastspiele ausländischer Mannschaften dienten sowohl der Völkerverständigung wie der qualitativen Verbesserung des Bayern-Fußballs. Denn vom Ausland konnte der deutsche Fußball damals noch eine Menge lernen. Kaum ein anderer deutscher Verein dürfte in den Weimarer Jahren so viele internationale Gäste empfangen haben wie der FC Bayern.
Der Lokalrivale TSV 1860 München dachte diesbezüglich anders. Dr. Ernst Müller-Meiningen, Vorsitzender der Löwen, wird im Jahre 1923, als der FC Bayern schon munter international kickte, mit folgenden Ansichten zitiert: »Sportliche Wettkämpfe dürften zurzeit nicht nur nicht mit Frankreich und Belgien, sondern auch mit Italien, Polen, Tschechoslovakei etc. nicht ausgetragen werden. Wer nicht so viel nationalen Stolz habe, schade der deutschen Turn-und Sportbewegung. Und gäbe denen Recht, die in dieser Bewegung zersetzende Einflüsse feststellen möchten. Jetzt heißt es: nationale Interessen über alles.«12
Kurt Landauer
Als Vermittler internationaler Begegnungen diente wiederholt der bereits erwähnte ehemalige MTV-Fußballer Walther Bensemann, der wie kein anderer im deutschen Fußball über internationale Kontakte verfügte. Der FC Bayern verfügte über sämtliche Ingredienzen eines »Bensemann-Klubs«: Der FC Bayern war zutiefst bürgerlich, hatte viele gebildete Leute in seinen Reihen, besaß eine offene Flanke gegenüber der Boheme-Kultur, war politisch liberal, hieß auch jüdische Bürger herzlich willkommen und liebte die internationale Begegnung.
1922 schrieb Bensemann im »Kicker«: »Die erste Mannschaft von Bayern München beabsichtigt, in Prag zu spielen, und ersucht um meine Vermittlung. Vorgeschlagen werden der 13. und 15. August für zwei Wettspiele. Die Liga-Mannschaft würde in stärkster Aufstellung unter Führung von Hans Tusch und den alten Kanonen Schneider, Schmidt, Hofmeister, Kienzle und Hoffmann und dem jungen Maschinengewehr Pöttinger antreten (…) Meine Herren von der Slavia, der Sparta, Union, Kladno und allen anderen erstklassigen Vereinen, bitte teilen Sie mir mit, ob Sie die beiden Termine für den sympathischen Münchener Club freihalten können und machen Sie mir diesbezüglich eine Offerte, die ich dann der Expedition übersenden kann.«13
Der FC Bayern empfing in diesen Jahren zahlreiche klangvolle Namen. Die internationalen Spiele mobilisierten ein großes öffentliches Interesse und gerieten zu Fußballfesten. Mit MTK Budapest, Blauw-Wit Amsterdam, DFC Prag und Racing Club Paris gastierten auch Klubs in München, bei denen Juden relativ stark vertreten waren und die wie der FC Bayern als »Juden-Clubs« firmierten.