In dem Bekenntnis der Vereine des Dachverbandes DRA zur politischen und konfessionellen Neutralität erblickte Moses einen Akt zur Diskriminierung. »In den Statuten unserer Fußballklubs«, hieß es in seiner Polemik, »darf das Wort ›Jude‹ nicht vorkommen, weil es in diesem Fall unmöglich sein würde, in einem großen Ballspielverband aufgenommen zu werden. Nach den Statuten sind die Fußballklubs also Vereine, die die Pflege des Fußballsports treiben, weiter nichts. In Wirklichkeit sagt man uns immer wieder, man kann natürlich in diesem Fußballklub jüdisch arbeiten, ohne dass es andere zu wissen brauchen. Erstens: Man kann, wenn man will, aber man will ja gar nicht. Zweitens: Ohne dass Außenstehende es merken. (…) Haben wir es nötig, des Fußballes wegen ein ghettohaftes Leben zu führen? Heraus aus den Verbänden, die sich scheuen, Vereine aufzunehmen, die sagen, dass sie Juden sind und sich jüdisch betätigen wollen, da alles andere Verhalten einer Würdelosigkeit gleichkommt.« Es war indes nicht allein die Gefährdung der jüdischen Sache, die diese Polemik provozierte, sondern auch die unbestrittene Tatsache, dass der Fußball in den 20er Jahren dem Turnen viele Mitglieder abwarb, auch den jüdischen Turnvereinen – und Moses turnte in Dresden.
In Berlin entstand unterdessen am 17. Mai 1924 mit dem S.C. Hakoah ein Verein, der sich vorwiegend dem Fußball widmete. Das Datum dieser Genese entsprang keineswegs dem Zufall, denn kurz zuvor war die weltberühmte Wiener Hakoah zu zwei Gastspielen nach Berlin gekommen (im März erreichte Tennis Borussia ein 3:3-Remis, im Mai gewann Hertha BSC 4:3). Ein Jahr später hatte der Verein bereits 400 (meist Fußball spielende) Mitglieder gewonnen, 1928 konnte der Vereine mit doppelter Mitgliederzahl sogar größere Sportanlagen finanzieren. Doch die jüdische Erziehungsarbeit in Klubs dieser Prägung schien Turnern wie Erich Moses immer noch nicht zu reichen. »Auffallend ist, dass die Mitglieder der Fußballklubs sich zu 99% aus Ostjuden rekrutieren«, schrieb Moses in besagtem Text, »wenn die jüdischen Fußballklubs nur deutsche Juden als Mitglieder hätten, könnte man die ajüdische Einstellung verstehen, da sie es von Haus aus nicht besser verstehen. Oder glauben unsere ostjüdischen Brüder, dass sie es nicht mehr nötig haben, sich mit jüdischen Dingen zu beschäftigen?« Auch im Fußball spiegelte sich mithin der Konflikt der jüdischen Gemeinden: der große Konflikt zwischen etablierten, assimilierten und just immigrierten Juden.
Der S.C. Hakoah Berlin jedenfalls entwickelte sich zu dem größten jüdischen Fußballklub Deutschlands, und seine Mitgliederstärke bewog den etablierten Klub »Bar Kochba« 1930 sogar zur Fusion mit der Hakoah. Was der Makkabi-Verein damit bezweckte, verriet die letzte Sitzung vor dem Zusammenschluss. Ein Vorstandsmitglied glaubte, so steht es im Protokoll, das in der Zeitschrift »Makkabi« veröffentlicht wurde, »dass man den Enthusiasmus der Ostjuden für den Fußballsport auf das Gebiet des Zionismus leiten könne. Wenn der Hakoah auch nichts mitbringe als diesen Enthusiasmus, so liege es nur an uns, diesen in die richtigen Weg zu leiten.« Sportlich indes waren die Ha-koahner mitnichten so erfolgreich wie ihre Wiener Vorbilder, 1928 reichte es zum Aufstieg in die Kreisliga, der zweithöchsten Klasse Berlins. Dennoch waren in ihr einige bekanntere Spieler aktiv, so etwa der ehemalige TeBe-Repräsentative Hanne Reiff, der allerdings seinen sportlichen Zenit bereits überschritten hatte, als er Ende der 20er Jahre zu Hakoah kam. Aus der eigenen Jugend kam dagegen Paul Kestenbaum, der nicht nur 1932 im deutschen Team an der 1. Makkabiade in Palästina teilnahm, sondern auch für Palästina die zwei Qualifikationsmatches zur WM 1934 gegen Ägypten bestritt.
Vereinsemblem SC Hakoah Berlin
Nach 1933: Scheinblüte und Vernichtung
Zu den Umständen des jüdischen Fußballs in Berlin nach 1933 ist wenig Genaues bekannt. Sporthistoriker sprechen aufgrund der höheren Mitgliederzahlen zwischen 1933 und 1938 von einer »Blüte des jüdischen Sports«, aber er blühte eben nur zum Schein.16 So wie in anderen Orten auch, kam es zu großen Konflikten zwischen den zionistischen Vereinen und den 1933 entstandenen Vereinen über ideologische Fragen; diejenigen Juden jedenfalls, die schon vor 1933 eine Assimilation im Sport abgelehnt hatten, dürften nach der »Machtergreifung« ihre Überzeugung bestätigt gesehen haben, dass das Modell der jüdischen Assimilierung auch im Sport zum Scheitern verurteilt war. Die Aufarbeitung der Schicksale des jüdischen Fußballs im »Dritten Reich« jedenfalls steht noch aus, Berlin bildet da keine Ausnahme. Nur von den wenigsten Persönlichkeiten ist der weitere biografische Weg bekannt. Das TeBe-Gründungsmitglied Dr. Jaques Karp emigrierte wie sein Bruder Leo offenbar 1937 in die britische Küstenstadt Hov; Julius Guth starb im litauischen KZ Kovno, so wie sich die allermeisten Spuren der jüdischen Fußballer Berlins in der Apokalypse des Zweiten Weltkrieges verlieren. Dem Gründer, Vorsitzenden und langjährigen Mäzen Tennis Borussias, Alfred Lesser, gelang 1939 die Flucht in die Vereinigten Staaten. Wie sehr Männer wie Lesser unter dem Ausschluss aus ihren Vereinen und den Diskriminierungen gelitten haben müssen, zeigt ein Brief aus den USA im Jahre 1952. Immer noch lege sie, schrieb Lessers Witwe Tutti in einem Beitrag für die Festschrift zum 50. Jubiläum der Tennis Borussia, lila-weiße Blumen auf das Grab ihres Mannes, »Tennis Borussia gehörte doch so sehr zu seinem Leben!«
Nie wieder hat sich der jüdische Sport vom Holocaust wirklich erholt, nie wieder haben in Berlin so viele Juden Fußball gespielt wie in den 20er und 30er Jahren. Die weiterhin elitäre Tennis Borussia hatte zwar seit dem Zweiten Weltkrieg mit dem Showmaster Hans (»Hänschen«) Rosenthal und dem Musikproduzenten und vormaligen Fußballprofi Jack White wiederum jüdische Vereinspräsidenten, doch nie wieder – auch nicht in den erfolgreichen 50er Jahren – besaß der Verein einen vergleichbaren Status wie in jenen Jahren der Weimarer Republik. Nach den Auflösungen aller jüdischen Klubs 1938 existiert seit dem 26. November 1970 mit dem TuS Makkabi Berlin heute wieder ein jüdischer Verein mit über 600 Mitgliedern. Er betrachtet sich als legitimer Nachfolger des 1898 gegründeten Vereins »Bar Kochba«, im Vordergrund steht der Breitensport. Es existiert auch eine etwa 240 Mitglieder umfassende Fußballabteilung, die momentan in der Bezirksliga spielt. Nach Auskunft des Vereins sind antisemitische Pöbe-leien während der Spiele in den letzten Jahren weniger geworden.
Der jüdische Fußball besaß nicht nur seine Wurzeln in Berlin, er beein-flusste auch von Berlin aus maßgeblich die Entwicklung des gesamten deutschen Fußballsports. Die Gebrüder Manning gerieten zu großen Vorbildern der ersten Berliner Fußballgeneration, ganz zu schweigen