Den sportlichen Erfolg des Vereins verkörperten in erster Linie Spieler wie Simon Leiserowitsch (auch er ein Jude), die Brüder Walter und Oskar Lutzenberger und Fritz Baumgarten, die oft als »Repräsentative« für Berliner Auswahlmannschaften zum Einsatz kamen. Und Fritz Baumgarten stand im Tor, als Deutschland 1908 zu seinem ersten Länderspiel in Basel antrat und dort mit 3:5-Toren der Schweiz unterlag. Fast selbstverständlich wirkten TeBe-Mitglieder auch sportpolitisch im Dachverband. Theodor Sachs etwa, auch er ein jüdisches Gründungsmitglied des Vereins, arbeitete 1905 als Obmann des Verbandes Brandenburgischer Ballspielvereine (VBB) im Mel-deausschuss. 1915 fasste TeBe etwa 200 Mitglieder und war damit einer der größten Berliner Sportvereine; wie überall aber stellte der Erste Weltkrieg auch in diesem Klub eine tiefe Zäsur dar: 55 gefallene Mitglieder beklagte der Verein 1918. Viele von ihnen hatten sich freiwillig gemeldet, denn auch bei TeBe hatten Patriotismus und Kriegsbegeisterung um sich gegriffen.
In der Weimarer Republik behielt der Verein sein elitäres Image, bestärkt noch durch vermehrte internationale Kontakte. So war es alles andere als ein Zufall, dass ausgerechnet dieser Klub, vermutlich angeregt durch Außenminister Stresemann, mit einer heiklen außen- und sportpolitischen Mission beauftragt wurde. Im Oktober 1924 spielte Tennis Borussia als erster deutscher Fußballverein aus dem Deutschen Reichsausschuss für Leibesübungen (DRA), dem Dachverband des bürgerlichen Sports, nach dem Ersten Weltkrieg gegen eine Elf des französischen »Erzfeindes«.10 Sowohl das Hinspiel in Paris gegen den »Club de Francaise« (3:1 für TeBe) wie auch das Rückspiel in Berlin (5:1) einen Monat später verlief nach den Wünschen des Außenministers, der von 1924 an die Verständigungspolitik mit Frankreich favorisierte. Wie der Kontakt zwischen Politik und TeBe zustande kam, ist zwar nicht en detail belegt, liegt aber auf der Hand. Denn TeBe-Mitglied Ernst Lemmer saß seit 1924 als Abgeordneter im Berliner Reichstag (und wurde übrigens in den 50er und 60er Jahren für die CDU Bundesminister in verschiedenen Ressorts) – für die DDP, die Partei des Außenministers.
Die Mannschaft von Tennis Borussia Berlin in den 1920er Jahren. Ganz links Simon Leise-rowitsch, ganz rechts sein Bruder Fritz, in der Mitte Otto Nerz, der spätere Reichstrainer.
Im Vorfeld dieser heiklen Begegnungen wurde die Wahl TeBe’s von vielen Fußballfunktionären noch scharf kritisiert, da Tennis Borussia noch nicht zu den stärksten Klubs des Landes zählte. Bald aber stießen die Fußballer in die Spitze vor, bedingt nicht allein durch das Mäzenatentum, sondern auch durch exzellente Trainingsarbeit. Vor allem die Schule Otto Nerz’ wurde in diesem Zusammenhang viel gerühmt. Nerz, der an der nahe gelegenen Deutschen Hochschule für Leibesübungen Fußball dozierte, probierte erfolgreich neueste trainingswissenschaftliche Erkenntnisse im Verein aus, auch wenn diese Praxis von der Konkurrenz oft belächelt wurde. Überhaupt profitierte der Klub vom Austausch mit der ersten Sportuniversität der Welt, denn viele neue Studenten wie Herberger waren aktiv bei TeBe. Zwischen 1925 und 1933 wurde dort der zweitbeste Klubfußball Berlins gespielt, diverse »Veilchen« spielten in regionalen Auswahlteams, Eschenlohr, Lux, Martwig, Schröder und Schumann sogar in der Reichsauswahl, die von 1926 an von ebenjenem Otto Nerz trainiert wurde. Dass Nerz im Juni 1943 in drei antisemitischen Zeitungsartikeln im auflagenstarken Berliner »12 Uhr Blatt« ein »judenfreies Europa« forderte, gehört zu den verwirrenden Aspekten dieser Beziehung zwischen Nerz und seinem ehemaligen Verein. Noch seltsamer wirkt es aus heutiger Sicht, dass die Festschrift zum 50. Jubiläum Tennis Borussias einen historischen Text aus der Feder genau jenes Trainers ziert, der neun Jahre zuvor die Vernichtung des jüdischen Sports geistig vorzubereiten geholfen hatte.
Dass Tennis Borussia in den 1920er Jahren viele jüdische Mitglieder besaß, ist unbestritten. Bereits der englische Sozialwissenschaftler Mike Ticher war in seiner bislang unpublizierten Studie davon ausgegangen, dass weit über zehn Prozent der TeBe-Mitglieder jüdisch waren.11 Für die »Spitze des Klubs«, wie er sich ausdrückt, vermutet er das Doppelte oder gar Dreifache. »Im Allgemeinen«, so Ticher wörtlich, »scheint es, dass bei Tennis-Borussia Juden eine Rolle hinter den Kulissen spielten. Als Verwalter, Funktionäre und Finanziers waren sie deutlich einflussreicher denn als Spieler.« Eine Mitgliederliste, die in den »Clubnachrichten« von 1927 publiziert worden ist und kürzlich als Quelle zugänglich gemacht wurde, lässt einen Aufschluss über die soziale Struktur des Klubs zu.12 Rund 42,8% der Mitglieder verdienten ihren Lebensunterhalt mit kaufmännischen Tätigkeiten (»Kaufmann«), 17,4% arbeiteten in manuellen Berufen (Handwerker und Techniker), darunter zahlreiche Handwerksmeister, aber nur ein »Arbeiter«. Als kleine und mittlere Angestellte (»Reisender«, »Hausdiener«) verdienten sich 6,5% der damaligen Mitglieder ihr Brot, exakt ein Zehntel der Mitglieder befanden sich in akademischen Berufen bzw. in universitärer Ausbildung (z.B. Ärzte, Lehrer und Studenten), und 8,5% waren im Bankgewerbe tätig. 7,5% der Mitglieder absolvierten als Schüler oder Lehrlinge noch ihre Ausbildung, und 3% werden nicht näher als »Fabrikant«, »Direktor« oder Ähnliches bezeichnet. Schließlich arbeiteten 3% in der Publizistik (»Journalist«, »Redakteur«). Offenbar hatte sich, wenn überhaupt, die soziale Struktur des Vereins seit dem Kaiserreich nur unwesentlich verschoben.
Gleichzeitig notierten die »Clubnachrichten« bei Neuaufnahmen auch immer die Geburtsdaten. Nach Auswertung dieser Rubriken, der 403 Mitglieder umfassenden Liste aus den »Clubnachrichten« sowie neuer Datenbanken (das Bundesarchiv etwa stellt seit kurzem eine Datenbank zur Verfügung, in der rund 411.000 Datensätze über »Juden und jüdische Mischlinge im Deutschen Reich« aus der Volkszählung vom 17. Mai 1939 erfasst sind) lassen sich indes – nimmt man die bereits als Juden bekannten Mitglieder hinzu – lediglich knapp acht Prozent als »jüdisch« belegen. Da von vielen Mitgliedern die Konfession nicht geklärt werden kann, dürfte inklusive Dunkelziffer der von Ticher geschätzte Wert von 15 Prozent in etwa stimmen. Das entspräche ungefähr 60 Mitgliedern. Damit läge der jüdische Anteil am Verein immer noch überproportional hoch, denn nur drei Prozent der damaligen Berliner Bevölkerung waren jüdisch.
Aber wirkte sich dies überhaupt in irgendeiner Form aus? Fungierte der Klub als ein »Vorzeigeverein« dahingehend, dass hier Juden und Nichtjuden zusammen Sport betrieben? War überhaupt so etwas wie eine jüdische Identität zu erkennen? Auf den ersten Blick ist das zu verneinen. Denn wie alle bürgerlichen Vereine in der Weimarer Republik legte auch Tennis Borussia allergrößten Wert auf politische und konfessionelle Neutralität. Der Aufsatz »Die Parität im Sportsverein«, der im Jahre 1928 in den »Club-Nachrichten« erschien, darf in dieser Hinsicht als programmatisch verstanden werden. Autor Ernst Roßkopf grenzte sich darin scharf ab von den Vereinen des Arbeitersports, und das einzige Mal zwischen 1924 und 1932 wurde hier auch in einem Text die Frage der Konfessionen angeschnitten. »Auch der Konfessionsstreit«, heißt es wörtlich, »darf im Sportsverein keinerlei Rolle spielen. Im Sport und im Spiel entscheidet immer nur der bessere Kämpfer, die bessere Mannschaft.« Diese Sätze waren gleichzeitig als ganz ausdrückliche Kritik an katholischen (DJK), evangelischen (Eichenkreuz) und eben auch jüdischen Sportvereinen (Makkabi) zu verstehen, die das neue Gesellschaftsphänomen Sport als Plattform für die Verbreitung des jeweiligen Glaubens betrachteten und als politisches Instrument nutzten.
Von antisemitischen Vorfällen während der Spiele berichtet das Kluborgan nichts, jedenfalls nicht explizit. Das muss nicht zwangsläufig bedeuten, antisemitische Äußerungen vom sportlichen Gegner oder deren Zuschauern hätten nicht stattgefunden – diese sind sogar wahrscheinlich. Schließlich kam es beim Fußball in der Weimarer Republik bereits zu schweren Ausschreitungen. Im Fall von TeBe fanden laut »Clubnachrichten« die meisten Zusammenstöße mit dem Erzrivalen Weißenseer FC 1900 statt. Im Januar 1924 etwa kam es während eines Spiels zu Schlägereien zwischen den Zuschauern, zehn Monate später, als es wieder gegen Weißensee zu »Randale« und Polizeieinsatz gekommen war, schlug das Kluborgan vor, nach dem Vorbild Wiens (in dem antisemitische Provokationen zum Alltag gehörten) Spiele unter Ausschluss der Öffentlichkeit auszutragen.