Auch Kurt Landauer kam nach 33 Tagen wieder frei, »weil ich als früherer Frontkämpfer zur schnelleren Entlassung kam«.37 Zu seinem Arbeitsplatz konnte Landauer allerdings nicht mehr zurückkehren. Während seiner Haftzeit wurde auch die Firma Rosa Klauber »arisiert« und Landauer durch die Nachfolgefirma Lüdecke & Straub mit sofortiger Wirkung seiner Dienste enthoben. Landauer war somit erwerbslos.
In der Zeit vom 1. Januar 1938 bis zum Auswanderungsverbot am 1. Oktober 1939 gelang reichsweit noch etwa 170.000 Menschen die Flucht. So auch Kurt Landauer, der am 15. Mai 1939 in die Schweiz nach Genf emigrieren konnte, dorthin, wo einige Jahre zuvor auch Bensemann Zuflucht gefunden hatte. (Bensemann zog 1934 nach Montreux am Genfer See, wo er noch im gleichen Jahr verstarb.) Zu diesem Zeitpunkt war es für flüchtende Juden bereits äußerst schwierig, in das »neutrale« Land zu gelangen. In Genf lebten bereits Angehörige der Familie Klauber, die Landauer bei der Einwanderung halfen. In Genf unterhielt Landauer Kontakte zum FC Servette, gegen den die Bayern vor 1933 wiederholt Freundschaftsspiele bestritten hatten. Als die Bayern-Elf nun wieder in Genf gastierte, saß auch Landauer auf der Tribüne. Die Mannschaft ließ es sich nicht nehmen, ihren langjährigen Präsidenten zu begrüßen, wofür sie nach ihrer Heimkehr von den Machthabern schwer gescholten wurde.
Die jüdischen Kaufleute in der Kaufingerstraße waren von den Nazis längst enteignet worden, viele von ihnen wurden später auch ermordet. Ihr Eigentum ging an »Arier« deutscher oder auch US-amerikanischer Nationalität. Bis 1938 gehörte die Kaufingerstraße 26, die an die Woolworth AG Berlin vermietet war, den Brüdern Kurt und Franz Landauer. Am 9. November 1939 übernahm Woolworth die Immobilie als Besitz.
Kurt Landauers Geschwister Dr. Paul Gabriel, Franz und Leo wurden von den Nazis ermordet. Paul Gabriel wurde im November 1941 in den Osten deportiert. Mit etwa 1.000 anderen Juden wurde er am 25. November 1941 in Kowno (Kaunas/Litauen) von Angehörigen der Einsatzgruppe A erschossen. Franz Landauer konnte 1939 den nationalsozialistischen Judenjägern zunächst durch Flucht nach Amsterdam entkommen. Als ihn ein Denunziant wegen despektierlicher Äußerungen über die Nazi-Okkupanten denunzierte, wurde Franz Landauer verhaftet und in München vor Gericht gestellt. Auf der Fahrt nach München wurde Franz Landauer von einem Gestapo-Beamten »begleitet«, der von ihm wissen wollte, ob er ein Bruder des ehemaligen Bayern-Präsidenten sei. Als Franz Landauer dies bejahte, offenbarte sich der Gestapo-Mann als Bayern-Fan, was für den Gefangenen wenigstens eine angenehme Reise zur Folge hatte. In München wurde Franz Landauer freigesprochen und kehrte nach Amsterdam zurück. Nach einer erneuten Verhaftung kam Franz Landauer 1943 im KZ Westerbork ums Leben.
Leo Landauer, der 1939 nach Berlin umgezogen war, kam 1942 im Vernichtungslager Majdanek um. Gabriele Landauer, verheiratete Rosenthal, wurde am 4. April 1942 nach Piaski deportiert und gilt seither als verschollen. Außer Kurt überlebte nur noch eine weitere Schwester namens Henny den Nazi-Terror. Henny Landauer hatte 1919 den Rechtsanwalt Julius Siegel geheiratet. Das Paar emigrierte 1934 nach Palästina, nachdem die Nazis Dr. Julius Siegel durch die Straßen Münchens getrieben hatte. Henny Siegel-Landauer starb 1973 in Israel. Ihr Sohn Uri (Jg. 1922) kehrte Mitte der 1950er nach München zurück, wo er in die Fußstapfen seines Vaters trat und als Rechtsanwalt arbeitete. Der Neffe von Kurt Landauer ist der letzte Überlebende der Familie.38
Auf der offiziellen Internetseite der Gemeinde Planegg, der Heimat der Landauer-Familie, heißt es über die NS-Zeit: »Nicht vergessen und verdrängt werden darf das Leid und Unrecht, das in der Zeit des Nationalsozialismus auch in unserer Gemeinde vor allem jüdischen Mitbürgern angetan wurde. In der so genannten Reichskristallnacht vom 9. auf den 10. November 1938 kam es zu einer größeren Aktion gegen Dr. Rudolf Frhr. von Hirsch. Das Schloss wurde angezündet, wobei mehrere Zimmer ausbrannten. Sämtliche jüdischen Mitbürger wurden, soweit sie sich nicht durch Auswanderung retten konnten, in Konzentrationslager eingeliefert, zwei Familien kamen dabei ums Leben.«39
Als die US-Armee am 30. April 1945 München, die einstige »Hauptstadt der Bewegung«, übernahm, lebten nur noch 84 Juden in der Stadt.
Landauer, die Zweite
Am 26. Juni 1947 kehrte Landauer nach München zurück. Das »Sport-Magazin« meldete: »Kurt Landauer, süddeutscher Fußballpionier, ist zurück aus der Emigration.«40 Der mittlerweile 63-jährige Landauer, der nun in der Virchowstraße 14 wohnte, blieb noch bis zum 31. Dezember 1949 erwerbslos. »In der Schweiz hatte ich keinerlei Verdienstmöglichkeiten und bin dann auch aus diesem Grunde wieder nach Deutschland zurückgekehrt. (…) Nach meiner Rückkehr nach Deutschland habe ich zunächst gar nichts getan, es war mir nicht möglich gewesen, irgendwo unterzukommen. Dies gelang mir erst ein Jahr nach der Währungsreform durch das persönliche Entgegenkommen des Herrn Stadtrat Richard Pflaum, wo ich dann in seinem Verlag, dem Richard Pflaum Verlag, München, ab 1. November 1948 bis zum 31. Oktober 1949 tätig gewesen bin.«41
Bescheid in der »Wiedergutmachungsangelegenheit « Kurt Landauer.
1947 wählte die Jahreshauptversammlung des FC Bayern Kurt Landauer erneut zum Präsidenten, der er nun bis 1951 blieb, bevor er, 65-jährig, für immer zurücktrat. Nach Gründung der Oberligen und der Einführung des Vertragsspielers war Landauer auch noch Vorsitzender der Interessensgemeinschaft der süddeutschen Vertragsspielervereine. Mit insgesamt 16 Amtsjahren wird Kurt Landauer in der Geschichte der Bayern-Präsidenten nur von Wilhelm Neudecker übertroffen.
Auch ein anderer Nazi-Gegner kehrte zurück in Amt und Würden. Seit dem 4.Mai 1945 hieß Münchens Oberbürgermeister wieder Karl Scharnagl, ein alter Bekannter Landauers. Bereits vier Tage vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs hatten die Amerikaner den integren Politiker wieder eingesetzt. Scharnagl in seiner ersten Rede vor dem von der Besatzungsmacht eingesetzten Stadtrat: »Wir können uns nicht scharf genug trennen von allen jenen, die durch ihre Mitarbeit in mehr oder minder großem Maße die NSDAP hochgebracht und ihr verbrecherisches Treiben so viele Jahre hindurch gestützt haben.Wir wollen keine Hass- und Vergeltungspolitik betreiben; wir wollen und müssen aber verhindern, dass auch nur Reste dieser verkommenen Anschauung gewissenloser Elemente in unserer Bevölkerung und vor allem im öffentlichen Leben bestehen bleiben können.«42